Um die wohnortnahe Versorgung zu gewährleisten, werden mehr Mediziner zugelassen. Doch woher sollen sie kommen?
Bedarfsplanung

Mehr Arztsitze allein reichen nicht

Um einen möglichst wohnortnahen Zugang zu Haus- und Fachärzten sicherzustellen, schafft die Bedarfsplanungs-Richtlinie Tausende neuer Niederlassungsmöglichkeiten. Unklar aber ist, woher die Mediziner kommen sollen. Von Thorsten Severin

Es ist die Aufgabe

des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) von Krankenkassen, Ärzten und Kliniken, eine bundesweit einheitliche Planungssystematik für die ambulante Versorgung zur Verfügung zu stellen. Durch eine im Mai beschlossene Änderung der Richtlinie können 3.466 Mediziner neu zugelassen werden. Zusammen mit den bislang schon unbesetzten Arztsitzen stehen dann bundesweit 6.906 Niederlassungsmöglichkeiten zur Verfügung. Von den neuen Zulassungen entfallen 1.446 auf Hausärzte, 776 auf Psychotherapeuten, 476 auf Nervenärzte und 401 auf Kinder- und Jugendärzte.

AOK sieht Licht und Schatten.

Doch woher sollen die Mediziner kommen? Diese Frage treibt den Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, um. Die Neuregelung werde zwar in vielen Regionen zu zusätzlichen Zulassungen führen und die psychiatrische und neurologische sowie die haus- und kinderärztliche Versorgung verbessern. „Doch das Grundproblem, die mitunter fehlenden Ärzte und die ungleiche Verteilung der vorhandenen Mediziner zwischen verschiedenen Regionen Deutschlands, werden auch neue bundesweite Planungsvorgaben nicht lösen können“, betonte er.

Viele zusätzliche Kapazitäten entstünden in Regionen, in denen es schon heute offene Vertragsarztsitze gebe. Zudem orientiere sich die Bedarfsplanung weiterhin vorrangig am Modell des selbstständigen niedergelassenen Arztes. Anstelle dessen seien mehr innovative und sektorenübergreifende Versorgungsformen notwendig, wie sie etwa die AOK-Initiative „Stadt. Land. Gesund“ aufzeigt.

Telemedizin, Arztnetze und Co: Innovative Angebote müssen die Bedarfsplanung flankieren.

Die Leuchtturmprojekte der Gesundheitskassen machen deutlich, wie sich etwa durch Telemedizin, Versorgungsassistenten und innovative Arztnetze die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen sicherstellen lässt.  

Positive Ansätze.

Die neue Richtlinie zur Bedarfsplanung bietet aus Sicht der AOK aber durchaus positive Anknüpfungspunkte. Litsch hebt lobend hervor, dass zukünftig die Morbidität der Versicherten stärker berücksichtigt werden soll und es alle zwei Jahre eine Anpassung der Verhältniszahlen (Einwohnerzahl pro Arzt) an die demografische Entwicklung geben wird.

Der GBA kam mit der Überarbeitung der Richtlinie dem gesetzlichen Auftrag nach, bis zum 1. Juli die Verhältniszahlen zu überprüfen und die Planungswerkzeuge weiterzuentwickeln. Die Landesausschüsse können von den Rahmenvorgaben allerdings abweichen und mithilfe neuer Instrumente auf den lokalen Bedarf reagieren.

Anpassung vor Ort wichtig.

Der GBA-Vorsitzende Professor Josef Hecken sagte, die Prüfung und Anpassung vor Ort sei essentiell. Von Berlin aus ließen sich letztlich keine passgenauen Regelungen für jeden Kreis und jede Gemeinde treffen. Hecken zeigte sich überzeugt, dass der Beschluss eine „wohnortnähere und an die unterschiedliche Krankheitslast in den einzelnen Regionen angepasste ärztliche Versorgung“ gewährleisten wird.

Größte Profiteure des Anstiegs der Arztsitze seien Bayern und Baden-Württemberg sowie die beiden KV-Bezirke Nordrhein und Westfalen, aber auch die ostdeutschen Bundesländer. In den Stadtstaaten bleibe die Zahl der Arztsitze hingegen im Wesentlichen konstant, weil hier die Versorgungsgrade schon jetzt bis zu 150 Prozent betrügen. Auch in Bayern profitiere beispielsweise nicht die Landeshauptstadt München, dafür aber etwa der Bayerische Wald.

Mehr Psychotherapeuten gefordert.

Der Bundespsychotherapeutenkammer gehen die Beschlüsse nicht weit genug. Notwendig seien nicht 800, sondern 2.400 zusätzliche Psychotherapeuten, beklagte Kammerpräsident Dietrich Munz. Hecken wertete das Ergebnis der Beratungen indes als Zeichen dafür, dass der von der Politik oft gescholtene GBA fristgerecht seine Aufgaben erfülle. Zugleich unterstrich aber auch er, das Problem des Ärztemangels lasse sich mit der neuen Richtlinie nicht lösen. Es komme jetzt darauf an, die Niederlassungsmöglichkeiten für junge Ärzte interessant zu machen.

Lob kam vom GKV-Spitzenverband. Dank der neuen Richtlinie sei es möglich, schneller auf Änderungen in der Alters- und Morbiditätsstruktur der Patienten zu reagieren, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende, Johann-Magnus von Stackelberg.

Thorsten Severin ist Redakteur der G+G.
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