Thema des Monats

Sackgasse oder Königsweg?

Gegner der Bürgerversicherung führen den integrierten Krankenversicherungsmarkt in den Niederlanden gern als abschreckendes Beispiel an. Warum das niederländische Modell dafür nicht taugt und was wir von unseren Nachbarn lernen können, erklärt Prof. Dr. Stefan Greß.

Wenn in Deutschland über die Einführung einer Bürgerversicherung diskutiert wird, ist regelmäßig auch vom integrierten Krankenversicherungsmarkt in den Niederlanden die Rede. Zuletzt war dies zum Jahreswechsel 2017/2018 während der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD der Fall. Insbesondere vonseiten der privaten Krankenversicherung wird das niederländische Modell als abschreckendes Beispiel benannt – aufgrund angeblich hoher Zugangshürden zur gesundheitlichen Versorgung und einer daraus resultierenden Grundversorgung auf niedrigem Niveau. Eine vom wissenschaftlichen Institut der Privaten Krankenversicherung (PKV) herausgegebene Studie kam parallel zu dem Fazit, dass die Reform des Krankenversicherungsmarkts in den Niederlanden die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht habe.

Jenseits einer Instrumentalisierung in der gesundheitspolitischen Debatte bleibt die Frage, wie die international einmalige Reform des niederländischen Krankenversicherungsmarktes aus dem Jahr 2006 zum heutigen Zeitpunkt zu bewerten ist. Im Folgenden werden die aktuellen Entwicklungen in den Niederlanden dargestellt und skizziert, was sich daraus für die Weiterentwicklung des deutschen Krankenversicherungssystems lernen lässt.

Grundlegende Reform.

Seit einer Reform im Jahr 2006 gibt es in den Niederlanden einen integrierten Krankenversicherungsmarkt mit einheitlichen Wettbewerbsbedingungen für alle Versicherer. In der gesundheitspolitischen Debatte in Deutschland wird in diesem Zusammenhang häufig der Begriff „Einheitsversicherung“ verwendet. Dieser ist insofern irreführend, als innerhalb dieses integrierten Systems ein Wettbewerb der Krankenversicherer und damit regelmäßige Wahlrechte für die Versicherten vorgesehen und politisch gewollt sind.

  • Christine Arentz: Die Krankenversicherung in den Niederlanden seit 2006. Analyse der Reform und ihrer Auswirkungen. Wissenschaftliches Institut der Privaten Krankenversicherung, 2018
  • Stefan Greß: Krankenversicherung und Wettbewerb. Das Beispiel Niederlande. Campus Verlag, 2002.
  • Stefan Greß, Stephanie Heinemann, Willemijn Schäfer: Reform auf Realitätskurs. Niederlande. In: G+G 4/2013, S. 32-37
  • Eric C. Schneider et al.: Mirror, mirror 2017. International Comparison Reflects Flaws and Oppertunities for Better U.S. Health Care.
  • Verband der PKV: Vorsicht, Einheitskasse! Warum das Experiment „Bürgerversicherung“ schlecht für alle wäre.

Etwa 50 Prozent der Leistungsausgaben für Erwachsene werden durch einkommensabhängige Beiträge finanziert. Den Beitragssatz legt das Gesundheitsministerium fest; er ist für alle Versicherten einheitlich. Für die Beitragserhebung werden sämtliche Einkommensarten der Versicherten, auch Vermögenseinkommen, herangezogen. Der Beitragssatz auf Einkommen aus unselbstständiger Arbeit lag im Jahr 2018 bei 6,9 Prozent; ihn zahlen die Arbeitgeber. Dieser Beitragssatz konnte seit der Reform im Jahr 2006 nahezu konstant gehalten werden. Das liegt allerdings vor allem daran, dass die Beitragsbemessungsgrenze von etwa 30.000 Euro im Jahr 2006 auf nahezu 55.000 Euro jährlich angehoben wurde.

Zuschüsse für Geringverdiener.

