Prävention

Mit Steuern steuern

Hält ein hoher Preis für Zigaretten Menschen vom Rauchen ab? Ja, sagt Präventionsexperte Dr. med. Kai Kolpatzik und belegt das mit Zahlen: Steuern auf Tabak ebenso wie auf Alkohol oder Zucker können das Gesundheitsverhalten günstig beeinflussen.

 

Der Wecker klingelt, ich schalte das Licht an, gehe ins Bad und nehme eine Dusche. Anschließend frühstücke ich mit den Kindern, bringe sie zur Schule und fahre mit der S-Bahn ins Büro. Für das Gelingen dieser Morgenstunde bezahlen wir Steuern. Sie fließen in die Energieversorgung für die warme Dusche und das Licht, in die Abwasserentsorgung oder in die Forschung und Lebensmittelkontrolle für das Frühstück. Auch die Bildung meiner Kinder finanziert sich aus Steuermitteln. Gleiches gilt für den öffentlichen Nahverkehr und die Sicherheit.

Bei Steuern denken viele Menschen zunächst an das Geld, das sie vom Einkommen abgeben müssen. Doch letztlich ziehen sie aus der Abgabe einen hohen persönlichen Nutzen. Steuern ermöglichen die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur und den Wohlfahrtsstaat. Sie sind ein Preis für die soziale Gerechtigkeit, die unsere Gesellschaft zusammenhält und eine Basis der Demokratie. Und ganz nebenbei können sie auch auf unsere Gesundheit wirken. Das lässt sich an Beispielen wie der Steuer auf Tabak und Alkopops (alkoholhaltige Süßgetränke) darstellen.

Tabaksteuer finanziert auch Teile der Gesundheitsreform.

Wie bei vielen Abgaben liegt der Ursprung der Tabaksteuer im Mittelalter. Nach dem Beispiel Englands erhob die Stadt Cölln 1638 für jedes eingeführte Fass Tabakblattgut eine Abgabe. 1819 führte Preußen eine Steuer auf Tabakblätter ein.

Über die Jahrhunderte entwickelte sich die Abgabe weiter. Ein Änderungsgesetz von 1971 vereinfachte das Tabaksteuerrecht und passte es an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse und das EU-Steuersystem für Zigaretten an. Heute hat die Tabaksteuer in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in etwa die gleiche herausragende wirtschaftliche und fiskalische Bedeutung.

In Deutschland ist die Tabaksteuer nach der Energiesteuer, ehemals Mineralölsteuer, die ertragreichste Verbrauchsteuer. Sie wird von den Bundesfinanzbehörden erhoben und steht dem Bund zu. 2017 beliefen sich die Einnahmen in diesem Bereich auf 14,4 Milliarden Euro.

Seit Anfang dieses Jahrtausends knüpfte der Gesetzgeber die Tabaksteuer zunehmend an bestimmte Verwendungszwecke. Die Mehreinnahmen aus den Erhöhungen zum Jahresbeginn 2002 und 2003 sollten die Bundeswehr im Kampf gegen den Terrorismus unterstützen. Zum 1. März und 1. Dezember 2004 sowie 1. September 2005 erhöhte der Gesetzgeber die Tabaksteuer erneut und begründete dies mit der Sicherung des Steueraufkommens sowie der Finanzierung von Teilen der damaligen Gesundheitsreform. Von 2011 bis 2015 folgten weitere Erhöhungen, um Steuervereinfachungen zu finanzieren und energieintensive Betriebe bei der Ökosteuer zu entlasten.

Quote jugendlicher Raucher sinkt.

Derzeit kostet die 20er-Packung nach Angaben des Zigarettenverbands in Deutschland durchschnittlich 6,40 Euro. Viele andere Länder nutzen die Tabaksteuer gezielt dazu, Menschen vom Rauchen abzuhalten. So kostet in Australien die 20er-Packung Zigaretten knapp 27 australische Dollar – umgerechnet etwa 16,80 Euro. Im nächsten und im übernächsten Jahr soll der Preis dort um jeweils 12,5 Prozent steigen.

