Ambulante Versorgung

Licht auf die Leistung von Frauen

In fünf Jahren wird die ambulante Medizin eine Frauendomäne sein. Dennoch schätzen Patienten und Fachkollegen die Leistung von Frauen oft schlechter ein als die von Männern, wie der Arzt und Ökonom Prof. Dr. Dr. Konrad Obermann in einer Studie herausgefunden hat.

Die Medizin wird weiblich:

In fünf Jahren werden mehr Frauen als Männer in der ambulanten Patientenversorgung tätig sein. Das zeigte kürzlich unsere Studie „Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit 2018“, in der wir die demografischen Faktoren der Ärzteschaft analysiert und auf die kommenden fünf und zehn Jahre hochgerechnet haben. Bei den angestellten Ärzten, Zahnärzten und Psychologischen Psychotherapeuten haben die Frauen schon jetzt mit den Männern gleichgezogen. Bei den Praxisinhabern dagegen dominieren noch die männlichen Kollegen – aber die Frauen sind auf dem Vormarsch.

Frauen streben verstärkt in die frühere Männerdomäne Medizin – doch ihre Leistungen werden über alle Fachgruppen hinweg geringer geschätzt als die von männlichen Kollegen. Und das nicht etwa nur bei der Beurteilung durch Patienten, bei denen vielleicht noch das alte Klischee vom „Herrn Doktor“ in den Köpfen vorherrscht: Auch bei der Bewertung der medizinischen Reputation und der Fachkompetenz durch Kollegen schneiden die Frauen durchweg schlechter ab. Bei den Praxisinhabern im Bereich Humanmedizin erhielten doppelt so viele Männer wie Frauen hohe Bewertungen, bei den angestellten Ärzten sogar mehr als drei Mal so viele.

Ein selbstsicheres Auftreten wird oft mit hoher Kompetenz assoziiert.

Überraschend ist, dass Männer sogar in den Fachgruppen besser abschneiden, in denen vorwiegend Frauen tätig sind – und damit die Mehrzahl der Bewertungen abgaben: Bei den Psychologischen Psychotherapeuten liegt die Frauenquote derzeit bei 74 Prozent – trotzdem erhielten fast doppelt so viele Männer wie Frauen hohe Bewertungen.

Vertrauen in Kompetenz ist wichtig für den Behandlungserfolg.

Wenn man realistischerweise davon ausgeht, dass Frauen fachlich ebenso gute Arbeit leisten wie Männer, bleibt die Frage, warum die Qualität ihrer Arbeit als schlechter wahrgenommen wird und ob sich das ändern lässt. Wichtig ist dabei vor allem, die Sichtweise der Patienten zu untersuchen, denn in Zukunft werden immer mehr Menschen von weiblichen Ärzten, Zahnärzten und Psychologischen Psychotherapeuten behandelt. Das Vertrauen eines Patienten in die Kompetenz seiner Ärztin hat einen wesentlichen Einfluss auf die Zufriedenheit und die Therapietreue – und damit auch auf den Erfolg der Behandlung.

Um die unterschiedliche Einschätzung der Kompetenz von Männern und Frauen zu erklären, gibt es verschiedene Ansätze. Zum einen könnten statistische Artefakte hineinspielen: Es gibt aktuell mehr Männer als Frauen bei den Niedergelassenen, und es wäre denkbar, dass Männer vorzugsweise für Männer stimmen. Dieser Ansatz erklärt allerdings nicht, warum Frauen auch in Fachgruppen mit hoher Frauenquote seltener mit hoher Qualität ausgezeichnet werden.

Ein weiterer statistischer Faktor könnte die Dauer der Niederlassung sein: Frauen lassen sich erst seit etwa zehn Jahren verstärkt in eigenen Praxen nieder. Möglicherweise wird die im Schnitt längere Praxistätigkeit der Männer von Patienten wie auch von Kollegen mit höherer Qualität gleichgesetzt. Denkbar ist aber auch, dass noch immer traditionelle Erwartungsmuster und kulturell geprägte Verknüpfungen von Geschlecht und Kompetenz die Einschätzung der Leistungen von Frauen in der Medizin beeinflussen. Ein demonstrativ selbstsicheres oder auch paternalistisches (pater, lat.: Vater) Auftreten zählt eher zu den männertypischen Verhaltensweisen und wird im Berufsleben oft mit hoher Kompetenz assoziiert. Andere für den Arztberuf wünschenswerte und hilfreiche Eigenschaften wie Zuhören, Empathie und emotionale Zuwendung dagegen, die klassisch eher Frauen zugeschrieben werden, sind zwar positiv besetzt, wirken sich aber möglicherweise weniger auf die vermutete Kompetenz aus.

Die Forschung könnte Beitrag zur Gleichstellung leisten.

Angesichts dieser Befunde ist jetzt die Forschung gefragt: Sie muss die Basis liefern für ein umfassendes, theoriegeleitetes und möglichst ideologiefreies Verständnis einer komplexen Wirklichkeit. Wie genau nehmen Patienten männliche und weibliche Ärzte wahr? Hat dies signifikante Auswirkungen auf die Zufriedenheit und Therapieadhärenz? Wie können stereotype und kulturell bedingte Wahrnehmungsmuster geändert werden? Wo lassen sich aber auch objektivierbare Differenzen aufzeigen, die möglicherweise ein Grund für geschlechterspezifische Wahrnehmung sind? Hier könnten Psychologie und Genderwissenschaften sinnvoll forschen – und damit einen wichtigen Beitrag zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Medizin leisten.

Zum Download der Studie

Konrad Obermann ist Forschungsleiter der Stiftung Gesundheit.
Bildnachweis: Foto Startseite iStock/alvarez