Fünffarbiges Nährwertlogo: Der Nutri-Score soll auf einen Blick über gesunde und weniger gesunde Lebensmittel informieren.
Prävention

Farb-Skala für gesundes Essen

Seit mehr als einem Jahrzehnt schwelt der Streit über eine Lebensmittelkennzeichnung, die bei einer gesünderen Ernährung helfen soll. Bundesagrarministerin Julia Klöckner hat sich nun für das fünffarbige Nährwertkennzeichen Nutri-Score entschieden. Von Thorsten Severin

Sie hatte sich lange

gegen den Nutri-Score gewehrt. Ausschlaggebend für Ministerin Julia Klöckner war dann jedoch eine Verbraucherbefragung, bei der 57 Prozent der 1.600 Teilnehmer für das Nutri-Score-Modell votierten. Der eigene Vorschlag des Ministeriums, der vom Max Rubner-Institut erarbeitet worden war, erhielt 28 Prozent, das schwedische Keyhole-Modell sieben Prozent und das vom Lebensmittelverband ins Rennen geschickte Kennzeichnungsmodell fünf Prozent Zustimmung. Für sie sei das Ergebnis der Verbraucherbeteiligung maßgeblich und sie nehme das ernst, sagte die CDU-Politikerin. „Das ist ein Meilenstein in der Ernährungspolitik.“

Bei dem in Frankreich entwickelten Kennzeichnungsmodell wird auf einer fünfstufigen Farbskala, die von einem grünen „A“ bis zu einem roten „E“ reicht, jeweils ein Buchstabe hervorgehoben. Bei der Einordnung wird der Gehalt an Zucker, Salz und Fett ebenso berücksichtigt wie der Anteil gesünderer Zutaten wie Obst, Gemüse und Proteine. Produkte mit dem roten „E“ sollten besser gemieden werden.
 
Mit Nutri-Score werde es eine Kennzeichnung auf der Vorderseite der Produkte geben, die viele Anforderungen erfülle, die Verbraucher an ein Nährwertkennzeichen hätten, sagte Klöckner: „Es ist auf den ersten Blick erfassbar, leicht zu verstehen und nutzt die eingängige, bereits gelernte Farbwelt einer Ampel.“ Zwar lasse das Modell keine Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Nährwerte zu. Verbraucher erwarteten aber vor allem eine zusammenfassende Bewertung, die schnelle Orientierung gebe.

AOK zeigt sich zufrieden.

Der AOK-Bundesverband begrüßte die Entscheidung für Nutri-Score. Damit renne die Ministerin offene Türen ein, sagte Präventionsexperte Dr. Kai Kolpatzik. Schließlich hätten sich in Deutschland schon einige Konzerne wie Iglo freiwillig bereit erklärt, den Nutri-Score auf ihren Produkten einzuführen. Dies sei ihnen bisher jedoch gerichtlich verboten worden. Ein Blick nach Frankreich zeige, dass viele Hersteller aufgrund des Nutri-Scores ihre Rezepturen im Sinne einer gesünderen Ernährung angepasst hätten.

Die Organisation foodwatch bezeichnete den Nutri-Score als „Goldstandard unter den Nährwertkennzeichnungen“. Expertin Luise Molling fürchtet aber Verzögerungen: „Weil die Kennzeichnung zunächst freiwillig bleibt, sind wir vom Willen der Unternehmen abhängig.“

Lebensmittelindustrie ist skeptisch.

Der Lebensmittelverband Deutschland, dem Organisationen und Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft angehören, gab sich dagegen skeptisch. Sein Verband habe aus wissenschaftlicher Sicht weiterhin Zweifel, „dass bewertende Systeme geeignete Modelle für eine vereinfachte Nährwertkennzeichnung sind“, erklärte Verbandspräsident Philipp Hengstenberg. Eine ernährungsphysiologisch sinnvolle Bewertung könne nur mit Blick auf das gesamte Ernährungsverhalten am Tag erfolgen, nicht aber für ein einzelnes Produkt.
 
Ungeachtet dessen kündigte Klöckner an, sie werde für den deutschen Markt „sehr zeitnah“ die rechtliche Grundlage schaffen und dem Kabinett zur Zustimmung vorlegen. Bei den gesetzlichen Krankenkassen kommt dies gut an. „Es ist erfreulich, dass die Ministerin auf Bundesebene schnellstmöglich Rechts­sicherheit schaffen möchte“, sagte AOK-Experte Kolpatzik. „Damit könnten die Verbraucher schon im nächsten Jahr von der verbesserten Lebensmittelkennzeichnung profitieren – vorausgesetzt, die Hersteller setzen diese um.“ Allerdings müssten weitere Schritte folgen, fordert er. „Deutschland muss sich als nächstes auf EU-Ebene für einen verpflichtenden Nutri-Score einsetzen.“

Thorsten Severin ist Redakteur der G+G.
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