Prävention

Grün macht gesund

Zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein. Was Goethe in seinem Osterspaziergang auf den Punkt bringt, belegen wissenschaftliche Studien: Der Aufenthalt in der Natur baut Stress ab, wirkt heilsam und beugt Krankheiten vor. Präventionsexperte Prof. Dr. Wolfgang Schlicht fasst zusammen, warum eine grüne Umgebung gut für die Gesundheit ist.

Die Wiege der Menschheit stand in der ostafrikanischen Savanne, einer offenen, mit Gras bewachsenen Landschaft, durchsetzt mit einzelnen Bäumen und Baumgruppen. Die Vegetation bot den Urmenschen Deckung. Von dort konnten sie sich Tieren unbeobachtet nähern, um sie zu bejagen. Bäume und Büsche boten ihnen Schutz vor intensiver Sonneneinstrahlung. Diese Erfahrung könnte begründen, warum es auch moderne Menschen ins Grüne zieht, sie im Wald Erholung suchen und der Blick in den Garten meistens die Laune hebt. Menschen scheinen in ihrer genetischen Anlage eine phytophile (pflanzenliebende) oder gar biophile (lebensliebende) Spezies zu sein. Zwar ist vieles von dem, was eine angeborene Naturverbundenheit des Menschen erklären soll, hypothetisch. Hier und da ist der unterstellte Mechanismus auch spekulativ. Die Fakten aber sind, unabhängig von der Erklärung, wie sie zustande kommen, eindeutig: Das Aufsuchen und Betrachten begrünter natürlicher und künstlicher Umwelten hellt das Gemüt auf, stärkt das Immunsystem und kann Heilung unterstützen.

Patienten erholen sich mit Blick auf Bäume schneller.

Der Architekturprofessor Roger S. Ulrich von der Chalmers Universität in Göteborg/Schweden war einer der ersten, der die heilsame Wirkung von Büschen und Bäumen in einer Studie beschrieb. Bereits vor gut 30 Jahren teilte er Krankenhaus-Patienten, die sich einer Gallenblasen-Operation unterzogen hatten, in zwei Gruppen ein: Die Patienten der einen Gruppe schauten aus ihren Krankenbetten durch das Fenster ins Grüne, die Patienten der anderen Gruppe auf eine Backsteinmauer. Die Patienten, die auf Bäume und Büsche schauten, erholten sich schneller von der Operation. Sie benötigten geringere Dosen an Schmerzmitteln, und die Pflegekräfte attestierten ihnen einen optimistischeren Blick in die Zukunft. Diese Untersuchung und viele Nachfolgestudien begründen heute Konzepte einer Krankenhausarchitektur, die beispielsweise Wert darauf legt, dass Farbe und Beleuchtung das Sonnenlicht simulieren oder dass Patienten durch das Fenster in vielgestaltige Klinikgärten mit Büschen und Bäumen schauen können (siehe Interview).

  • Diana E. Bowler et al.: A systmatic review of evidence fort the added benefits to health of exposure to natural environments. BMC Public Health, 10: 456, 2010.
  • Wolfgang Schlicht: Urban Health. Erkenntnisse zur Gestaltung einer gesunden Stadt. Springer-Verlag, Wiesbaden, 2017.
  • Website zum Austausch zwischen Forschern und Praktikern

Waldbad stärkt das Immunsystem.

Auch architekturpsychologisch gestaltete Zimmer bleiben aber letztlich Krankenzimmer. Um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dort als Patient liegen zu müssen, ist es eine geeignete Strategie, das körpereigene Abwehrsystem zu stärken. Man kann zu Pillen greifen, die einem das versprechen, sich gut ernähren oder den Grundsätzen von Kneipp folgen und sich häufig in frischer Luft bewegen.

So wie beim „Shinrin Yoku“, dem „Waldbaden“, wie es das japanische Forstministerium zu Beginn der 1980er Jahre propagiert hat. Vom Shinrin Yoku erhoffen sich die Japaner eine aroma-therapeutische Wirkung gegen den Alltagsstress und eine Stärkung des Immunsystems. Der japanische Umweltmediziner Qing Li von der Nippon Medical School in Tokio hat 2010 bei Probanden, die sich für drei Tage und zwei Nächte im Wald aufhielten, Parameter des Immunsystems (die Aktivität und die Anzahl der natürlichen Killerzellen und verschiedene Fraktionen von Anti-Krebs-Proteinen) und physiologische Stressreaktionen (Adrenalin) gemessen. Erfasst wurden die Werte vor, während und direkt nach sowie erneut sieben und noch einmal 30 Tage, nachdem die Besucher das „Waldbad“ wieder verlassen hatten. Der Immunstatus war bei den Probanden direkt im Anschluss an den Waldaufenthalt und sogar noch einen Monat später gestärkt, und der Stresspegel hatte sich verringert.

