Regelmäßiger Austausch mit einem Psychologen unterscheidet Selfapy von anderen Online-Coachings.
Ländliche Versorgung

Digitaler Helfer gegen Ängste

Wer an einer Angststörung leidet, sollte sich so schnell wie möglich psychotherapeutische Hilfe suchen. Mit einem Online-Coaching können Versicherte der AOK Niedersachsen die Wartezeit auf einen Therapieplatz überbrücken. Von Tina Stähler

Ein neuer Arbeitsplatz,

eine Prüfung oder ein Vorstellungsgespräch – all das können Situationen sein, die kurzfristig Angst auslösen. Angst kann sogar lebensrettend sein – sie lässt Menschen besonders aufmerksam und reaktionsbereit in realen Gefahren reagieren. Doch was ist, wenn die Angst übermäßig oft und auch in Alltagssituationen auftaucht, die von außen betrachtet völlig harmlos erscheinen? Wenn Angst das Leben einschränkt, belastet und möglicherweise sogar Panik­attacken verursacht? Experten sprechen in diesem Falle von einer Angststörung. Hierzulande sind rund zwölf Millionen Menschen davon betroffen. Damit ge­hören Angststörungen noch vor Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland. Frauen leiden etwa doppelt so häufig an einer Angststörung wie Männer. Die meisten Erkrankungen treten erstmals vor dem 30. Lebensjahr auf.

Hilfe schnell verfügbar.

Es ist wichtig, eine Angststörung richtig und zeitnah zu behandeln, damit diese nicht chronisch wird und keine Begleiterkrankungen wie Depression oder Sucht nach sich zieht. Doch die Wartezeit auf einen Psycho­therapieplatz beträgt in Deutschland im Durchschnitt vier bis fünf Monate.

Hier setzt das Projekt „Online-Coaching bei Angststörungen“ der AOK Niedersachsen an. In Kooperation mit dem Berliner Online-Dienstleister „Self­apy“ – ein Wortspiel aus „Self“ (Selbst) und „Therapy“ (Therapie) – bietet die AOK Niedersachsen ihren Versicherten einen dreimonatigen Onlinekurs gegen Angststörungen an.

„Betroffene sollen durch das Online-Coaching schnell und niedrigschwellig Hilfe in Anspruch nehmen können“, sagt Psychologin Nora Blum, Gründerin und Geschäftsführerin von Selfapy. In Zusammenarbeit mit der AOK Niedersachsen sei Selfapy mit dem Ziel gestartet, die Wartezeit auf einen Therapeutenplatz zu überbrücken. Das Online-Coaching, das die Psychologen von Selfapy in Zusammenarbeit mit Ärzten und Psychotherapeuten entwickelt haben, werde mittlerweile aber auch in anderen Stadien der Erkrankung genutzt, fügt sie hinzu. Das könne bei ersten Symp­tomen sein, wenn ein Betroffener noch gar nicht an eine Psychotherapie denke oder nach einer Psychotherapie, um Rückfälle zu vermeiden.

Zugang von überall.

Die Patienten erhalten über einen Zeitraum von zwölf Wochen Lern­einheiten in Form von interaktiven Übungen, Videos, Audios und Grafiken, die auf Strategien der Verhaltenstherapie gründen. Der Nutzer identi­fiziert dadurch seine persönlichen Angstauslöser und lernt, wie er besser mit ihnen umgehen kann. Dabei hat er – wenn gewünscht – wöchentlichen Kontakt zu einem Psychologen. Selfapy ist also kein reines Onlinetool. Der Austausch mit dem Psychologen per Telefon oder Nachrichtenfunktion kann auch nach Feierabend oder am Wochenende stattfinden. Patienten können das Programm also unabhängig von Ort und Zeit flexibel nutzen. Das ist gerade in einem ländlich geprägten Raum wie Niedersachsen von großem Vorteil. Nach dem Online-Coaching sei die Angststörung in der Regel nicht geheilt, betont Nora Blum. Erste Auswertungen belegen aber eine erhebliche Verbesserung der Symptomatik. Darauf könne mittels psychotherapeutischer Regeltherapie aufgebaut werden.

Persönlicher Ansprechpartner.

Etwa 700 Versicherte der AOK Niedersachsen haben seit Beginn der Kooperation Anfang 2019 das Online-Coaching durchlaufen. Viele kommen auf Empfehlung von Hausärzten und Psychiatern in das Programm. „Durch den spielerischen Aufbau hat der Patient eine noch größere Motivation das Programm auch bis zum Ende zu durchlaufen“, sagt Frank Preugschat, Geschäftsführer des Bereichs Versorgung bei der AOK Niedersachsen. Nora Blum ergänzt: „Gerade weil wir kein reines Onlinetool sind, funktioniert unser Programm. Es ist ein ganz anderes Gefühl für den Nutzer, jemanden an seiner Seite zu haben, mit dem er wirklich über seine Ängste reden kann und der ihm zuhört.“

Tina Stähler ist Redakteurin der G+G.
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