Ärztenachwuchs

Gesundheitsämter bluten aus

In den Gesundheitsämtern bleiben zunehmend ärztliche Stellen unbesetzt, warnt Dr. Susanne Johna. Die Internistin und Krankenhaushygienikerin weiß um die Bedeutung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Sie appelliert an die Politik, ihn zu stärken.

In Thüringen muss seit Ende 2018

erstmalig ein Gesundheitsamt ohne Ärzte auskommen – und das, obwohl die aktive Stellensuche, auch mit Headhuntern, bereits 2016 begann. Diese Entwicklung ist bedenklich und stellt nur die Spitze des Eisbergs dar, denn in vielen Gesundheitsämtern sind ärztliche Stellen nicht besetzt. Die Ärztestatistik der Bundesärztekammer bestätigt: Die Zahl der berufstätigen Fachärztinnen und -ärzte für Öffentliches Gesundheitswesen ist in den letzten Jahren deutlich rückläufig. Es besteht ein erheblicher Nachwuchsmangel.

Gleichzeitig wird oft gar nicht wahrgenommen, welche bedeutenden Aufgaben der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) hat. Leider denken viele beim Stichwort ÖGD an Ärzte, die sich von ihrem Schreibtisch nicht wegbewegen. Das ist aber ein falsches Bild. Die Aufgaben des ÖGD sind vielfältig. Als multiprofessioneller Dienst mit direkter Einbindung in die Kommunalverwaltung kennt der ÖGD die Versorgung vor Ort und hat als einziger auch aufsuchende Wirkmöglichkeiten, beispielsweise in sozialen Brennpunkten. Er ist bei den Gesundheitskonferenzen wichtiger Berater der Kommunen und erweitert den individualmedizinischen Ansatz der Medizin durch bevölkerungsmedizinische Aspekte.

Aufgaben in der gesundheitlichen Prävention.

Über multiresistente Keime und die Gefahren ihrer Ausbreitung debattieren mittlerweile nicht nur Experten, sondern auch die breite Öffentlichkeit. Neben vielen guten Projekten zur Reduktion des Antibiotikaverbrauchs, was alle Facharztgruppen betrifft, ist es vor allem der ÖGD, der die Umsetzung der Regelungen überwacht und Verbesserungen anstößt. Laut Infektionsschutzgesetz liegt die infektionshygienische Überwachung beispielsweise von Kliniken, Altenheimen oder Arztpraxen bei den Gesundheitsämtern. Ein weiterer Schwerpunkt sind (Reihen-)Untersuchungen in Krippen, Kindertageseinrichtungen und Schulen. Auch hier findet Gesundheitsprävention statt, deren Bedeutung oft erst klar wird, wenn sie aufgrund von Personalmangel nicht mehr stattfindet. Auch liegt die Koordination der gesundheitlichen Versorgung von Geflüchteten in den Händen des ÖGD.
 
Während international die Bedeutung von Public Health wächst, gibt es in Deutschland weiterhin keinen einzigen Lehrstuhl für den öffentlichen Gesundheitsdienst. Gleichzeitig nehmen die Aufgaben auch im Rahmen von One-Health-Konzepten (Umwelt, Tiere, Menschen) immer weiter zu.

Einsatz bleibt weitgehend unbemerkt.

Der 69. Wissenschaftliche Kongress des ÖGD fand dieses Jahr in Kassel statt und stand unter dem Motto: „Der Öffentliche Gesundheitsdienst: Mitten in der Gesellschaft“. Sonst allerdings wird der ÖGD oft nur am Rand wahrgenommen, wenn überhaupt. In seinem Grußwort hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geschrieben: „Wenn wir an lebensrettende Szenarien … denken, kommen uns verständlicherweise erstmal Notfallstrukturen … in den Sinn. Was hingegen die Mitarbeiter im ÖGD jeden Tag und sehr beharrlich Rettendes tun, zählt zu den großartigen Leistungen, die bestenfalls unbemerkt bleiben.“

Im Öffentlichen Gesundheitsdienst sollten Ärztinnen und Ärzte so viel verdienen wie im Krankenhaus.

Dies beschreibt den Kern des Problems: Obwohl die finanziellen und personellen Ressourcen im ÖGD seit Jahren abnehmen, bleibt diese Veränderung noch weitgehend unbemerkt – was durch den großartigen Einsatz der Ärztinnen und Ärzte in diesem Bereich zu erklären ist. Doch mittlerweile ist es dringend Zeit zu handeln. Die Situation verschärft sich noch dadurch, dass die Babyboomer-Generation in den nächsten Jahren aus dem Berufs­leben ausscheidet.

Keine Zulagen nach Gutsherrenart.

Da hilft es wenig, wenn Gesundheitsministerkonferenzen die Bedeutung des ÖGD immer wieder betonen und die bessere personelle Besetzung fordern. Auch Zulagen, die in einigen Gesundheitsämtern nach Gutsherrenart verteilt werden, senden das falsche Signal. Der Beruf ist für junge Kolleginnen und Kollegen nur attraktiv, wenn die Bezahlung im Rahmen eines verlässlichen Tarifwerks für Ärztinnen und Ärzte den angestellten Ärzten am Krankenhaus gleichgestellt wird. Wie soll man auch erklären, warum Ärzte im Bereich des ÖGD bis zu 1.000 Euro weniger verdienen? Die Bundesärztekammer hat in einem Positionspapier zur Stärkung des ÖGD konzeptionelle Vorschläge erarbeitet, auf die Bund, Länder und Kommunen zurückgreifen können.

Es bleibt zu hoffen, dass den vielen Lippenbekenntnissen der Politik zur Stärkung des ÖGD und zu seiner Bedeutung als dritte Säule des Gesundheitswesens endlich Taten folgen – damit auch morgen noch tatkräftige Ärztinnen und Ärzte im ÖGD für unser aller Gesundheit sorgen.

Susanne Johna ist Mitglied im Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) und Vorsitzende der BÄK-Arbeitsgruppe „Öffentlicher Gesundheitsdienst“.
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