Vielleicht lag es daran, dass die Waldbadenden drei Tage lang ihrem Alltag entfliehen konnten und sich gedanklich mit anderen Dingen befassten? Um das zu prüfen, verglich die Arbeitsgruppe die Wirkungen des Waldbades mit einem Städtetrip. Die Ergebnisse für den Waldbesuch waren auch hier günstiger. Also war es nicht der Ausflug an sich, der wirkte, sondern der Wald bedingte den Effekt. Aber was genau wirkt da?

Substanzen aus Bäumen reduzieren Stresshormone. Qing Li und sein Forschungsteam versuchten die immunstärkenden und stressreduzierenden Wirkungen des „Waldbads“ physiologisch zu erklären. Im Fokus hatten sie Terpene (Limonene und Pinene). Das sind chemische Substanzen, mit denen Pflanzen sich gegen Schädlinge wehren oder bestäubende Insekten anlocken. Li und Kollegen baten zwei Gruppen von Probanden für ein Experiment in ein Hotel. Die eine Gruppe bewohnte drei Tage lang Zimmer, deren Luft mit den Terpenen angereichert war. Die Menschen der anderen Gruppe atmeten die übliche Hotelluft. Und tatsächlich: Die künstlich mit Waldluft angereicherte Umgebung reduzierte die Ausschüttung von Stresshormonen und steigerte die Anzahl von natürlichen Killerzellen.

Der Waldaufenthalt wirkt nicht nur in Japan positiv. Eine Studie einer Arbeitsgruppe um die Psychologen Simone Kühn und Ulman Lindenberger vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung fand heraus, dass das Wohnen in der Nähe eines Waldes mit einer besseren Hirngesundheit einhergeht. Teilgenommen hatten 340 Menschen der Berliner Altersstudie (älter als 61 Jahre), die seit mehr als zehn Jahren regelmäßig untersucht werden. Bei den am Waldrand wohnenden Berlinerinnen und Berlinern war die Struktur des Mandelkerns im Gehirn (Amygdala) besser intakt als bei jenen, die weiter vom Wald entfernt wohnten. Die Amygdala ist entscheidend am Stresserleben und an Reaktionen von Gefahren beteiligt. Wenn sie intakt ist, können Menschen besser mit Stress umgehen.

Fototapete ist kein Ersatz.

Bis zum heutigen Tag belegen zahlreiche Fakten, dass Vegetation erholsam wirkt, dass Menschen sich in natürlicher Umgebung wohlfühlen und vom Alltagsstress erholen können. In einer Metaanalyse hat ein Forscherteam um Diana E. Bowler vom Senckenberg Biodiversität und Klima-Forschungszentrum in Frankfurt/Main (siehe Lese- und Webtipps auf Seite 36) 25 Einzelstudien zusammengeführt, die Reaktionen von Menschen in Parklandschaften und in begrünten Universitäts-Campus mit Reaktionen auf synthetische Umgebungen, wie bebaute Flächen oder Straßen, verglichen hatten. Dabei zeigte sich, dass eine grüne Umgebung starke Wirkung beispielsweise auf Angst, Müdigkeit oder Traurigkeit hat (siehe Tabelle auf dieser Seite). Doch die erwartete Wirkung ließ sich nicht immer konsistent nachweisen oder die Studien brachten heterogene Resultate. Demnach könnten weitere Variablen die Wirkung der natürlichen Umwelt abschwächen oder verstärken.

Bei aller positiven Wirkung: Manchen Menschen scheint der Aufenthalt im Grünen nicht geheuer. Überall sehen sie vermeintliche Gefahren: Stechinsekten, allergieauslösende Pollen oder Menschen, die Böses im Schilde führen. Reichen für diese Natur-Skeptiker vielleicht Bilder von faszinierenden Landschaften, um positive Effekte zu erzielen? Bilder wirken tatsächlich positiv. Sich in der realen Umwelt aufzuhalten, wirkt aber stärker als Bilder von Feld und Wald zu betrachten. Will man also positive Wirkungen vollständig nutzen, dann muss man raus ins Grüne und wohl am besten hinein in den Wald.

