Einwurf

Gerechtigkeitslücke schließen

Wenn Ärzte oder Kliniken in der Behandlung Fehler machen, haben Patienten Anspruch auf Schadenersatz. Doch die Gesetzeslage macht es ihnen schwer, ihr Recht durchzusetzen, meint Patientenbeauftragter Dr. Ralf Brauksiepe.

Portrait Ralf Brauksiepe

Rund 13.500 Behandlungsfehler-Gutachten

hat der Medizinische Dienst der Krankenkassen im Jahr 2017 erstellt und etwa ein Viertel der Fehler-Vorwürfe bestätigt. Hinter den nüchternen Zahlen verbirgt sich eine Gerechtigkeitslücke, die es Patientinnen und Patienten schwer macht, im Falle von Behandlungsfehlern Recht zu bekommen.

Zwar ist es mit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes im Februar 2013 gelungen, elementare Patientenrechte ausdrücklich im Gesetz zu verankern und weiterzuentwickeln. So hat der Gesetzgeber für das Arzt-Patienten-Verhältnis im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) einen eigenen Vertrag festgeschrieben. Die Paragrafen 630a ff. BGB regeln vertragliche Pflichten beider Seiten, insbesondere aber die Pflichten der Behandelnden und damit wesentliche Rechte der Patientinnen und Patienten, wie beispielsweise das Recht auf umfassende und rechtzeitige Aufklärung oder das Einsichtsrecht in Behandlungsunterlagen. Das ermöglicht den Patienten, ihre Rechte gegenüber Behandelnden einzufordern und besser durchzusetzen.

Probleme bestehen aber immer noch bei einem Verdacht auf einen Behandlungsfehler und im Umgang damit. Fehler können in den unterschiedlichsten Bereichen unterlaufen, etwa bei der Aufklärung im Patientengespräch oder bei der Befunderhebung genauso wie bei einer Operation oder der Auswahl von Medikamenten. Um den Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld geltend zu machen, muss ein Patient in einem Arzthaftungsprozess grundsätzlich nachweisen, dass dem behandelnden Arzt ein Fehler unterlaufen ist. Zudem muss er belegen, dass er selbst einen Gesundheitsschaden erlitten hat und dass der Gesundheitsschaden durch den Fehler verursacht wurde.

Das heißt: Für diese Umstände trifft den Patienten die Beweislast. Dabei stellt der Nachweis, dass der Gesundheitsschaden auf dem Fehler beruht, eine besondere Schwierigkeit dar. Für den Kausalzusammenhang zwischen Fehler und Schaden gilt derzeit als Beweismaß der sogenannte Vollbeweis im Sinne des Paragrafen 286 der Zivilprozessordnung. Die Voraussetzungen müssen demnach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen werden. Das ist für Patienten äußerst schwierig. Als medizinische Laien können sie die komplexen Sachverhalte und Zusammenhänge kaum überblicken oder beurteilen.

Derzeit entscheidet oft die Schwere des Fehlers, ob ein Patient Schadenersatz erhält.

Eine Ausnahme bilden bisher Fälle, in denen von einem groben Behandlungsfehler ausgegangen wird. Hier gilt die Beweislastumkehr: Der Arzt muss nachweisen, dass sein Fehler nicht ursächlich für den Schaden war. In der Praxis heißt das, dass derzeit oft die Schwere des Fehlers darüber entscheidet, ob ein Patient Schadenersatz erhält oder nicht. Solche Entscheidungen wirken auf die Patientinnen und Patienten häufig willkürlich. Um diese Gerechtigkeitslücke zu schließen, sollte das Beweismaß für den Ursachenzusammenhang zwischen Fehler und Gesundheitsschaden auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit abgesenkt werden. Darauf hat meine Amtsvorgängerin, Ingrid Fischbach, bereits hingewiesen. Auch die diesjährige Gesundheitsministerkonferenz hat eine Beweiserleichterung gefordert.

Mit dem Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit müssten geschädigte Patienten nicht mehr den Vollbeweis erbringen, sondern nachweisen, dass es überwiegend wahrscheinlich ist, dass ihr Gesundheitsschaden auf dem Behandlungsfehler beruht. Dieses Kriterium wäre im Gegensatz zum groben Behandlungsfehler unmittelbar mit dem Schadenseintritt verknüpft. Ob der ärztliche Fehler leicht oder schwerwiegend war, wäre für die Frage des Schadenersatzes dann ohne Bedeutung. Einen Vorschlag für eine Gesetzesänderung habe ich mit Unterstützung des Bundesgesundheitsministers bereits der zuständigen Bundesjustizministerin vorgelegt. Auf der Basis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit getroffene Entscheidungen wären für Patienten leichter nachzuvollziehen und zu akzeptieren. Das würde deutlich mehr Gerechtigkeit in Arzthaftungsprozessen bedeuten.

Ralf Brauksiepe ist seit April 2018 Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten.
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