Auch in Deutschland ist im Zuge der Tabaksteuererhöhungen die Raucherquote bei Zwölf- bis 17-Jährigen von 28 Prozent im Jahr 2000 auf 7,8 Prozent im Jahr 2015 gefallen. Nach Ergebnissen von Studien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung liegt die Raucherquote in dieser Altersgruppe damit auf dem niedrigsten Stand seit den 1970er Jahren. Gleichzeitig ist die Zahl der Jugendlichen, die noch nie geraucht haben, auf den Höchststand (79 Prozent) gestiegen. Signifikante Erhöhungen der Tabaksteuer sind demnach das effektivste Mittel, um den Tabakkonsum zu senken.

Und das ist gut für die Gesundheit, denn rund 80 Prozent aller Lungenkrebsfälle lassen sich auf das Rauchen zurückführen. Rauchen ist zudem die bedeutendste Ursache für die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Der Tabakkonsum fördert auch akute Erkrankungen der Atemwege wie Grippe und Erkältungen. Raucher haben im Vergleich zu Nichtrauchern ein mehr als doppelt so hohes Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung und ein doppelt so hohes Risiko für Schlaganfälle. Weiterhin begünstigt das Rauchen Erektionsstörungen und schränkt die Fruchtbarkeit ein. Rauchen während der Schwangerschaft schadet dem Ungeborenen, kann zu Geburtskomplikationen führen und beeinträchtigt die Entwicklung des Kindes bis ins Erwachsenenalter.

Hoher Preis würde Kosten ausgleichen.

Der Tabakkonsum beeinträchtigt aber nicht nur die Gesundheit einzelner Menschen und raubt ihnen Lebensjahre, sondern verursacht auch enorme volkswirtschaftliche Kosten.

Dem jährlichen Tabaksteueraufkommen von 14,4 Milliarden Euro stehen laut Deutschem Krebsforschungszentrum (DKFZ) 79,09 Milliarden Euro auf Tabakkonsum zurückzuführende Krankheitskosten gegenüber. Davon entfallen etwa ein Drittel auf das Gesundheitssystem (direkte Kosten: 25,41 Milliarden Euro) und zwei Drittel auf Produktionsausfälle und Frühverrentung (indirekte Kosten: 53,68 Milliarden Euro). Nichtrauchen könnte mehr als jede dritte Krebserkrankung in Deutschland verhindern. Das entspricht 85.072 vermeidbaren Krebsfällen jährlich.

Nach Berechnungen des DKFZ (Tabakatlas 2015) müssten die Zigarettenpreise deutlich steigen, um die direkten und die indirekten Kosten zu kompensieren: von fünf Euro für 19 Marken-Zigaretten auf 7,80 Euro, um die direkten Kosten im Gesundheitssystem aufzufangen, und auf 11,30 Euro, um auch die indirekten Kosten abzudecken.

Rund 200 Krankheiten lassen sich auf Alkohol zurückführen.

Ähnlich wie das Rauchen wirkt auch ein erhöhter Alkoholkonsum negativ auf die Gesundheit. Alkohol ist an der Entstehung von mehr als 200 Krankheiten beteiligt.

Ein hoher Alkoholkonsum schädigt das Gehirn und das Nervensystem: Langfristig können epileptische Anfälle, Depression, der Verlust von Nervenzellen in Groß- und Kleinhirn sowie Demenz die Folge sein. Alkohol beeinträchtigt die Muskulatur und schwächt das Immunsystem, wodurch das Risiko für Entzündungen von Lunge, Magen und Bauspeicheldrüse steigt. Die alkoholische Leberkrankheit kann über die Fettleber zur Leberzirrhose mit einer Zerstörung des Organs führen. Ein hoher Alkoholkonsum verursacht zudem bei jährlich fast 10.000 Menschen Krebserkrankungen.

Viele Menschen sterben vorzeitig an alkoholbedingten Erkrankungen: Rund 21.000 in der Altersgruppe der 16- bis 64-Jährigen im Jahr 2012. Auch das ungeborene Leben ist bedroht: So kommen hierzulande jedes Jahr etwa 10.000 Kinder alkoholgeschädigt mit zum Teil schweren geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen auf die Welt.

Alkohol verursacht in Deutschland Schäden in Höhe von fast 40 Milliarden Euro jährlich.

