Blutzucker messen: Von den 7,1 Millionen Menschen mit Diabetes Typ 2 sind mehr als die Hälfte über 70 Jahre alt.
Gesundheitsatlas

Zahl der Diabetiker ungleich verteilt

Nahezu jeder zwölfte Bundesbürger hat Typ-2-Diabetes – Tendenz steigend. Dabei ist die Verteilung zwischen den Regionen höchst unterschiedlich. Eine aktuelle Studie liefert Zahlen und Hintergründe. Von Thorsten Severin

Von den 82,7 Millionen Einwohnern

in Deutschland sind insgesamt 7,1 Millionen Menschen erkrankt. Die Zahlen stammen aus dem „Gesundheitsatlas Diabetes“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), der die regionale Verteilung dieser häufigsten Variante der Zuckerkrankheit unter die Lupe nimmt.

Nach den Daten für das Jahr 2017 liegen in Hamburg und Schleswig-Holstein die Erkrankungsraten mit 6,4 beziehungsweise 7,3 Prozent am niedrigsten. Die östlichen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen weisen dagegen verhältnismäßig hohe Raten von jeweils mehr als 11,5 Prozent auf. Sie liegen damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 8,6 Prozent. Eine aktuelle Prognose geht davon aus, dass im Jahr 2040 bis zu zwölf Millionen Menschen in Deutschland an Typ-2-Diabetes erkrankt sein werden.

Heidelberg hat am wenigsten Diabetiker.

Mit einem eigens entwickelten Hochrechnungsverfahren hat das WIdO die Häufigkeit des Diabetes mellitus Typ 2 auf Basis der Abrechnungsdaten der AOK-Versicherten erstmals bis auf die Ebene der mehr als 400 Landkreise und Städte in Deutschland ermittelt. So sind bei den Kreisen und kreisfreien Städten die regionalen Unterschiede noch deutlicher ausgeprägt als auf Ebene der Bundesländer: Die Erkrankungsraten reichen hier von 4,8 Prozent und 4,9 Prozent in den baden-württembergischen Städten Heidelberg und Freiburg bis zu 15,4 Prozent in der brandenburgischen Prignitz, die damit an der Spitze steht.
 
Doch nicht nur im Osten Deutschlands, sondern auch in einigen Kreisen des Saarlands, von Rheinland-Pfalz, Nordbayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen zeigen sich Erkrankungsraten, die deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegen.

Grafik zum  Typ-2-Diabetes: Vergleich der Bundesländer in Prozent

Die geringste Rate an Typ-2-Diabetikern weisen Hamburg und Schleswig-Holstein auf. Die meisten Betroffenen gibt es in den östlichen Bundesländern Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Beim Vergleich der 400 Landkreise schneidet die brandenburgische Prignitz am schlechtesten ab. In Regionen mit vielen alten Menschen leben viele Typ-2-Diabetiker.

Quelle: WIdO, Gesundheitsatlas Deutschland 2019

In einem Vergleich zwischen den deutschen Großstädten ab einer halben Million Einwohnern belegt München mit einem Diabetikeranteil von sechs Prozent den niedrigsten Rang. Auch Hamburg, Bremen und Berlin liegen allesamt deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Essen ist mit einem Diabetikeranteil von 9,7 Prozent am stärksten betroffen.

Die Ursachen der Stoffwechselstörung sind Experten zufolge komplex. Eine wichtige Rolle spielt die Veranlagung. Außerdem steigt das Erkrankungsrisiko stark mit dem Alter. Auch Übergewicht, mangelnde Bewegung, ungesunde Ernährung und Rauchen begünstigen die Entstehung von Diabetes mellitus Typ 2.

Alter spielt wichtige Rolle.

Von den 7,1 Millionen Menschen mit dieser Diabetes-form sind denn auch mehr als die Hälfte über 70 Jahre alt. In den Altersgruppen zwischen 80 und 90 Jahren sind mehr als ein Drittel der Frauen und Männer betroffen. Dementsprechend ist die Krankheit in Regionen mit mehr älteren Einwohnern stärker verbreitet.
 
Zudem zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Adipositas (Fettleibigkeit) unter den Einwohnern einer Region und der Erkrankungsrate. Gebiete, in denen bei wenigen Einwohnern eine Adipositas vorliegt, haben durchschnittlich eine Diabeteshäufigkeit von 7,2 Prozent. Hingegen sind in Regionen, in denen mehr Bürger adipös sind, 11,5 Prozent der Einwohner an Typ-2-Diabetes erkrankt.