Das Lebensalter macht ebenfalls einen Unterschied: Ältere profitieren mehr als jüngere Personen vom Aufenthalt im Grünen. Diesen moderierenden Einfluss der Variablen belegen die US-amerikanischen Wissenschaftler Ethan A. McMahan und David Estes 2015 in einer weiteren Metaanalyse. Sie ermitteln auch, dass positive affektive Reaktionen (Affekt = Gefühlswallung) stärker intensiviert werden, als negative affektive Reaktionen in ihrer Intensität gesenkt werden. Typisch negative affektive Reaktionen sind Angst, depressive Verstimmungen und Stresserleben. Der Umweltwissenschaftler Daniel C.T. Cox und Kollegen von der Universität Exeter, Großbritannien, haben das nachmittägliche Konzert von Singvögeln als wohltuend ermittelt. Den Singvögeln zu lauschen, mindert Angst-, Depressions- und Stresszustände in ihrer Intensität.

Ein Drittel der Umgebung muss begrünt sein.

Offenbar muss für die beschriebenen psychologischen Wirkungen aber ein bestimmter Flächenanteil begrünt sein. Ein einzelner Baum oder ein einzelner Busch scheint nicht auszureichen, auch der einsame Vogel im Käfig vermutlich nicht. Um Angstzustände zu mindern, musste der Studie von Cox und seinem Team zufolge mindestens ein Drittel des Aufenthaltsraums von Grünem bedeckt sein. Für die Verringerung von depressiven Verstimmungen und Stresszuständen reichte es, wenn ein Fünftel der Fläche mit Büschen, Sträuchern und Bäumen bewachsen war.

Für die restaurative Wirkung der Vegetation scheint es keine Rolle zu spielen, ob es sich um eine künstlich angelegte Parklandschaft oder um unberührte Natur handelt. Bevor Landschaftsplaner aber mit den Überdeckungsgraden aus der Studie von Cox et al. operieren, sei zur Zurückhaltung gemahnt. Die Belege aus nur einer Studie reichen dazu nicht. Eine Metaanalyse der kanadischen Forscher Colin A. Capaldi, Raelyne L. Dopko und John M. Zelenski aus dem Jahr 2014 zum Zusammenhang zwischen Naturverbundenheit und Glücksgefühl zeigt, dass die Studieneffekte durchaus heterogen ausfallen können.

In der Natur können Menschen ihren Aufmerksamkeits-Akku wieder aufladen.

Drei Theorien für positive Effekte.

Wie aber lassen sich die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt erklären? Menschen passen sich an Reize aus ihrer Umgebung mit psycho-physischen Reaktionen an. In der Alltagswelt des städtischen Lebens sind das häufig Stressreaktionen. Auf eine Bedrohung oder einen Verlust reagiert das psycho-physische System, indem es sich auf Flucht, Kampf oder Erdulden vorbereitet. Der Mensch ist aufgeregt, ihm ist bang, er ängstigt sich.

So, wie Menschen auf bedrohliche Signale reagieren, können sie aber auch auf angenehme Umweltsignale wie die Vegetation reagieren. Die restaurative und heilsame Wirkung von natürlicher Umwelt erklären Forschergruppen im Wesentlichen über drei Ansätze. Die Stress-Recovery-Theorie betont die Verwandtschaft des modernen Menschen mit dem frühen Savannenbewohner. Verglichen mit dem Zeitraum der Evolution, sind moderne Menschen erst einen Augenblick lang mit künstlichen Umwelten konfrontiert. Im modernen Menschen schlummert aber noch immer der gute Bezug zur Natur. Wenn er darin unterwegs ist, wird diese Verknüpfung wachgerufen. Natürliche Umwelten wie Parklandschaften oder Wälder, moderat in ihrer räumlichen Tiefe, mit einem Zentrum, auf das der Betrachter den Blick richtet, Wasser, Bäumen und grasbewachsenem Untergrund wirken erholsam, weil sie evolutionär bedingte Erinnerungen an die schützende Savanne wecken. Das psycho-physische System dämpft stressbedingte Erregungszustände und ruft positive Gefühle hervor. Alltagssorgen und -bedrohungen rücken zumindest für die Zeit des Naturaufenthalts in den Hintergrund.

Vertraute Reize wirken entspannend.