Die Kosten des schädlichen Alkoholkonsums belaufen sich in Deutschland auf jährlich 39,3 Milliarden Euro. Davon betragen die direkten Kosten für das Gesundheitssystem mit 9,15 Milliarden Euro etwa ein Viertel der Gesamtkosten. Durch Produktivitätsverluste entstehen der Volkswirtschaft indirekte Kosten von etwa 30,15 Milliarden Euro jährlich (DKFZ, Alkoholatlas 2017).

Rahmenbedingungen begünstigen riskanten Konsum.

Laut Statistischem Bundesamt hatten insgesamt 3,38 Millionen Erwachsene in den letzten zwölf Monaten eine alkoholbezogene Störung, darunter gelten 1,77 Millionen als alkoholabhängig.

Die Rahmenbedingungen in Deutschland begünstigen einen riskanten Alkoholkonsum. Die Werbung für alkoholische Getränke ist in Deutschland kaum beschränkt. Jugendliche dürfen bereits ab 16 Jahren Bier und Wein trinken – in den meisten EU-Ländern liegt die Altersgrenze für den Erwerb von Alkohol bei 18 Jahren. Im europäischen Vergleich gehört Deutschland zudem zu den Ländern mit eher niedrigen Alkoholsteuern. Das alkoholbezogene Steuersystem ist hierzulande sehr heterogen und historisch gewachsen. Anders als bei der Tabaksteuer sind die Alkoholsteuern in den letzten 30 Jahren zudem kaum zur Beeinflussung des Alkoholkonsums eingesetzt worden.

Beispielsweise ist die Biersteuer seit 1960 nahezu konstant geblieben. Im Jahr 1993 wurde sie nur minimal erhöht. Sie liegt aktuell bei 1,97 Euro je Liter reiner Alkohol. Das entspricht weniger als zehn Cent je Liter Bier. Die Branntweinsteuer wurde zwar zwischen 1960 und 1982 mehrfach erhöht; seither liegt sie aber konstant bei 13,03 Euro pro Liter Alkohol. Die Erhöhungen der Branntweinsteuer waren in der Regel von einem – zumeist vorübergehenden – Rückgang des Spirituosenkonsums begleitet. Schaumwein wird mit 13,60 Euro je Liter reiner Alkohol besteuert, während für den Alkohol im Wein gar keine Steuern anfallen.

Grafik: Alkoholsteuern wirken willkürlich

In Deutschland fallen auf alkoholische Getränke Steuern in unterschiedlicher Höhe an. Während der Staat beispielsweise auf Schaumwein eine Abgabe von 13,60 Euro pro Liter Alkohol erhebt, besteuert er Wein gar nicht. Bei den Alkopops werden 55,50 Euro pro Liter Alkohol fällig. Das verteuert 275 Milliliter dieser Getränke mit einem Alkoholgehalt von 5,5 Prozent um 84 Cent. Alkopops sind in der Folge vom Markt fast verschwunden.
 

Quelle: http://www.dhs.de/datenfakten/alkohol.html

Den Kosten des schädlichen Alkoholkonsums von jährlich fast 40 Milliarden Euro stehen Einnahmen aus alkoholbezogenen Steuern von nur 3,17 Milliarden Euro gegenüber.

Alkopops verschwinden vom Markt.

Eine Ausnahme bildet die Einführung der zweckgebundenen Alkopop-Steuer im Jahr 2004. Alkopops sind Mischgetränke aus Spirituosen wie Wodka oder Whiskey und Limonaden, Fruchtsäften oder anderen Süßgetränken, die den Alkoholgeschmack teilweise überdecken.

Nach dem Gesetz zur Verbesserung des Schutzes junger Menschen vor Gefahren des Alkohol- und Tabakkonsums erhebt der Staat auf Alkopops eine Verbrauchssteuer von 55,50 Euro je Liter Reinalkohol. Die Steuer verteuerte Alkopops um 0,84 Euro je 275 Milliliter (bei 5,5 Volumenprozent Alkoholgehalt). Damit wollte der Gesetzgeber den Konsum dieser bei Jugendlichen beliebten Getränke senken. Das Steueraufkommen sollte zielgerichtet in die Suchtprävention der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fließen.