Auf dem Land leben mehr Erkrankte.

Auch sind Menschen in ländlichen Regionen häufiger an Typ-2-Diabetes erkrankt als Bürger in städtischen Regionen. So leiden 7,6 Prozent der Einwohner in kreisfreien Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern darunter. Der Vergleichswert in dünn besiedelten ländlichen Kreisen liegt bei 10,1 Prozent. „Eine maßgebliche Rolle spielt dabei, dass in den ländlichen Regionen häufig eine ältere Bevölkerung mit einem höheren Erkrankungsrisiko anzutreffen ist“, erläutert Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO. Der Gesundheitsatlas bestätigt einen weiteren Zusammenhang, der bereits aus anderen Studien bekannt ist: Materiell und sozial benachteilige Menschen erkranken häufiger an Typ-2-Diabetes als Menschen mit einem vergleichsweise hohen ökonomischen und sozialen Status. Bundesweit liegt der Diabetikeranteil in ökonomisch und sozial benachteiligten Regionen bei 11,3 Prozent. In Gebieten, die im Deutschlandvergleich die beste materielle und soziale Ausgangssituation haben, sind lediglich sieben Prozent Typ-2-Diabetiker zu finden.

Die Kommunen schaffen Rahmenbedingungen für gesundes Leben.

Der verglichen mit der Bundesbevölkerung überproportional hohe Anteil älterer Einwohner in den östlichen Ländern erklärt laut Schröder aber nur einen Teil der dort höheren Krankheitshäufigkeit. „Vermutlich spielen verschiedene weitere Faktoren eine Rolle – zum Beispiel das regionale Angebot an Grünflächen und Sportanlagen, die körperliche Bewegung ermöglichen, oder das lokale Ernährungsangebot.“ Hierzu gebe es weiteren Forschungsbedarf.

Hilfe für Bürgermeister und Landräte.

Die Zahlen des WIdO sollen Landräten und Bürgermeistern helfen, ihre regionale Situation einzuordnen, wie Schröder sagt. Sie könnten damit Ansätze entwickeln, um die gesundheitliche Versorgung ihrer  Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. „Denn vor Ort in den Kommunen werden die Rahmenbedingungen für ein gesundes Leben geschaffen.“ Entsprechend haben auch die einzelnen AOKs für ihre Regionen den Bericht ausgewertet und die Ergebnisse öffentlich gemacht.

Gesundheitsatlas Deutschland. Diabetes mellitus Typ 2: Verbreitung in der Bevölkerung Deutschlands und seinen Regionen. Ursachen, Folgen und Präventionsmöglichkeiten. Download

Die Gefahr an Diabetes zu erkranken, ist Experten zufolge deutlich höher, als viele Betroffene denken. In einem bundesweiten Befragungssurvey des Robert Koch-Instituts (RKI) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) schätzten fast 80 Prozent der Befragten, die laut Test­ergebnis ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes aufwiesen, ihr Erkrankungsrisiko selbst als gering ein. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn warnt daher davor, die Gefahr zu unterschätzen. „Das kann schwerwiegende Folgen haben“, sagte der CDU-Politiker anlässlich des Welt-Diabetes-Tages. Es sei wichtig, dass die Krankheit früh erkannt und rechtzeitig behandelt werde.

Krankheit hat schwere Folgen.

Durch einen dauerhaft erhöhten Blutzuckerspiegel werden Blutgefäße und Nerven geschädigt. Bei Diabetikern ist dadurch das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle, Nierenversagen, Fußamputationen oder Schäden am Auge, die bis zur Erblindung führen können, deutlich erhöht. Die Erkrankten haben Studien zufolge gar ein doppelt so hohes altersadjustiertes Sterberisiko im Vergleich zu Menschen ohne Diabetes. Insgesamt sterben sie rund sechs Jahre früher.
 
Wichtigste Säule der Therapie sind eine Lebensstilveränderung mit mehr körperlicher Aktivität und eine Umstellung der Ernährung. Auch zur Vorbeugung werden ausreichend Bewegung, gesunde Ernährung und die Reduzierung von Übergewicht empfohlen.

Thorsten Severin ist Redakteur der G+G.
Bildnachweis: iStock/STEEX