Die verbleibenden 50 Prozent der Leistungsausgaben für Erwachsene werden über eine einkommensunabhängige Pauschale finanziert, die die einzelnen Krankenversicherer festlegen. Sie stellt den zentralen preislichen Wettbewerbsparameter dar. Geringverdiener erhalten einen steuerfinanzierten Zuschuss zu dieser Pauschale, den das Finanzamt in Abhängigkeit vom Jahreseinkommen festlegt. Im Jahr 2017 wurden hierfür 4,2 Milliarden Euro aufgewendet.  Die durchschnittliche Pauschale ist von 1.060 Euro im Jahr 2006 auf 1.378 Euro im Jahr 2018 gestiegen (siehe Grafik „Steigende Kosten für Versicherte“). Dass sie im Jahr 2014 zurückging, ist auf eine deutliche Erhöhung des seit 2008 obligatorischen Selbstbehalts auf derzeit 385 Euro zurückzuführen. Die Inanspruchnahme der hausärztlichen Versorgung ist von diesem Selbstbehalt ausgenommen. Ergänzt wird diese Finanzierungssystematik durch einen aus Steuern finanzierten Zuschuss an den niederländischen Gesundheitsfonds. Die Höhe dieses Zuschusses ist an die Höhe der Leistungsausgaben für Kinder und Jugendliche gekoppelt.

Gruppenverträge als Besonderheit.

Eine Besonderheit des niederländischen Krankenversicherungsmarkts besteht darin, dass etwa zwei Drittel der Versicherten ihren Versicherungsschutz über Gruppenverträge abgeschlossen haben. Diese Gruppen werden etwa durch Arbeitgeber und Gewerkschaften, in geringerem Ausmaß aber auch durch Sportvereine und Patientenvereinigungen organisiert. Der Vorteil für die Versicherten besteht in Rabatten, den die Krankenversicherungen solchen Gruppenverträgen gewähren können.

Durchschnittlicher Jahresbeitrag in der niederländischen Krankenversicherung in Euro

Die Hälfte der Leistungsausgaben für Erwachsene wird in der niederländischen Krankenversicherung durch einkommensunabhängige Beiträge finanziert. Deren Höhe ist seit der Reform um mehr als 300 Euro gestiegen. Der Rückgang im Jahr 2014 ging mit einer Erhöhung des obligatorischen Selbstbehalts einher.

Quelle: Vektis Zorgthermometer 2018

Allerdings werden die Gruppenverträge in den Niederlanden auch zunehmend kritisch diskutiert. Zum einen sind die Ersparnisse für die Versicherten gering. Im Jahr 2018 lag der durchschnittliche Beitrag in Gruppenverträgen bei 1.276 Euro im Jahr, in Individualverträgen waren es im Durchschnitt 23 Euro mehr. Zum anderen gibt es Anzeichen dafür, dass die in den Gruppenverträgen gewährten Rabatte auf die Individualverträge aufgeschlagen werden und daraus für die Versichertengemeinschaft insgesamt ein Nullsummenspiel resultiert.

Die Entwicklung auf dem niederländischen Versicherungsmarkt weist sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zur Marktentwicklung in der deutschen GKV auf. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass der Markt in den Niederlanden deutlich stärker konzentriert ist als in Deutschland. Vier Krankenversicherer haben zusammen einen Marktanteil von landesweit 85 Prozent. Unter dem Dach dieser vier Marktführer sind jeweils mehrere Marken vereinigt, sodass für die Versicherten die jeweilige Zugehörigkeit der einzelnen Marken nicht immer erkennbar ist. Die aufsichtführende Wettbewerbsbehörde bewertet diese Situation nicht als problematisch. Das liegt vor allem daran, dass die Marktkonzentration auf Seiten der Leistungserbringer noch höher ist. Der Anteil der Wechsler beträgt in den Niederlanden seit 2013 konstant sechs bis sieben Prozent der Versicherten; das ist vergleichbar mit der deutschen GKV. Der hohe Anteil von Gruppenverträgen scheint die Versichertenmobilität nicht nennenswert zu hemmen.

Spürbare Preisunterschiede.

Der zentrale Wechselgrund in den Niederlanden ist weiterhin der Preis. Das ist im Hinblick auf die vergleichsweise hohen absoluten Preisunterschiede zwischen den Krankenversicherungen und die Kalkulation als einkommensunabhängige Pauschale nicht überraschend. Absolute Preisunterschiede sind für die Versicherten spürbarer als Unterschiede zwischen Beitragssätzen. Ebenso wenig überraschend ist, dass auch in den Niederlanden die Wechselwahrscheinlichkeit bei jüngeren und besser ausgebildeten Versicherten höher ist als bei Versicherten mit einem schlechteren Gesundheitszustand. Als Konsequenz aus diesem Wechselverhalten entstehen bei den Krankenversicherern Unter- und Überdeckungen, die auch der aufwendig konstruierte und regelmäßig weiterentwickelte morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich in den Niederlanden nicht vollständig kompensieren kann.