Die Nachfrage von Jugendlichen nach Alkopops ist nach Einführung der Steuer tatsächlich deutlich gesunken – Alkopops sind vom Markt fast verschwunden. Die Steuereinnahmen sind daher zu vernachlässigen. Allerdings zeigte sich, dass Jugendliche im Gegenzug zwar auf Bier und Spirituosen umgestiegen sind. Insgesamt ist jedoch der Anteil der Zwölf- bis 17-Jährigen, die regelmäßig Alkohol trinken, von 21,2 Prozent im Jahr 2004 auf 12,9 Prozent im Jahr 2010 zurückgegangen. In der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen ist der Anteil der regelmäßigen Konsumenten im selben Zeitraum von 43,6 Prozent auf 34,5 Prozent gesunken.

Insgesamt ist die Alkopop-Steuer somit eine Erfolgsgeschichte für die gesundheitliche Prävention unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Schottland führt Mindestpreis ein.

Über die Steuerungsmöglichkeiten beim Alkoholkonsum Erwachsener wird in Deutschland nicht diskutiert. Anders in Schottland: Hier gilt seit Mai 2018 für Alkohol ein Mindestpreis. Der in Bier, Wein und Spirituosen enthaltene reine Alkohol wird für 50 Pence (57 Cent) pro zehn Milliliter verkauft. Die Regierung hat den Mindestpreis eingeführt, um die alkoholbedingten Todesfälle und Klinikaufenthalte zu verringern.

In Deutschland bekam der schottische Vorstoß kaum Beifall. Dabei könnte die Gesundheit der Bevölkerung hierzulande von entsprechenden Preiserhöhungen profitieren. Würden die fiskalischen Maßnahmen mit weiteren Schritten kombiniert – wie beim Rauchen mit Erfolg geschehen –, ließen sich vermutlich auch beim Alkoholkonsum ähnliche Effekte erzielen.

Der sogenannte Public Health-Ansatz setzt gleichzeitig auf mehreren Ebenen an. Neben der Veränderung der Rahmenbedingungen auf der Makro-Ebene wie einem Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen, einem Werbeverbot für Zigaretten im Fernsehen und auf Plakaten oder der Einführung von Steuern gehören dazu weitere Maßnahmen auf der Meso- und der Mikro-Ebene. Auf der Meso-Ebene werden Einrichtungen und Multiplikatoren adressiert und auf der Mikro-Ebene die Zielgruppe selbst, beispielsweise in ihrem schulischen Umfeld oder bei Freizeitaktivitäten.

Großbritannien führt neue Steuer ein.

Eine Steuerungswirkung wie bei Alkohol und Tabak erwartet Großbritannien auch für die nach zweijähriger Vorbereitung im April 2018 eingeführte Softdrink-Steuer. Enthalten die Getränke mehr als fünf Gramm Zucker je 100 Milliliter, müssen die Hersteller in Großbritannien eine Abgabe von 18 Pence pro Liter bezahlen. Bei mehr als acht Gramm Zucker je 100 Milliliter werden 24 Pence fällig (siehe folgende Grafik).

Grafik: Britische Softdrink-Steuer zeigt Wirkung

Veränderte Rezeptur: Bereits vor der Einführung der neuen Unternehmenssteuer auf Softdrinks im Frühjahr 2018 in Großbritannien haben dort mehrere Hersteller den Zuckergehalt ihrer Süßgetränke verringert. So enthält beispielsweise Fanta statt sieben Gramm pro 100 Milliliter heute noch 4,6 Gramm Zucker. Damit vermeidet der Hersteller die Abgabe von 18 Pence pro Liter, die nach der Neuregelung ab fünf Gramm Zuckergehalt fällig ist. Ab acht Gramm Zucker pro 100 Milliliter sind es sogar 24 Pence.

