In memoriam: Fritz Schösser 1947–2019
Abschied

Beharrlicher Streiter für Gerechtigkeit

Er setzte sich stets für die Arbeitnehmer ein. Soziale Gerechtigkeit war seine Agenda. Seine Überzeugungen vertrat er konsequent: Fritz Schösser. Unerwartet ist der Gewerkschafter, SPD-Politiker und Versichertenvertreter in der Selbstverwaltung verstorben. Ein Nachruf von Kai Senf

Welch ein Redner!

Seine Stimme war zu hören, ohne dass er ein Mikrofon benötigte. Seine Sätze waren akkurat, sauber formuliert, leicht bayerisch und immer druckreif. Meist ohne Manuskript. Eine Fähigkeit, die an Gewerkschaftsschulen trainiert wird, zur Vollendung aber nur durch persönliches Talent gelangt. Die Stimme schweigt für immer: Fritz Schösser ist im Alter von 71 Jahren verstorben. Die AOK-Gemeinschaft trauert um den ehemaligen bayerischen DGB-Chef, den ehemaligen SPD-Landtags- und Bundestagsabgeordneten, den langjährigen Vorsitzenden des Aufsichtsrates des AOK-Bundesverbandes und Verwaltungsratsvorsitzenden der AOK Bayern.

Seine Stimme hatte Gewicht.

Schösser war nicht nur ein wort- und stimmgewaltiges Erlebnis. Seine Stimme zählte auch. Er war ein politisches Schwergewicht. Interessenvertreter der Arbeitnehmer, Sozial- und Gesundheitspolitiker, Vertreter der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) – ein wahrer Überzeugungstäter, für den soziale Gerechtigkeit und Solidarität den höchsten Wert hatten. Es fällt schwer, Abschied von diesem aufrechten und geradlinigen, humorvollen und toleranten Menschen zu nehmen.
 
Schösser, geboren in Töging am Inn, trat mit 14 Jahren der SPD bei – und ist ihr trotz vieler Auseinandersetzungen treu geblieben. 20 Jahre lang – von 1990 bis 2010 – war er Vorsitzender des DGB Bayern. Weit über Bayern hinaus war er Gesicht und Stimme für die Interessen der Arbeitnehmer. Über alle Partei- und Verbandsgrenzen hinweg anerkannt galt er als leidenschaftlicher, eloquenter und manchmal auch unbequemer Streiter mit großem Sachverstand. Er betrieb aber keine Fundamentalopposition, sondern war zu pragmatischen Lösungen bereit, wenn Arbeitnehmer und sozial Schwache davon profitierten. Er war ein verläss­licher Partner für Politik, Wirtschaft, Kirchen und Sozialverbände.

Sozialpartnerschaft großgeschrieben.

Als Vertreter der sozialpartnerschaft­lichen Grundidee engagierte er sich in der GKV-Selbstverwaltung. Seit 2003 war er alternierender Verwaltungsratsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes und ab 2009 alternierender Vorsitzender des Aufsichtsrats. Zwischen 1993 und 2016 vertrat er als Vorsitzender des Verwaltungsrats der AOK Bayern dort die Interessen der Versicherten. In Schössers aktive AOK-Zeit fielen tiefgreifende Veränderungen: Der AOK-Bundesverband zog um von Bonn nach Berlin (im Jahr 2008) und wurde zur GbR umgewandelt, während gleichzeitig der GKV-Spitzenverband entstand – dessen Verwaltungsratsmitglied er bis 2017 war. Ohne sein Wirken in der Selbstverwaltung wäre die AOK-Gemeinschaft und die GKV nicht das, was sie heute sind.

Bundesweite Schlagzeilen machte er als SPD-Bundestagsabgeordneter durch sein Nein zu den Arbeitsmarkt- und Sozialreformen von Bundeskanzler Schröder und der rot-grünen Bundesregierung. Auch nach seiner aktiven Zeit als Parlamentarier ab 2005 engagierte er sich gegen die aus seiner Sicht verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik der ersten Großen Koalition, für die sinnbildlich die Einführung der Rente ab 67 stand.

Standhaft trotz Gegenwind.

Die Schlagzeilen bedeuteten ihm nichts, ihm ging es um die Sache. Das Absenken des Arbeitslosengeldes II auf Sozialhilfe-Niveau, Niedriglöhne, Riesterrente, Praxisgebühr, höhere Zuzahlungen für Patienten oder die Abkehr von der paritätischen Finanzierung der GKV – die Auswirkungen der Reformen werden heute noch intensiv diskutiert. Einzelne Teile sind wieder zurückgenommen. Vor den Folgen hatte Schösser bereits damals gewarnt. Trotz massiven Drucks und persönlicher Anfeindungen aus den eigenen Reihen blieb er standhaft. Denn er war davon überzeugt, dass es der falsche Kurs war. Aber er wusste auch: Wer als Politiker zu allen Gesetzen nur Nein sagt, ist raus. Um Schlimmeres zu verhindern, muss man konstruktiv mitarbeiten und zum Ergebnis stehen – selbst wenn es weh tut.

Fritz Schösser hinterlässt eine große Lücke. Sein Leben ist ein Aufruf, es ihm gleich zu tun: unnachlässig streiten für seine Überzeugungen. Aufrecht bleiben, auch bei Gegenwind. Dabei menschlich bleiben und nach vorne schauen.

Kai Senf ist Geschäftsführer Politik und Unternehmensentwicklung im AOK-Bundesverband.
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