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Kommentar

Mehr Einfluss in Europa

Die höhere Beteiligung an der Europawahl stärkt das EU-Parlament. Das könnte sich auf die Gesundheitspolitik der Mitgliedstaaten auswirken, meint Peter Eßer.

Für die traditionellen Volksparteien

war die Wahl zum EU-Parlament ein harter Schlag. Europäische Konservative und Sozialdemokraten haben erstmals ihre gemeinsame Mehrheit verloren. Dazu beigetragen haben auch die herben Verluste von CDU und SPD.

Ein Fest für die Extremen war die EU-Wahl dennoch nicht. Parteien wie die fremdenfeindliche italienische Lega haben dem Lager der nationalistischen Europagegner zwar zusätzliche Sitze beschert. Die Kräfteverhältnisse im Europäischen Parlament verschieben sich dadurch aber kaum. Insgesamt kommt das rechtspopulistische Lager auf maximal ein Fünftel der Abgeordneten. Für viel mehr als öffentlichkeitswirksame Protestpolitik wird das nicht reichen, zumal sich die Interessen von Nationalisten aus verschiedenen Ländern unterscheiden.

In Deutschland sind vor allem die Grünen als Sieger aus der Wahl hervorgegangen. Auch in Ländern wie Belgien und Frankreich haben grüne Parteien Achtungserfolge eingefahren. Die FDP hat zwar schlecht abgeschnitten. Dennoch ist es die liberale Parteienfamilie, die EU-weit – getragen vom erstmaligen Einzug der Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ins EU-Parlament – den größten Erfolg verbuchen konnte.

Die politische Mitte ist nicht kollabiert.

Die politische Mitte ist also nicht kollabiert, sondern kleinteiliger geworden. Und das muss kein Nachteil sein. Anders als in nationalen Parlamenten kommt es in Brüssel und Straßburg ohnehin nicht auf eine stabile Regierungsmehrheit an. Im Alltag der Gesetzgebungsprozesse arbeitet die Abgeordnetenkammer der EU mit flexiblen Wechselmehrheiten. Das Ergebnis sind meist nach politischen und geografischen Gesichtspunkten ausgewogene Gesetzestexte.

Vor allem die fast allerorts gestiegene Wahlbeteiligung stärkt hingegen das EU-Parlament als Institution – auch gegenüber dem Rat der Mitgliedstaaten. Das könnte zumindest indirekt auch Auswirkungen auf die EU-Gesundheitspolitik haben. In der Dynamik der EU-Gesetzgebungsprozesse ist es häufig das Parlament, das auf mehr europäische Integration und gemeinsame Ansätze pocht, während sich die Mitgliedstaaten gerade im Gesundheitswesen ungern von Brüssel reinreden lassen. Etwa im Forschungsbereich oder beim Testen und Bewerten von Medikamenten und Technologie kann die Zusammenlegung von EU-Ressourcen aber wichtige Synergie-Effekte bringen.

Peter Eßer ist freier Journalist in Brüssel und berichtet für deutschsprachige Medien.
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