Es wäre irreführend, das niederländische Modell als Einheitsversicherung zu bezeichnen.

Kürzlich ist es zudem erstmals gelungen, die aus Selektionsstrategien der Krankenversicherer resultierenden Über- und Unterdeckungen bei Versicherten empirisch nachzuweisen. In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Kopplung von Versicherungsprodukten in der Basis- und der Zusatzversicherung kritisiert. Krankenversicherer können Zusatzversicherungen nutzen, um attraktive Versicherungspakete für gute Risiken anzubieten. Im Umkehrschluss kann diese Strategie auch genutzt werden, um schlechte Risiken abzuschrecken.

Kaum Selektivverträge.

Der Sicherstellungsauftrag für die Versorgung ihrer Versicherten liegt in den Niederlanden bei den Krankenversicherern. Kassenärztliche Vereinigungen gibt es ebenso wenig wie eine Zuständigkeit der Provinzen bei der Krankenhausplanung. Die Krankenversicherer könnten die Versorgung ihrer Versicherten also im Prinzip ausschließlich durch Selektivverträge sicherstellen. Aufgrund der knappen Kapazitäten in der stationären Versorgung und der Besonderheiten in der ambulanten Versorgung ist dies jedoch deutlich schwieriger als in Deutschland.

Die Anzahl der Krankenhausbetten pro Kopf der Bevölkerung ist in den Niederlanden nicht einmal halb so hoch wie in Deutschland. Einzelne Krankenhäuser von der Versorgung auszuschließen ist damit auch in Ballungsregionen nahezu unmöglich, ohne den Sicherstellungsauftrag zu gefährden. Die Folge sind landesweite Absprachen zwischen Regierung, Krankenhäusern und Krankenversicherern über das zu finanzierende Ausgabenvolumen. Selektivvertragliche Vereinbarungen zwischen einzelnen Versicherern und einzelnen Krankenhäusern bleiben bisher die Ausnahme.

Auch in der ambulanten ärztlichen Versorgung könnten die Krankenversicherer Selektivverträge abschließen. Hier liegt das zentrale Hindernis für den Abschluss solcher Verträge im Verhältnis von Krankenversicherern und Versicherten. Selektivverträge mit Hausärzten hätten zur Konsequenz, dass Versicherte unter Umständen ihren Hausarzt wechseln müssten. Die Erfahrungen in den Niederlanden zeigen jedoch, dass die Bindung der Versicherten an ihren Hausarzt enger und vertrauensvoller ist als die an den jeweiligen Krankenversicherer.

Die Versicherten würden folglich eher ihre Versicherung wechseln als ihren Hausarzt. Aus diesem Grund scheuen sich die Krankenversicherer davor, den Zugang zur hausärztlichen Versorgung durch Selektivverträge zu beschränken. Als Konsequenz bleiben auch in diesem Versorgungsbereich selektivvertragliche Vereinbarungen die Ausnahme.  

Steigende Ausgaben, gute Qualität.

Die oben beschriebenen Entwicklungen zeigen, dass in der Tat nicht sämtliche Ziele des Gesetzgebers bei der Umsetzung der Reformen in den Niederlanden erreicht worden sind. Insbesondere die schon seit Mitte der 1990er-Jahre angestrebte Effizienzsteigerung durch einen regulierten Wettbewerb auf dem Krankenversicherungsmarkt konnte allenfalls teilweise realisiert werden. Im internationalen Vergleich schneidet das niederländische Gesundheitssystem jedoch weiterhin relativ gut ab.

Das niederländische System steht im internationalen Vergleich gut da.

Die Ausgaben für Gesundheitsversorgung sind auch in den Niederlanden seit der Umsetzung der Reform im Jahr 2006 gestiegen. Die Gesundheitsausgabenquote, also der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, nahm jüngsten Zahlen der OECD zufolge von 9,2 Prozent auf 10,1 Prozent im Jahr 2017 zu. Die Ausgaben pro Kopf sind – inflations- und kaufkraftadjustiert – im gleichen Zeitraum von 4.039  auf 4.825 US-Dollar gestiegen. Zu dieser Entwicklung hat vor allem die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für die stationäre Versorgung beigetragen, mit denen Wartelisten bei elektiven Operationen abgebaut werden sollten.