Die experimentelle Psychologie zeigt, dass leicht zu verarbeitende Umweltreize die Gesichtsmuskulatur entspannen, ja sogar zum Lächeln veranlassen. Einfach lesbare und verständliche Aussagen werden eher für wahr gehalten. Eine hohe Verarbeitungsflüssigkeit (die Leichtigkeit, mit der es gelingt, Umweltreize kognitiv zu verarbeiten) erleichtert das intuitive Entscheiden. Eine niederländische Arbeitsgruppe um die Umweltpsychologin Agnes van den Berg stützt die Erklärung des restaurativen Effekts auf derartige wahrnehmungs- und sozialpsychologische Befunde. Sie nennt ihren theoretischen Ansatz Perceptual Fluency Account. Bäume, Sträucher oder ganze Landschaften haben demnach eine fraktale Beschaffenheit: Sie sind sich selbstähnlich, also in sich verschachtelt. In ihnen wiederholen sich Muster vom Großen bis ins Kleine. Menschen sind diese Reize vertraut. Sie verarbeiten sie leicht und bleiben entspannt, weil sie keinen oder nur geringen kognitiv-analytischen Aufwand haben, um die Reize einzuordnen und zu bewerten.

Wegtauchen aus dem Alltag.

In der Attention Restoration Theory ist die Aufmerksamkeit, die Menschen ihrer Umwelt widmen, das zentrale Konstrukt. Rachel und Stephen Kaplan von der Universität Michigan (USA) propagierten die Theorie erstmals. Menschen sind danach einen Großteil ihres häuslichen Alltags und in der Arbeitswelt gezwungen, sich bewusst zu konzentrieren (gerichtete Aufmerksamkeit). Sie müssen Reize einordnen, bewerten und angemessen darauf reagieren. Die so gerichtete Aufmerksamkeit ermüdet wie ein Akku. In der natürlichen Umgebung können Menschen ihren Aufmerksamkeits-Akku wieder aufladen (attention restoration). Dort können sie die Aufmerksamkeit anstrengungslos auf Dinge lenken, für die sie sich aus innerem Antrieb interessieren.

Die Kaplans benennen auch jene Gestaltmerkmale der Umwelt, die den Aufmerksamkeit-Akku am stärksten aufladen: Umwelt, die fasziniert, in der Menschen das Gefühl haben, ihre Alltagsprobleme hinter sich zu lassen, die sie als in sich stimmig, als Welt im Kleinen erleben und die zu ihren Erwartungen und Neigungen passt. Für den einen sind es die Berge, für die anderen ist es das Meer. Das restaurative Potenzial der natürlichen Umwelt lässt sich mit der Perceived Restorativness Scale messen, die Terry Hartig (Uppsala/Schweden) mit Kollegen entwickelt hat. Die Items der Skala bilden die von Kaplan und Kaplan benannten Potenziale der Umwelt ab: Wegtauchen aus dem Alltag, faszinierende Gestalt, Kohärenz (Weite) und Passung.

Grafik: Positive Wirkung natürlicher Umgebung auf den Menschen

Eine grüne Umgebung kann Müdigkeit vertreiben und Energie liefern. Auf den Blutdruck hat der Aufenthalt in der Natur jedoch keinen Einfluss. Das zeigt eine Analyse von 25 Studien zur Wirkung der Natur auf Gesundheit und Wohlbefinden von Menschen. Die Angaben zu den Effektstärken beruhen auf dem Vergleich von Messwerten vor und nach einer Konfrontation von Menschen mit natürlicher Umwelt. Quelle: Bowler et al., 2010

Umwelt enthält Risikoregulatoren.

Die Gesundheitswissenschaften wenden sich seit etwa Mitte der 1990er Jahre der Salutogenese zu. Sie fundieren ihre Theorien und praktische Umsetzungen sozial-ökologisch. Soziale, natürliche und gebaute Umgebungen behindern oder erleichtern Verhalten. Umwelt enthält „Risikoregulatoren“ und beeinflusst – über das Verhalten – die Gesundheit und das Wohlbefinden. Die stressreduzierende, das Immunsystem und die Erholung stärkende Wirkung der natürlichen Umwelt ist eine wertvolle Ressource für die Gesundheit und das Wohlbefinden. Das gilt besonders vor dem Hintergrund des anhaltenden Zuzugs von Menschen in die Städte (Urbanisierung), wo Stein und Beton Büsche und Bäume zurückdrängen.

