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Kommentar

Aufklären statt bevormunden

Gut die Hälfte aller Deutschen spricht sich für eine Steuer auf besonders zuckerhaltige Getränke aus. Heike Haarhoff sieht die Abgabe skeptisch. Tatenlos dürfe die Politik aber nicht bleiben. 

 

Adipositas hat epidemische Ausmaße erreicht:

Weltweit sterben laut Weltgesundheitsorganisation jährlich mindestens 2,8 Millionen Menschen an den Folgen von Übergewicht und Fettsucht. Allein in Europa sind Schätzungen zufolge 23 Prozent aller Frauen und 20 Prozent aller Männer adipös. Starkes Übergewicht ist nicht nur ein Risikofaktor für chronische Krankheiten wie Diabetes oder Krebs. Vorurteile gegenüber Übergewichtigen, das gilt vor allem für Kinder, führen zu Stigmatisierung – und damit auch zu gesellschaftlicher Benachteiligung besonders Schutzbedürftiger.
Der Staat hat – zweifellos – eine ethische Verpflichtung zum Handeln. Allein: Eine Zuckersteuer, um deren Einführung in der Großen Koalition erbittert gestritten wird, wäre bestenfalls ein Symbol: Die Regierung nimmt es mit der Industrie auf! Bravo! – Bravo? Dass eine Steuer allein das – im Wortsinn fette – Problem lösen würde, darf mit Blick auf die Empirie zumindest bezweifelt werden. 

Eine Zuckersteuer wäre bestenfalls ein Symbol.

In Mexiko, wo seit 2014 eine Zuckersteuer existiert, ist der Zuckerkonsum seither zwar leicht gesunken, nicht aber der Kalorienkonsum insgesamt. Nachdem der Bürgermeister von New York den Ausschank von XXL-Softdrinks in Kinos verboten hatte, kauften die Besucher zwei kleine Becher statt eines großen. Als der TV-Koch Jamie Oliver in Großbritannien die Schulkantinenernährung revolutionieren wollte, steckten viele Eltern ihren Kids das Junkfood heimlich durch den Schulhofzaun zu. Paternalismus, noch dazu per Staatsdekret, war selten geeignet, menschliches Verhalten nachhaltig zu verändern. Gerade weil Fettleibigkeit – auch – eine Frage des kulturellen Milieus ist, verstärken Verbote Abwehrreaktionen wie Trotz, Abschottung und Rückzug. Aus gutem Grund setzen aufgeklärte Gesellschaften auf die Verantwortungsfähigkeit des Konsumenten und auf die Mündigkeit des Patienten. Hinzu kommt: Zucker ist anders als Nikotin oder Alkohol kein Giftstoff per se. Was Fragen aufwirft: Wie viel Zucker braucht wer? Und welchen? Wie zielgenau kann eine Steuer wirken? Sinnvoller wäre, über die Inhaltsstoffe von Produkten zu informieren. Weil das keinen Freiheitseingriff darstellt, sondern die Voraussetzung dafür ist, eine informierte Entscheidung treffen zu können. Aufklärung statt Bevormundung, das wäre nicht nur ein wohl klingendes Staatsziel. Es hieße, die Bürger ernst zu nehmen. Egal ob dünn oder dick. 

Heike Haarhoff ist gesundheitspolitische Redakteurin der tageszeitung (taz) aus Berlin.
Bildnachweis: Wolfgang Borrs