Dieser Ausgabenanstieg ist im internationalen Vergleich jedoch nicht ungewöhnlich. In Deutschland ist die Gesundheitsausgabenquote im gleichen Zeitraum von 10,1 auf 11,3 Prozent gestiegen. Die Pro-Kopf-Ausgaben lagen im Jahr 2006 mit 3.897 US-Dollar noch unter den Ausgaben in den Niederlanden. Inzwischen ist dieser Wert mit 4.956 US-Dollar höher als in unserem Nachbarland.

Überdurchschnittliche Ergebnisse.

In den Niederlanden wird damit sowohl pro Kopf der Bevölkerung als auch gemessen an der Wirtschaftskraft weniger für Gesundheit ausgegeben als in Deutschland. Gleichzeitig schneidet das niederländische Gesundheitssystem bei internationalen Vergleichen im Hinblick auf die erzielten Ergebnisse regelmäßig besser ab als das System in Deutschland.

Ein im Jahr 2017 veröffentlichter Vergleich von elf Industrieländern etwa verwendet einen Mix aus Qualitätsindikatoren der OECD und den Ergebnissen international vergleichender Bevölkerungsbefragungen des Commonwealth Fund. Insgesamt gingen in diesen Vergleich 72 Indikatoren ein, die den Zugang zur Versorgung, die Koordination der Versorgung, die administrative Effizienz, Gleichheitsaspekte und Ergebnisindikatoren bewerten. Im Vergleich zum Durchschnitt der elf einbezogenen Länder schneiden sowohl das niederländische als auch das deutsche Gesundheitssystem überdurchschnittlich gut ab. Die Ergebnisse in den Niederlanden liegen allerdings noch deutlich vor denen in Deutschland, vor allem dann, wenn man die niedrigeren Ausgaben in den Niederlanden berücksichtigt.

Vom Nachbarn lernen.

Zum ersten Mal rückten die Niederlande Ende der 1990er Jahre in den Blickpunkt des gesundheitspolitischen Interesses in Deutschland, mit dem Start eines regulierten Wettbewerbs in der Krankenversicherung. Auch die Einführung eines integrierten Krankenversicherungssystems im Jahr 2006 und die daraus resultierenden Effekte sorgten hierzulande für große Aufmerksamkeit. Bei der Interpretation internationaler Vergleiche besteht grundsätzlich die Gefahr, dass diese für die gesundheitspolitische Debatte im Inland instrumentalisiert werden. Eine Chance auf Erkenntnisgewinn besteht hingegen, wenn man das eigene System vor dem Hintergrund des internationalen Vergleichs reflektiert.

Unterschiedliche Ausgangspunkte.

In den Niederlanden ist es im Jahr 2006 gelungen, weitgehend geräuschlos ein integriertes Krankenversicherungssystem einzuführen. Dabei wurden zwei weitere Elemente einer Bürgerversicherung umgesetzt: das Heranziehen sämtlicher Einkommensarten zur Beitragsbemessung und eine schrittweise Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze.

Die Entwicklungen in den Niederlanden taugen dennoch nicht als Vorbild für die mögliche Einführung einer Bürgerversicherung in Deutschland. Das liegt in erster Linie daran, dass die Voraussetzungen in unserem Nachbarland völlig anders waren als sie es heute in Deutschland sind. Gesundheitspolitisch waren sich zumindest die großen Parteien in den Niederlanden schon seit Mitte der 1990er-Jahre über das Ziel eines integrierten Krankenversicherungssystems einig. Zudem hatten sich soziale und private Krankenversicherungen einander bereits vor der Reform angenähert. Die Vergütungen der Leistungserbringer – insbesondere der niedergelassenen Ärzteschaft – hatte der Gesetzgeber schon deutlich vor der Reform angeglichen. Die Prämien der privaten Krankenvollversicherung wurden letztlich nach dem Umlageprinzip kalkuliert; daher gab es auch keine verfassungsrechtlichen Probleme beim Umgang mit Alterungsrückstellungen. Alle diese Voraussetzungen für die Einführung eines integrierten Krankenversicherungssystems liegen in Deutschland derzeit nicht vor.

