Debatte

Arbeitsmediziner entlasten

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung will Betriebsärzte nicht ersetzen, entgegnet Dr. Walter Eichendorf auf einen Debattenbeitrag in G+G 7/2018. Vielmehr gehe es darum, dass andere Berufsgruppen deren Arbeit sinnvoll ergänzen.

Gesetzlicher Auftrag

und zentrales Interesse der gesetzlichen Unfallversicherung ist es, Sicherheit und Gesundheit in Betrieben und Einrichtungen bestmöglich zu fördern. Das ist auch der Grundgedanke einer Vorschrift der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV Vorschrift 2), die die Betreuung der Unternehmen durch Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit regelt. Jetzt diskutiert die Unfallversicherung die Anpassung der Vorschrift. Warum?

Studie belegt Mangel an Betriebsärzten.

Ein zentrales Motiv ist der Mangel an Betriebsärztinnen und -ärzten, insbesondere in ländlichen Regionen, den eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin bereits 2014 belegt hat. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird in den nächsten Jahren zudem ein Großteil der Betriebsärztinnen und -ärzte in den Ruhestand gehen. Der Nachwuchs, der derzeit in Ausbildung ist, wird diesen Verlust nicht kompensieren können. Die aktuell für das Jahr 2017 von der Bundesärztekammer vorgelegte Statistik „Arbeitsmedizinische Fachkunde“ bestätigt diese Entwicklung. Insbesondere Klein- und Mittelbetriebe sind häufig ohne betriebsärztliche Betreuung. Das zeigt eine Betriebsbefragung aus dem Jahr 2015, initiiert von der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie, in der Bund, Länder und Unfallversicherungsträger zusammenarbeiten. Nach Erfahrung der Unfallversicherungsträger betrifft dies vor allem Betriebe in ländlicher Umgebung.

Heute stehen neue Gefährdungen und Belastungen im Vordergrund.

Mediziner konzentrieren sich auf Kernaufgaben.

Die Zahlen weisen also auf einen deutlichen Handlungsbedarf hin. Um ihren gesetzlichen Vorgaben bei der Beratung der Betriebe zu Sicherheit und Gesundheit weiterhin gerecht zu werden, müssen die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nach neuen Lösungen suchen. Eine Überlegung ist, weitere fachlich geeignete Professionen in die Betreuung einzubeziehen, um damit die knappen arbeitsmedizinischen Ressourcen zu entlasten. Dies soll bewirken, dass sich Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner auf ihre Kernaufgabe konzentrieren können: Dies ist die fachärztliche arbeitsmedizinische Betreuung der Beschäftigten. Deren Bedeutung steht außer Frage.

Die DGUV Vorschrift 2 unterscheidet zwischen einer sogenannten Grundbetreuung und der betriebsspezifischen Betreuung. Die individuelle arbeitsmedizinische Betreuung von Beschäftigten ist der betriebsspezifischen Betreuung zugeordnet. Hierzu gehören alle Beratungen und Untersuchungen, die nach der Verordnung über die arbeitsmedizinische Vorsorge vorgeschrieben sind oder vom Arbeitgeber angeboten werden müssen. Eine zeitliche Beschränkung für die betriebsspezifische Betreuung gibt es nicht, und sie wird – entgegen mancher Behauptungen – auch nicht diskutiert. Leistungen, für die eine ärztliche Approbation notwendig ist (beispielsweise ärztliche Beratungen und Untersuchungen), bleiben weiterhin exklusiv den Betriebsärzten vorbehalten.

Aber andere Aufgaben der betrieblichen Grundbetreuung könnten auch von anderen Berufsgruppen übernommen werden. Dabei geht es zum Beispiel um die Unterstützung der Unternehmerinnen und Unternehmer bei der Gefährdungsbeurteilung, bei der Arbeitsgestaltung oder Fragen der Selbstorganisation, also um eine allgemeine Beratung zu (kollektiven) Fragen der Sicherheit und der Gesundheit im Betrieb.

Auf den Wandel der Arbeitswelt einstellen.

Hier sehen wir gute Möglichkeiten, dass neben den in der DGUV Vorschrift 2 genannten Betriebsärzten und Sicherheitsingenieuren, -technikern und -meistern (Fachkräfte für Arbeitssicherheit) auch Experten aus den Bereichen Arbeitswissenschaft, Arbeits- und Organisationspsychologie oder Gesundheitswissenschaft eingebunden werden. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund des enormen Wandels der Arbeitswelt. Neben den klassischen Unfall- und Gesundheitsgefahren stehen heute neue Gefährdungen und Belastungen im Vordergrund wie Gewalt am Arbeitsplatz, negativer Stress durch Arbeitsverdichtung, mobiles Arbeiten, zeitversetztes Arbeiten, ständige Erreichbarkeit und vieles mehr. Hier können die genannten Professionen eine wichtige Expertise einbringen.

Gemeinsames Ziel aller Beteiligten sollte es sein, auch in Zukunft eine bedarfsgerechte und qualitätsgesicherte Betreuung für Betriebe und die Einrichtungen des öffentlichen Dienstes zu ermöglichen. Eine Anpassung der DGUV Vorschrift 2 könnte – ebenso wie die Förderung des arbeitsmedizinischen Nachwuchses – dazu beitragen.

Walter Eichendorf ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).