Arbeitsgruppen um Andreas Meyer-Lindenberg vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim und Götz Adli von der Berliner Charité sammeln seit einiger Zeit Belege, nach denen der mit dem städtischen Leben einhergehende Stress „verrückt“ machen kann. Städter leiden demnach eher unter psychiatrischen Erkrankungen als Landbewohner. Das hat viele Gründe. Dazu zählen soziale Ursachen wie Gewalt oder Isolation, aber auch physikalische Ursachen wie Lärm, Schmutz, Luftschadstoffe oder die bauliche Beschaffenheit der Umwelt. Eine Investition in mehr Stadtgrün lohnt. Sie steigert Gesundheit und Wohlbefinden schon deshalb, weil Menschen in begrünter Umgebung mehr zu Fuß gehen. Omid Kardan und Kollegen von der Universität Chicago (USA) resümieren in einem Artikel, dass elf Bäume mehr in einem städtischen Quartier mit einer besseren Herz-Kreislauf-Gesundheit einhergehen. Die Bewohner sind demnach kardiovaskulär um 1,4 Jahre jünger als jene in Quartieren mit einer geringeren Anzahl an Bäumen.

Reich an Grünem.

Allerdings verteilen sich gesundheitliche Risiken nicht gleichmäßig auf städtische Räume. Arm und Reich leben meist in getrennten Vierteln, und beides korreliert mit der Gesundheit. Interessant ist in der Arbeit von Omid Kardan und anderen daher auch, dass die Anzahl an Bäumen sich als subjektiver Zuwachs an Einkommen übersetzen lässt: Elf Bäume mehr reduzieren kardiovaskuläre Krankheitszeichen in der gleichen Weise wie der Zuwachs des Einkommens um 20.000 US-Dollar oder der Umzug in ein Quartier mit einem um 20.000 US-Dollar höheren Durchschnittseinkommen der Bewohner.

Scott Brown und dessen Gruppe von der Universität Miami (USA) schlagen mit ihrer Studie in die gleiche Kerbe. Sie berechnen einen Vegetations-Index auf der Basis von satellitengestützten Geo-Daten. Verschob sich der Index von einer Standardabweichung weniger zu einer Standardabweichung höher als dem Mittelwert, dann reduzierte sich die Häufigkeit (Prävalenz) chronischer Erkrankungen: 14 Prozent geringere Prävalenz des Diabetes Typ 2, 13 Prozent geringere Prävalenz von Bluthochdruck und zehn Prozent weniger Prävalenz an Fettstoffwechselstörungen. Der Effekt fiel in Quartieren mit niedrigem Durchschnittseinkommen im Übrigen stärker aus als in Quartieren mit einem hohen Einkommen.

Aufgaben der kommunalen Gesundheitsförderung.

Noch immer zielen viele Präventionsangebote auf das individuelle Verhalten beispielsweise im Bereich Ernährung und Bewegung. Sie erreichen aber selten jene Menschen, die dringend etwas tun müssten. So nimmt beispielsweise die Häufigkeit des Übergewichts und der Adipositas in allen Altersgruppen weltweit und auch in Deutschland zu. Damit steigt das Risiko, beispielsweise an Diabetes Typ 2 zu erkranken.

Wünschenswert wäre deshalb, die abwärts gerichteten Strategien zur Prävention (weniger Risikoverhalten, weniger Schadstoffe) um eine aufwärts gerichtete Strategie (mehr von einer anregenden und gesundheitsfördernden Umwelt) zu ergänzen. Diese Strategie könnte die restaurativen Potenziale der Vegetation in Stadt und Land einbeziehen. In einer derart ausgerichteten kommunalen Gesundheitsförderung ginge es dann nicht um Verhaltensänderungen, sondern vielmehr darum, Umwelt nachhaltig zu gestalten und Menschen zu ermuntern, den naturnahen Raum für ihre Gesundheit zu nutzen. Die Wirkung auf die öffentliche Gesundheit steigt nachweisbar, wenn Forschung und Praxis (auch) auf dem Gebiet der Umwelteinflüsse und der Umweltgestaltung kooperieren. In der Zusammenarbeit und der strategischen Ausrichtung liegt das Potenzial, die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern.

