Für Sie gelesen 4

Cover des Buches Die Galle auf Zimmer 7 mit weißer Schrift auf blauem Hintergrund
Patientenversorgung

Auf dem Weg zur humanen Medizin

Das Zeitalter der einseitigen, naturwissenschaftlich aus­gerichteten Medizin neigt sich dem Ende zu, ist sich Jochen Vollmann sicher. Denn unsere heutige alternde Gesellschaft mit multimorbiden, auf Pflege angewiesene Menschen sei weniger auf eine rein kurative Medizin, sondern vielmehr auf psychologische, soziale und therapeutische Leistungen angewiesen. In kurzen, leicht verständlichen Kapiteln beschreibt der Arzt und Medi­zinethiker im vorliegenden Werk die derzeitige Praxis der Kinderwunsch- und Fortpflanzungsmedizin, der Pal­liativversorgung von Schwerkranken, der Früherkennung von Krebserkrankungen oder der Sterbehilfe. Noch immer würde hier wie auch in anderen Bereichen die mess- und quantifizierbare, evidenz­basierte Medizin dominieren mit hohem Risiko für Über- und Fehltherapien. Die Gründe dafür sieht der Autor im herrschenden Effizienz- und Qualitätswettbewerb des Medizinbetriebs. Doch wie kann eine gute Patientenversorgung, die mehr auf Empathie, Zuwendung und Selbstbestimmung basiert, realisiert werden? Welche Anforderungen müssen Arzt und Medizin­system, aber auch Patienten und ihre Angehörige dafür erfüllen? Kurzweilig und verständlich liefert Jochen Vollmann dazu wertvolle Ideen, um die öffentliche Debatte über die Zukunft unserer gesundheitlichen Versorgung anzuregen.
Jochen Vollmann: Die Galle auf Zimmer 7. 2019. 128 Seiten. 16 Euro. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin.

Cover des Buches Übers Sterben reden mit Sven Gottschling, einem der Autoren
Kommunikation

Die Endlichkeit im Blick

Der Tod gehört zum Leben und trotzdem verdrängen ihn viele. Auch dann noch, wenn das Lebenende naht. Keiner weiß das so gut wie der Palliativmediziner Sven Gottschling und die Psychotherapeutin Katja Welsch. Tagtäglich begegnen sie in ihrer Arbeit auf der Palliativstation am Uni­versitätsklinikum Homburg schwerkranken Menschen und ihren Angehörigen, die sich nicht mit dem Lebensende beschäftigt haben. Mit ihrem neuen Buch wollen sie Mut machen, Gespräche über das Sterben und den Tod zu führen. Wie das gelingen kann, zeigen die Autoren nachvollziehbar und anschaulich anhand zahlreicher Modelle und Beispiele aus der Praxis. Dabei liefern sie auch hilfreiche und praxiserprobte Antworten zu schwierigen Fragen: Wie spreche ich mit Kindern über den Tod? Wie kann ich mit Menschen kommunizieren, die mit Blick auf den nahen Tod unter Depressionen, Ängsten, Wut oder Verzweiflung leiden? Und wie gehe ich mit Sterbenden um, die jedes Gespräch über das nahe Lebensende konsequent verweigern? Auch Ausführungen, Checklisten und Formulare zu Patienten- und Betreuungsverfügung, Todesfall, Nachlass und Erben fehlen nicht. Denn die beiden Autoren wissen: Das Ausfüllen dieser Formulare bietet oft eine Möglichkeit, sich der eigenen Endlichkeit bewusst zu werden und mit anderen in Gespräche über Sterben und Tod einzusteigen.
Sven Gottschling, Katja Welsch: Übers Sterben reden. 2019. 304 Seiten. 16,99 Euro. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main.

Cover des Buches Selbstmanagement bei chronischen Erkrankungen, weiße Schrift auf grünem Hintergrund
Chronisch Kranke

Modelle für mehr Kompetenz

Der Nationale Aktionsplan Gesundheitskompetenz fordert, chronisch Kranke dahingehend zu unterstützen, dass sie selbst die Regie bei der Bewältigung ihrer Erkrankung übernehmen. Dies setzt eine hohe Gesundheits- und Selbstmanagementkompetenz voraus. Aber nicht jeder Patient bringt diese Fähigkeiten mit. Entsprechende Förderprogramme stecken hierzulande noch in den Kinderschuhen. Welche Konzepte in Deutschland schon existieren, welche Erfahrungen es auf internationaler Ebene gibt und wie sich diese in das deutsche Gesundheitswesen implementieren lassen, zeigen die Beiträge im vorliegenden Sammelband. Ausführlich besprochen werden das deutschlandweit tätige Netzwerk „Initiative für Selbstmanagement und aktives Leben“ mit den „Gesund und aktiv leben-Kursen“ als zentrales Element. Doch auch kleinere Konzepte wie „Aktiv in der Reha“, das sich an Rehabilitanden mit chronisch muskulo­skelettalen Erkrankungen richtet, oder die krankheitsübergreifende Reha-Schulung „SelMa“ werden vorgestellt. Durch ihre Niedrigschwelligkeit sehen die Autoren besonders in internetbasierten Interventionen großes Potenzial. Die in dem Sammelband vor­gestellten Modelle aus anderen europäischen Ländern bieten Ansatzpunkte für die eigene Ausrichtung.
Gabriele Seidel, Rüdiger Meierjürgen et al: Selbstmanagement bei chronischen Erkrankungen. 2019. 309 Seiten. 59 Euro. Nomos, Baden-Baden.

Cover des Buches Der Kampf um die Würde mit Moderator des SWR-Nachtcafés hat Michael Steinbrecher
Gesellschaft

Schwachen eine Stimme gegeben

Als Moderator des SWR-Nachtcafés hat Michael Steinbrecher regelmäßig Menschen mit bewegenden Biografien zu Gast. In seinem Buch gibt er nun denjenigen eine Stimme, die selten gehört werden: dem Obdachlosen, der Wohnungssuchenden, der Älteren mit kleiner Rente, der Arbeiterin im Niedriglohn­sektor, dem Sterbenskranken. Einfühlsam und berührend zeichnet er ihre Lebens­geschichten nach. Dem Leser wird deutlich, dass Wohnungsnot, Krankheit oder beruf­licher Abstieg schnell dazu führen können, aus der Lebensbahn geworfen zu werden. Am Ende, so empfinden es viele, bleibt das Gefühl, nur noch ein unnützes Objekt sein. Dass es sich bei all den wahren Schicksalen keinesfalls um Einzelfälle handelt, unter­mauert Steinbrecher eindrucksvoll mit Studien sowie Statements von Experten. Die Würde des Menschen ist unantastbar – so steht es im Grundgesetz. Aber sie ist in Gefahr, wenn wir die un­würdigen Zustände in unserer Wohlstandsgesellschaft hinnehmen. Wo es gilt, genauer hinzuschauen, fasst der Autor mit Blick auf die erzählten Schicksale am Ende anschaulich zusammen. Das Buch ist ein aufrüttelnder Appell an Politik und Gesellschaft, die Lebensrealität der Schwachen in unserer Gesellschaft nicht hin- sondern wahrzunehmen.
Michael Steinbrecher: Der Kampf um die Würde. 2019. 256 Seiten. 22 Euro. Verlag Herder, München.

Beate Ebbers ist freie Journalistin in Peine.