Um die Einführung einer Bürgerversicherung wird in Deutschland seit Jahren erbittert gestritten. Hier die wichtigsten Argumente von Befürwortern und Gegnern:
 

Pro:

  • Eine Bürgerversicherung, in die ausnahmslos alle Bürgerinnen und Bürger nach ihrem Bruttoeinkommen einzahlen, würde Einkommens-, Risiko- und Generationensolidarität schaffen und für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgen.
  • Ärztliche Leistungen werden bei Privatpatienten oft besser vergütet. Ein einheitlicher Vergütungsrahmen würde dafür sorgen, dass alle Patienten gleich gut behandelt werden, während derzeit privat Versicherte oft besser oder sogar überversorgt würden.
  • In der PKV werden die Beiträge nach Alter und Gesundheitszustand berechnet. Damit werden in jungen Jahren „gute Risiken“ angelockt. Führen stark steigende Beiträge im Alter zu Altersarmut, belastet das die sozialen Sicherungssysteme.
  • Eine einheitliche Wettbewerbsordnung im Rahmen einer Bürgerversicherung würde erst zu einem tatsächlichen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen führen.
  • Die Beiträge könnten gesenkt oder zumindest stabilisiert werden.

Contra:

  • Gegen die Einführung einer Bürgerversicherung gibt es rechtliche Bedenken, die beispielsweise die Gesetzgebungskompetenz des Bundes, eine mögliche Verletzung der Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen und – im Falle einer Abschaffung der Beihilfe für Beamte – eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Bediensteten betreffen. Fraglich wäre auch, was mit den Altersrückstellungen der PKV-Versicherten geschähe.
  • Durch die höhere Vergütung für die Behandlung von Privatpatienten finde innerhalb des Versorgungssystems eine Quersubventionierung statt. Eine Abschaffung der PKV würde die Innovationskraft des Gesundheitssystems und den hohen medizinischen Standard in Deutschland gefährden und die Versicherungsbeiträge steigen lassen.
  • Die Abschaffung der PKV würde zu einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen führen.

Quelle: Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 058/17

Die Reform in den Niederlanden taugt allerdings auch nicht zur politischen Diskreditierung des Reformmodells Bürgerversicherung. Zwar sind seit der Reform im Jahr 2006 auch in den Niederlanden die Ausgaben angestiegen – allerdings in geringerem Ausmaß als in Deutschland. International vergleichende Studien zeigen zudem übereinstimmend, dass diese Mittel effizienter verwendet werden als in Deutschland. Dabei hat das verpflichtende und vergleichsweise strikt angewandte Gatekeeper-Modell in der ambulanten ärztlichen Versorgung eine wichtige Funktion: Die Wahlfreiheit der Patienten in den Niederlanden ist zugunsten der Steuerungsfunktion des Hausarztes massiv eingeschränkt. Die verbesserte Koordination und Kontinuität der Versorgung wird in den Niederlanden deutlich höher bewertet als die freie Arztwahl der Patienten.

Anreize für mehr Effizienz.

In den Niederlanden versucht der Gesetzgeber schon seit Mitte der 1990er-Jahre, durch die Einführung von Selektivverträgen Anreize für mehr Effizienz und Effektivität in der gesundheitlichen Versorgung zu setzen. Formal können und sollen die Krankenversicherer sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Versorgung die Versorgung ihrer Versicherten durch Selektivverträge sicherstellen. In der Praxis dominieren jedoch noch immer kollektive Vereinbarungen mit den Berufsverbänden (Hausärzte) beziehungsweise einheitliche und gemeinsame Absprachen unter Beteiligung der Regierung (Krankenhäuser).

Für die Umsetzung von Selektivverträgen in Deutschland lassen sich daraus drei Schlussfolgerungen ziehen. Erstens ist die Abwesenheit von kollektivvertraglichen Regelungen noch keine Garantie für die Einführung von Selektivverträgen. In den Niederlanden werden die Funktionen der Kassenärztlichen Vereinigung zumindest teilweise durch Berufsverbände ersetzt. Zweitens sind Wahlmöglichkeiten für die Krankenversicherer eine wichtige Voraussetzung für die Wirksamkeit von Selektivverträgen. Sind keine Überkapazitäten vorhanden, ist die Drohung mit einem Ausschluss von der Versorgung in Vertragsverhandlungen wenig glaubhaft. Drittens erschwert ein enges Vertrauensverhältnis in der Arzt-Patient-Beziehung den Abschluss von Selektivverträgen. Diese Hindernisse muss auch der Gesetzgeber in Deutschland bei einem Ausbau selektivvertraglicher Optionen berücksichtigen.

Stefan Greß leitet das Fachgebiet Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie sowie den Studiengang „Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik“ an der Hochschule Fulda.
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