Quelle: Telegraph, 25.4.18

Die Unternehmenssteuer auf Softdrinks hat die britische Regierung im Rahmen der Childhood Obesity Strategy umgesetzt. Die Übergewichts- und Adipositas-Raten bei Kindern sind in Großbritannien noch gravierender als in Deutschland, sodass dringender Handlungsbedarf besteht. Die Regierung hat im Vorfeld berechnet, dass die Softdrink-Steuer eine zusätzliche Einnahme von 520 Millionen Pfund jährlich bringt. Diese Mittel sollen in die Adipositas-Prävention fließen, etwa in gesundheitsfördernde schulische Ausstattungen und den Sportunterricht. Ähnlich sind andere Länder wie beispielsweise Frankreich vorgegangen.

Da es sich um eine Unternehmensteuer handelt, müssen die Hersteller die Abgabe nicht auf den Verkaufspreis aufschlagen. Zudem können sie die Steuer vermeiden, indem sie die Rezeptur der Getränke so ändern, dass diese weniger als fünf Gramm Zucker je 100 Milliliter enthalten.

Vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussionen und der zweijährigen Vorbereitungsphase hat etwa die Hälfte der Unternehmen den Zuckergehalt Getränke bereits unter die Fünf-Gramm-Grenze gesenkt, sodass sie keine Steuer zahlen müssen. Der Fiskus hat die Einnahme-Erwartungen demzufolge nach unten korrigiert: auf 240 Millionen Pfund jährlich.

Hersteller setzen Süßgetränken weniger Zucker zu.

Die Softdrink-Steuer ist letztlich ein großer Erfolg, da sie die Kalorienaufnahme der Briten relevant verringert. So hat Coca-Cola den Zuckergehalt seiner Softdrinks Fanta und Sprite in Großbritannien beispielsweise von 6,9 beziehungsweise 6,6 Gramm auf 4,6 beziehungsweise 3,3 Gramm je 100 Milliliter gesenkt.

Die fiskalische Belastung des Zuckers hat ihren Ursprung im 16. Jahrhundert mit dem Zoll auf Rohrzucker aus den Kolonien. Im 18. Jahrhundert begann Deutschland mit der systematischen Gewinnung von Zucker aus der heimischen Zuckerrübe. Dieses zunächst steuerfreie Produkt geriet in Konkurrenz zum zollpflichtigen Auslandszucker. Daraufhin führte Deutschland 1841 für den inländischen Rübenzucker eine Zuckersteuer ein.

Der Deutsche Zollverein gestaltete sie 1844 zu einer gemeinschaftlichen Materialsteuer um, die 1871 Reichssteuer wurde. Nach Neuregelungen in den Jahren 1923 und 1938 ging die Steuer 1949 auf den Bund über. Um Wettbewerbsverzerrungen auf dem europäischen Binnenmarkt zu vermeiden, schaffte der Gesetzgeber die Zuckersteuer zum 1. Januar 1993 ab. Heute diskutieren Experten über ihre Wiedereinführung, um damit die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen.

Quelle: Steuern von A bis Z, 2016; Bundesministerium für Finanzen

In Deutschland hingegen enthalten Fanta und Sprite noch mehr als neun Gramm Zucker. Der Lebensmitteldiscounter Lidl hat in Großbritannien alle seine Getränke unter die Fünf-Gramm-Grenze gesenkt. In Deutschland liegt Lidl mit seinen Eigenmarken durchschnittlich bei 6,8 Gramm Zucker je 100 Milliliter – im Vergleich zu 2016 immerhin je 100 Milliliter 1,2 Gramm weniger. Die Softdrink-Eigenmarken anderer Handelsketten wie Edeka oder Rewe enthalten hierzulande noch 7,8 Gramm beziehungsweise 7,2 Gramm Zucker je 100 Milliliter.

Eine Reduktion der Kalorienlast ist insofern wichtig, da Kinder und Jugendliche diese Getränke weiterhin stark konsumieren: Im Mittel trinken Drei- bis 17-Jährige mehr als einen halben Liter zuckerhaltige Getränke pro Tag. Die geschätzte Menge liegt bei drei- bis zehnjährigen Mädchen bei 454 Milliliter pro Tag und bei elf- bis 17-jährigen Mädchen bei 569 Milliliter täglich. Jungen trinken noch mehr Softdrinks: Drei- bis Zehnjährige 568 Milliliter und Elf- bis 17-Jährige 708 Milliliter täglich.