Interview
„Kliniken nutzen die Heilkraft der Gärten“

Ein Park mit Rückzugsräumen und Treffpunkten für Patienten kann ein echter Mehrwert für Krankenhäuser sein, meint Landschaftsarchitekt Volkmar Kerck im Interview mit Änne Töpfer. Denn die grünen Oasen vermitteln Normalität und bieten Raum für Therapien.

Herr Kerck, wie muss ein Garten gestaltet sein, damit er heilt?

Volkmar Kerck: Ein Garten wirkt heilsam, weil Patienten dort Sinneseindrücke aufnehmen, die sie im Zimmer nicht haben. Sie erleben die Jahreszeiten und das Wetter, riechen Pflanzendüfte, hören den Wind oder die Vögel. Wir schaffen Rückzugsorte, an denen Patienten ihre Gedanken schweifen lassen oder sich mit Besuchern treffen können. Diese Plätze lassen sich auch für therapeutische Gespräche nutzen. Wenn der Garten die richtige Proportion aus Offenheit und Geschlossenheit hat, aus sonnigen und schattigen Bereichen, wenn er gehfähigen und gehbehinderten Patienten gleichermaßen zugänglich ist, sodass alle miteinander reden können, kann er zur Heilung beitragen.

Volkmar Kerck hat sich mit seinem Planungsbüro in Hannover auf Außenanlagen von Krankenhäusern, Rehakliniken und Pflegeeinrichtungen spezialisiert.

Wie groß ist das Bewusstsein dafür unter Klinikchefs?

Kerck: Ich glaube, niemand spricht Gärten ihre Heilkraft ab, und die Kliniken nutzen sie. Viele Krankenhäuser haben Interesse daran, Therapiegärten anzulegen oder auszubauen. Das kann zu einem echten Mehrwert für das Haus werden. So lassen sich etwa für die Bewegungstherapie nach Hüftoperationen Hindernisse nachstellen, beispielsweise Stufen verschiedener Höhe oder verschiedene Bodenbeläge. Aber es gibt immer auch Klinikträger, die keine Möglichkeit sehen, Gärten therapeutisch zu nutzen, weil keiner mit den Patienten rausgehen kann.

Wie lassen sich gesunde Gärten finanzieren?

Kerck: Meist fließen etwa fünf Prozent der Gesamtinvestitionen für einen Klinikneubau in die Außenanlagen. Damit lässt sich auch ein gesundheitsfördernder Garten gestalten. Für einen Therapiegarten können Krankenhäuser Zuschüsse beantragen.

Welchen Klinikgarten finden Sie vorbildlich?

Kerck: Bei vielen Krankenhäusern sind Teilaspekte gut gelungen. Bei manchen sind es die Innenhöfe, die der Orientierung im Gebäude dienen, bei anderen der Therapiegarten. Grundsätzlich ist es gut, wenn ein Krankenhaus so viel Normalität wie möglich ausstrahlt. Für mich ist es schön, wenn von einem Haus vertraute Geräusche ausgehen: Menschen lachen, reden, Tassen klappern, Kinder spielen. Das ist eine Frage der Gestaltung der Freianlagen. In Wunstorf bei Hannover gibt es eine Psychiatrie mit einem offenen Patientengarten mitten in der Stadt, den Passanten nutzen. Dort herrscht eine heitere Atmosphäre. Ein gutes Beispiel ist auch der Gesundheitsgarten des Krankenhauses in Neustadt am Rübenberge. Er ist in den vorhandenen Park integriert und regt Patienten an, Eigeninitiative zu entwickeln. Er enthält mit den Mitarbeitern der Klinik abgestimmte Angebote für Therapien, wie beispielsweise eine Gehschule, aber auch Ausruhmöglichkeiten und Kommunikationsorte.

Welche Kompromisse müssen Sie eingehen?

Kerck: Auf den Grundstücken konkurrieren verschiedene Funktionen miteinander. An erster Stelle steht die Erschließung des Hauses. Im Planungsprozess schauen wir, wie sich das Notwendige mit dem Schönen kombinieren lässt und reichern bestimmte Zonen an, um Aufenthaltsqualität zu schaffen. Beim Neubau der Klinik in Gifhorn beispielsweise haben wir den Vorplatz mit einem Brunnen und Sitzmöglichkeiten belebt und ihn zu einem angenehmen Treffpunkt gemacht.

Weitere Informationen

Wolfgang Schlicht lehrt Sport- und Gesundheitswissenschaften an der Universität Stuttgart.
Bildnachweis: iStockphoto/Imgorthand, privat