Einwurf

Zeit ist ein Gesundheitsfaktor

Wenn wir auf Dauer gegen unsere innere Uhr leben, drohen Unzufriedenheit und Krankheit, warnt Prof. Dr. Karlheinz Geißler. Der Philosoph empfiehlt, Themen wie die Zeitorganisation im Rahmen der Prävention zu berücksichtigen.

Portrait Karlheinz Geißler

Die Frage nach dem „guten Leben“

kennt viele Antworten. Gesundheit gehört immer dazu. Gesundheit, so nennen wir den Zustand des körperlichen und des psychischen Wohlbefindens, der Zufriedenheit, Wohlergehen, Lebensfreude und Lebensgenuss einschließt. Abhängig sind diese zum einen von den Lebens- und Arbeitsbedingungen, zum anderen von der persönlichen Lebensführung. In beiden Fällen spielt der Umgang mit dem Zeitlichen eine wichtige Rolle.

Es gibt Zeiten und Zeitordnungen, die dem Menschen guttun und Zeiten, die dem Körper, dem Geist und der Psyche schaden. Das Wohlbefinden ist davon abhängig, inwieweit die dem Menschen mitgegebene Zeitnatur, das je eigene Zeitverhalten und die zeitlichen Anforderungen der kulturellen, der gesellschaftlichen und der natürlichen Umwelt miteinander harmonieren. Wenn etwa die Lebensgewohnheiten und die zeitlichen Anforderungen der Arbeitsumgebung dauerhaft mit den biologisch vorgegebenen Zeitmustern kollidieren, drohen gesundheitliche Komplikationen.

Der Rhythmus ist das dem Organismus zugehörige Zeitmuster. Je umfassender Menschen in der Lage sind, im Gleichklang mit den Rhythmen ihres Organismus zu leben und sich mit den rhythmischen Veränderungen ihrer natürlichen Umwelt zu koordinieren, desto gesünder und nachhaltiger leben sie. Das Recht auf ein Leben im eigenen Rhythmus zählt daher zur Menschenwürde.

Dass die „innere Uhr“ das Wohlbefinden beeinflusst, ist eine relativ junge Erkenntnis. Diskrepanzen zwischen den von der Lebenswelt ausgehenden Zeitsignalen, den Zeitanforderungen und den Zeitzeichen des eigenen Körpers führen zu Störungen, die man Zeitkrankheiten nennen kann. Diagnostiziert wurden solche Zeitkrankheiten oftmals bei Schicht-, Nachtarbeitern und Vielfliegern, also bei Menschen, deren lebensweltliche Taktgeber nicht mit der inneren Uhr übereinstimmen. Bei diesem Personenkreis kommt es zu einer Art sozialem Jetlag. Schlafmangel ist häufig die Ursache für chronische Müdigkeit und Erschöpfung, die schließlich zu steigender Krankheitsanfälligkeit führen.

Das Leistungsvermögen des Menschen schwankt tagesrhythmisch.

Das Leistungsvermögen und die Leistungserbringung des Menschen schwanken tagesrhythmisch. Beeinflusst werden sie von organischen Belastungen, zum anderen von der Um- und Mitwelt. Widersprüche zwischen diesen zeitlichen Anforderungen und den dem Körper eingeschriebenen biologischen Zeitprogrammen führen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und zu Stimmungsschwankungen. Im Alltag lassen sich diese Unstimmigkeiten in der Regel durch Gewöhnung und Anpassung balancieren, jedoch nur eingeschränkt. Die Menschen sollten die Grenzen ihrer zeitlichen Zumutungen kennen und beachten. Andernfalls drohen Kreislauf- und Schlafstörungen, innere Unruhe, erhöhte Nervosität, Befindlichkeitsstörungen, Konzentrationsschwächen und anhaltende Unzufriedenheit.

Die Fragen der Gesundheit und der Gesundheitsvorsorge sind aber nicht nur an den Einzelnen zu richten. Wichtig für die Gesundheit der Bürger ist die politisch-rechtliche Ausgestaltung der gesetzlichen und tarifvertraglichen Rahmenbedingungen der Zeitorganisation. Eine Gesellschaft, in der das arbeitsfreie Wochenende, mindestens jedoch der arbeitsfreie Sonntag gesetzlich verankert und lebendige Realität ist, strapaziert die Gesundheit erheblich weniger als eine Gemeinschaft, in der das nicht der Fall ist. Auch die ordnungspolitische Einschränkung der Nachtarbeit macht soziale Gemeinschaften spürbar weniger stressanfällig, verringert die Gesundheitsrisiken und reduziert die Gesundheitskosten.

Themen wie Zeitorganisation, Zeitverwendung oder Zeitbelastung rücken im Rahmen der Prävention in den Mittelpunkt und erhalten dort ein starkes Gewicht. Kurzum: Ein „Zeit-gemäßer“ Umgang mit Körper und Psyche wird immer umfassender zum Schlüssel für menschliches Wohlbefinden und für die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit sowie die psychische Stabilität.

Karlheinz Geißler ist emeritierter Professor für Wirtschaftspädagogik. Der Zeitforscher lebt seit 30 Jahren ohne Uhr.
Bildnachweis: Gene Glover