Deutschland liegt beim Zuckerkonsum über Softdrinks europaweit auf Platz drei, wie aktuelle Daten aus dem Euromonitor zeigen. Der Pro-Kopf-Konsum von Zucker in Softdrinks liegt bei 9,5 Kilogramm pro Jahr beziehungsweise 26 Gramm pro Tag. Das übertrifft sogar die Zufuhr mit Süßigkeiten (18 Gramm pro Tag beziehungsweise rund 6,5 Kilogramm pro Kopf und Jahr).

Mehrwertsteuer-Modell beeinflusst Lebensmittelauswahl.

Um dieser ungesunden Ernährung gegenzusteuern, hat die Deutsche Allianz für Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), eine Initiative von 22 medizinischen Fachgesellschaften und Organisationen, Ende 2017 ein neues Mehrwertsteuer-Modell für Lebensmittel vorgestellt.

Auf gesunde Lebensmittel wie Obst und Gemüse soll nach diesem Konzept der Mehrwertsteuersatz von derzeit sieben auf null Prozent sinken. Für Fertigprodukte mit einem hohen Anteil an Zucker, Salz oder Fett wie Süßigkeiten oder Chips sollen statt sieben Prozent 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig werden. Die Mehrwertsteuer für Softdrinks soll nach diesem Modell von 19 auf 29 Prozent steigen.

Die Initiative schätzt, dass dadurch der Anteil der Männer mit starkem Übergewicht um acht Prozent und der Frauen um drei Prozent sinken kann. Dies führt laut DANK-Berechnungen zu einer Ersparnis von rund fünf Milliarden Euro jährlich bei den Gesundheitskosten.

In dieser Ausgabe:

Weiterführend:

Kritiker befürchten, dass ein solches Mehrwertsteuer-Modell ärmere Menschen benachteiligt. Dem ist entgegenzusetzen, dass ein Mann mit sehr niedrigem Einkommen in Deutschland eine um rund elf Jahre kürzere Lebenserwartung hat als ein Mann mit sehr hohem Einkommen. Eine ungesunde Ernährung spielt dabei eine wesentliche Rolle, sodass gerade ärmere Menschen von der gestaffelten Steuer profitieren würden: Sie erleichtert ihnen die Auswahl gesunder Lebensmittel.

Auch ist anzunehmen, dass Menschen mit geringerem Einkommen preissensibler sind und die durch die Mehrwertsteuer verteuerten, weniger gesunden Lebensmittel eher vermeiden als besser situierte Menschen.

Mexikaner trinken mehr Wasser.

International lassen sich diese Effekte bestätigen. Die 2014 in Mexiko eingeführte Steuer auf Softdrinks führte zu einem 17-prozentigen Rückgang beim Kauf von Softdrinks in der ärmeren Bevölkerung, was sich bei der wohlhabenderen Bevölkerung so nicht zeigte. Zugleich stieg der Wasserkonsum in der ärmeren Bevölkerung deutlich an – beides Effekte, die aus Sicht der gesundheitlichen Prävention wünschenswert sind.

In Chile, dem Land mit dem höchsten Softdrink-Konsum weltweit, stellen sich die Ergebnisse anders dar. Dort ging nach Einführung der Softdrink-Steuer der Kauf dieser Getränke in der ärmeren Bevölkerung um zwölf Prozent zurück. In der Mittelschicht lag der Rückgang bei 16 Prozent und in der Schicht der Wohlhabenden bei 31 Prozent.

Die Stadt Berkeley in Kalifornien hat ebenfalls eine Steuer auf Softdrinks eingeführt. Vier Monate danach ist der Konsum von Softdrinks um 21 Prozent gesunken, in einer kontrollierten Vergleichsregion im gleichen Zeitraum dagegen um vier Prozent gestiegen. Der Wasserkonsum hat in Berkeley um 63 Prozent zugenommen. Ein Jahr nach Einführung der Softdrink-Steuer lag der Wasserkonsum immer noch um knapp 16 Prozent höher als vor Einführung der Steuer.

