Porträt
Kommentar

Das Jahr der Pflege

Der große Wurf bei der Reform der Pflegeversicherung lässt seit Langem auf sich warten. Minister Jens Spahn muss hier 2020 nun unbedingt Pflöcke einschlagen, meint Tim Szent-Ivanyi.

Der Personalmangel sollte behoben,

die „Minutenpflege“ abgeschafft und die Finanzierung gesichert werden: Das Jahr 2011 erklärte der damalige Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) zum „Jahr der Pflege“. Doch es wurde zum Jahr des Stillstands, obwohl dringender Handlungsbedarf bestand. 2020 ist die Lage ähnlich: Die Pflegever­sicherung leistet nicht mehr das, was sie soll.
 
Der Sozialversicherungszweig war eingeführt worden, um eine angemessene, aber auch bezahlbare Pflege zu gewährleisten. Zwar galt von Beginn an ein „Teilkaskoprinzip“, doch auf die Versicherten sollte nur ein kleinerer Teil des Risikos abgewälzt werden. Das aber gilt insbesondere für die Betreuung in einem Pflegeheim nicht mehr. Denn die Eigenanteile der Heimbewohner haben inzwischen schwindelerregende Höhen erreicht. Im Schnitt müssen sie derzeit fast 2.000 Euro im Monat aus der eigenen Tasche beisteuern.

Pflegebedürftige können sich die Eigenanteile nicht mehr leisten.

Schon das können sich viele Pflegebedürftige nicht mehr leisten, weshalb sie auf Sozialhilfe angewiesen sind. Doch das Ende der Fahnenstange ist längst nicht erreicht, denn die Pflegeversicherung braucht mehr Geld. Ohne bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten wird die Personalnot immer größer. Völlig zu Recht strebt die Große Koalition daher an, für  flächendeckende Tariflöhne und mehr Stellen zu sorgen. Das kostet: Etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr sind nötig, um ein akzeptables Lohnniveau zu erreichen. Weitere fünf Milliarden kostet eine angemessene Personalausstattung.

Passiert auf der Finanzierungsseite nichts, werden die Eigenanteile weiter klettern. Aber was tut Jens Spahn? Präsentiert sich der Gesundheitsminister sonst als Mann der Tat, der ohne große Debatten Gesetzentwürfe wie am Fließband produziert, plant er hier erst einmal öffentliche Diskussionsveranstaltungen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Spahn wolle das leidige Thema auf die lange Bank schieben. Schließlich muss das Geld für eine Entlastung der Pflegebedürftigen irgendwo herkommen. Dabei ist die Zeit nicht nur reif, sondern auch günstig: Es hat sich bisher immer bewährt, Sozialreformen in einem breiten politischen Konsens zu beschließen, um den Menschen Sicherheit und Verlässlichkeit zu bieten. Allein für eine Pflegereform würde es sich daher lohnen, dass die Große Koalition weiter macht. 2020 muss zum Jahr der Pflege werden. Diesmal aber wirklich.

Tim Szent-Ivanyi ist Korrespondent beim RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Bildnachweis: privat