Prävention

Debatte: Ungleichheit führt zu Unsicherheit

Armut birgt Gesundheits-Risiken – und zwar von Geburt an. Wer am unteren Rand der Gesellschaft lebt, stirbt früher, warnt Prof. Dr. Martin Dietrich von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Das Präventionsgesetz unterstützt neue Strategien.

In aller Welt gilt:

Wer am unteren Rand der Gesellschaft lebt, der leidet auch gesundheitlich Not. Das ist in Deutschland nicht anders: Je höher der soziale Status, desto besser die Gesundheit. Zahlreiche Studien belegen geringere Chancen auf eine gute Gesundheit, wenn das  Einkommen, die Schulbildung oder die Stellung im Beruf niedrig sind. Zwar ist die durchschnittliche Lebenserwartung gestiegen; allerdings bei sozial benachteiligten Menschen vergleichsweise langsamer als in anderen Schichten. Außerdem leiden sie häufiger unter Krankheiten.

Ungleichheiten entgegenwirken.

Menschen in schwierigen sozialen Lebenslagen sind von Geburt an größeren gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt. Schlechte Wohnbedingungen, eine geringe Bereitschaft zur Vorsorge und gesundheitsgefährdendes Verhalten sind nur einige der Gründe. Große soziale Ungleichheiten führen zu Stress, Angst und Unsicherheit. Das hat Einfluss auf das Wohlergehen aller in der Gesellschaft. Um Stabilität und Nachhaltigkeit zu gewährleisten, ist es daher dringend erforderlich, gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten entgegenzuwirken, soweit diese vermieden werden können.

Mehr als 30 Jahre nach der Verabschiedung der Ottawa-Charta stehen wir somit immer noch vor der zentralen Herausforderung, gleiche Chancen auf bestmögliche Gesundheit zu verwirklichen. Es ist eine öffentliche Verpflichtung gegenüber allen Menschen, unabhängig von Herkunft, Religion, politischer Überzeugung, Bildung und gesellschaftlichem Status.

Je ärmer die Menschen, umso höher ist ihr Risiko, zu erkranken.

Kinder von Eltern, die so wenig verdienen, dass die Familie unterhalb der Armutsgrenze lebt, haben schon bei der Geburt eine bis zu elf Jahre geringere mittlere Lebenserwartung. Laut Statistik sind sie auch häufiger krank und haben im Schnitt nicht so viele unbeschwerte Lebensjahre, frei von gesundheitlichen Beschwerden. Bei Männern in Deutschland ist der Unterschied zwischen den niedrigsten und höchsten Einkommensgruppen immens, nämlich nahezu 14 Jahre.

Riskantes Gesundheitsverhalten hat nachhaltige Folgen.

Menschen mit geringer Bildung, niedrigem Einkommen und Berufsstatus haben ein, zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko, an Diabetes oder Krebs zu erkranken, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden. Im Vergleich zu anderen, bessersituierten Menschen, treten diese Krankheiten bei ihnen gleichzeitig früher auf, verlaufen schwerer und haben ernstere Folgen für den Alltag und das Miteinander in der Familie, im Freundes- und Kollegenkreis. Die Gründe liegen unter anderem in einem riskanteren Gesundheitsverhalten. So rauchen Mädchen und Jungen aus bildungsfernen Familien beispielsweise öfter als Jugendliche, die im Wohlstand aufwachsen und eine gute Schulbildung genießen. Doch nicht nur der Tabakkonsum ist ein Problem. Ärzte beobachten, dass Kinder aus sogenannten Problemfamilien nur selten zur Früherkennung kommen.

Lebensumfeld gesundheitsförderlich gestalten.

Was tun? Um gesundheitliche Ungleichheiten abzubauen, müssen gesunde Bedingungen geschaffen werden. Nach dem „Health-in-All-Policies-Ansatz“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kann etwa ein Lebensumfeld nur dann gesundheitsförderlich gestaltet werden, wenn bei Planung, Umsetzung und Entscheidungen alle mitwirken: Sozial-, Bildungs-, Umwelt-, Arbeitsmarkt-, Verkehrs- und Wirtschaftspolitiker. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat bereits 2003 den bundesweiten Kooperationsverbund „Gesundheitliche Chancengleichheit“ initiiert, dem mittlerweile insgesamt 71 Organisationen angehören.

Kommunen mit im Boot.

Ein Kooperationsverbund entwickelt Konzepte, um die ressortübergreifende Zusammenarbeit zu stärken. Seit acht Jahren unterstützt der Verbund zudem den Partnerprozess „Gesundheit für alle“. Darin haben sich insgesamt 80 Kommunen verpflichtet, Menschen unterschiedlichster Herkunft mit den verschiedensten Lebenseinstellungen, Wünschen und Beziehungen ein möglichst glückliches, gesundes Leben zu ermöglichen.
 
Seit 2015 stehen Vorsorgemaßnahmen in Deutschland auf einer neuen Gesetzesgrundlage, dem Präventionsgesetz. Indem wir Umsetzung unterstützen, fördern wir als Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes und zusammen mit dem GKV-Bündnis für Gesundheit vor allem Kommunen, damit sie Prävention und Gesundheitsförderung vor Ort weiter entwickeln können: Dort, wo die Menschen leben, lernen und arbeiten.

Martin Dietrich ist stellvertretender Leiter der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und Honorarprofessor für Management des Gesundheitswesens an der Universität des Saarlandes.
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