Eine gesunde Gesellschaft braucht einen Kümmerer, der die Fäden in der Hand hält.
Demografie

Die Suche nach dem Kümmerer

Die Gesellschaft des längeren Lebens bringt neue Herausforderungen mit sich. Um sie zu bewältigen, sind Gesundheits- und Sozialversorgung eng zu verzahnen. Darin waren sich Experten beim Jahreskongress des Bundesverbandes Managed Care einig. Von Thomas Hommel

Der frühere SPD-Chef

Franz Müntefering ist ein Meister der einprägsamen Worte. Sein früheres Amt – sagte er einmal – sei „das schönste neben dem Papst“. Beim Jahreskongress des Bundesverbandes Managed Care (BMC) in Berlin hat Müntefering als Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen wieder einige prägnante Sätze formuliert. Dieses Mal galten sie der „Gesundheit in einer Gesellschaft des längeren Lebens“ – dem Leitthema des Kongresses. G+G war Medienpartner.

Viele Menschen, so Müntefering, meinten ja, „wenn die Hardware brüchig wird, dann bringt der Arzt das schon in Ordnung“. Reparaturmedizin habe aber Grenzen. Genauso wichtig sei es, Vorsorge zu betreiben. „Ich sage immer: Beim Thema Gesundheit ist der Staat in der Bringschuld. Du aber auch.“ Das könne in der Schule losgehen. Und auch danach sollte jeder „ein bisschen mehr tun“, um gesund zu bleiben. Bewegung sei nicht nur gut für die Gesundheit, so Müntefering. „Sie schafft auch Möglichkeiten zu sozialem Kontakt.“ In der Gesellschaft des längeren Lebens gehe es auch darum, „Vereinsamung“ zu verhindern. Generell seien Gesundheits- und Sozialpolitik enger miteinander zu verzahnen.

Jeder Patient ist anders.

Ins gleiche Horn stieß BMC-Vorstandschef Professor Dr. Volker Amelung. „Die Herausforderung besteht darin, Gesundheits- und Sozialversorgung sowie die Lebensumstände zusammen zu denken.“ Um das einzulösen, brauche es einen Kümmerer, der die Versorgung koordiniere. Die Bedürfnisse jedes einzelnen Patienten gehörten „in den Mittelpunkt“ gestellt. In Deutschland folge man noch oft dem Ansatz „one fits all“: eine Versorgung, die für jeden gleich sein soll. „Das funktioniert nicht, jeder Patient ist anders.“ Darauf müssten sich die Gesundheitsberufe stärker einstellen. Diese Erfahrung mache der BMC auch bei Auslandsreisen (siehe Kasten).

Wohnstube als Krankenhaus.

Gemein ist vielen älteren Menschen, dass sie trotz Krankheit lange in den eigenen vier Wänden leben möchten. In den USA versuchen Ärzte, diesem Wunsch mit dem „Hospital at Home“ gerecht zu werden. Entwickelt wurde das Behandlungskonzept an der Johns Hopkins University in Baltimore. Die Idee: Ältere Patienten mit Erkrankungen, die üblicherweise eine Hospitalisation erfordern, werden im häuslichen Umfeld therapiert und so auch vor Gefahren eines längeren Klinikaufenthaltes geschützt. „Im Krankenhaus passieren mitunter schlimme Dinge. Deshalb will auch niemand dorthin“, sagte Dr. Gregg Meyer, Arzt am Massachusetts General Hospital und Professor an der Harvard Medical School.

Im Rahmen von „Home-Hospital“ stelle ein Team aus Ärzten, Therapeuten, Pflegenden und Sozialarbeitern die Versorgung der Patienten sicher. Entscheidend sei, dass sich die Ärzte ins Team einfügten. „Als ich Medizin studierte, da entschied der Arzt alles. Ich würde solche Kollegen heute nicht einstellen. Ich brauche Ärzte, die teamfähig sind.“

Pflege mit mehr Kompetenz.

Teamspirit ist auch im Modell des „Home-Based Primary-Care“ gefragt, über das Professorin Dr. Thuy-Nga Pham, Ärztliche Direktorin des Southeast Toronto Family Health Team, referierte. Pflegeprofis übernehmen dort ein viel komplexeres Arbeitsgebiet als es in Deutschland der Fall ist. „Diabetes-Patienten brauche ich oft gar nicht mehr sehen“, so Pham.

Daneben beinhalte das Projekt Hausvisiten und digitale Anwendungen. Dabei entscheide sie von Fall zu Fall, ob sie einen Patienten telemedizinisch berate oder ihn persönlich konsultiere. Weiterer Pluspunkt: ein rund um die Uhr verfügbarer Ansprechpartner – ein „single point of access“, der sich aus einer Hand patientenindividuellen Problemen widme.

Portrait Daniela Chase

„Welle der Inspiration“

Daniela Patricia Chase

Thomas Hommel ist Chefreporter der G+G.
Bildnachweis: iStock/Eva-Katalin, privat