Auch Länder wie Norwegen mit vergleichsweise geringer Prävalenz von Übergewicht und Adipositas haben mehrere Konzepte zur Zuckerreduktion umgesetzt. Eine bereits seit 1922 bestehende Steuer auf zugesetzten Zucker hat die norwegische Regierung in diesem Jahr für Süßigkeiten und Schokolade nochmals um 83 Prozent erhöht. Damit liegt diese Form der Zuckersteuer bei 4,69 Dollar pro Kilogramm. Norwegen will auf diese Weise den Zuckerkonsum seiner Bevölkerung bis 2021 um 12,5 Prozent reduzieren.

In Deutschland besteht Handlungsbedarf.

Nach den Unterlagen des World Cancer Research Funds haben international etwa 25 Staaten eine Kennzeichnung von Lebensmitteln mit Ampeln, Logos, Gütezeichen oder Vergleichbarem eingeführt. Zehn Länder begrenzen die Werbung für Süßwaren und Fast Food. Etwa 20 Staaten verpflichten Schulkantinen zu Mahlzeiten, die wissenschaftliche Standards erfüllen. Noch einmal so viele verbieten das Angebot von gezuckerten Brausen und stark zuckerhaltigen Snacks im schuleigenen Pausenverkauf. Mittlerweile mehr als 20 Länder haben Steuern auf stark zucker-, salz- oder fetthaltige Lebensmittel eingeführt.

Damit liegen international viele und fundierte Erfahrungen über die Wirkung von Lebensmittel-Steuern vor. Diese müssen weiter beobachtet und erforscht werden. Eine Steuer allein reicht nicht, um die Gesundheit nachhaltig zu verbessern.

Vielmehr verhilft ein Maßnahmen-Mix der gesundheitlichen Prävention zum Erfolg. Hinsichtlich des Ernährungsverhaltens und der Häufigkeit von Übergewicht und Adipositas besteht in Deutschland großer Handlungsbedarf.

Handlungsleitend sollte dabei sein, was Analysen der Weltgesundheitsorganisation zeigen: Die Verhältnisprävention – beispielsweise mithilfe von Steuern – ist effektiver als individuelle Angebote zur Verhaltensänderung und ein Appell an die Eigenverantwortung.

Pro und Contra
Brauchen wir eine Zuckersteuer?

Dr. Sigrid Peter: „Steuer lohnt sich mehrfach”

Dr. Sigrid Peter, Vizepräsidentin des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte

Großbritannien hat im Frühjahr eine Steuer

auf Softdrinks eingeführt. Einige Hersteller verringerten den Zuckergehalt der Getränke bereits vorab deutlich und veränderten die Rezepturen. Das lohnt sich in mehrfacher Hinsicht. Einer aktuellen Studie nach könnte mithilfe einer Steuer in Höhe von 20 Prozent auf Süßgetränke die tägliche Gesamtenergiezufuhr der meisten Bevölkerungsgruppen deutlich gesenkt werden. Außerdem würde die Steuer zu knapp fünf Milliarden Euro Mehreinnahmen führen, die wieder in die Gesundheitsförderung fließen könnten. Freilich: Steuern allein reichen nicht aus. Es bedarf eines Bündels an Maßnahmen, um Übergewicht und Adipositas zu beeinflussen. Dies muss in der frühen Kindheit beginnen.

Günter Tissen: „Steuer macht nicht schlank“

Günter Tissen, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker

Eine Zuckersteuer hilft im Kampf

gegen Übergewicht nicht weiter. Sie kann sogar kontraproduktiv sein, weil sie den Blick auf eine Zutat und nicht auf die Ursache lenkt. Wer mehr isst, als er verbraucht, nimmt zu: Deshalb müssen wir über unseren Lebensstil reden, über das Gesamtpaket aus Ernährung, Genuss und Bewegung. Wir müssen die Menschen für die Bedeutung ihrer persönlichen Kalorienbilanz sensibilisieren. Auch die Erfahrungen aus dem Ausland sprechen nicht dafür, dass Steuern ein geeignetes Mittel zur Prävention von Zivilisationskrankheiten sind. Es gibt bis heute keine Beweise dafür, dass die Menschen in diesen Ländern durch eine Zuckersteuer weniger Übergewicht haben. Eine Steuer macht nicht schlank.

Kai Kolpatzik, Dr. med. MPH ist Abteilungsleiter Prävention beim AOK-Bundesverband.
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