Behandlungsfehler

Debatte: Recht versagt im Schadensfall

Der Gesetzgeber schützt Opfer von Behandlungsfehlern völlig unzureichend, sagt Karl-Heinz Schlee. Aus Sicht des Vorsitzenden der Selbsthilfegemeinschaft Medizingeschädigter fehlt der politische Wille zu einer radikalen Reform.

Verursacht jemand einen Schaden,

muss er dafür aufkommen: Dieses Prinzip leitet das Zusammenleben in einer zivilen Gesellschaft. In Arzt-Patienten-Beziehungen jedoch ist es außer Kraft gesetzt. Ausgerechnet Gesundheit und Leben – die höchsten Güter des Menschen – schützt der Gesetzgeber im Schadensfall völlig unzureichend. Opfer von Behandlungsfehlern müssen sich jahrelang auf zermürbende Konfrontationen mit minimalen Erfolgsaussichten einstellen. Sie enden gesundheitlich ruiniert, traumatisiert und gedemütigt in prekären Verhältnissen.

Geschädigte sehen sich oft zu einer Klage genötigt, denn Schädiger verweigern gewöhnlich eine Schadensregulierung aus Sorge um ihre Reputation und unter dem Druck meist zahlungsunwilliger Haftpflichtversicherungen. Sie haben einen monetär längeren Atem, machen das Prozessieren durch die Instanzen zum Prinzip und spekulieren auf die Kapitulation zermürbter Kläger. Enorme finanzielle Risiken dürften die meisten Patienten von einer Klage abhalten. Hinzu kommt: In Deutschland besteht für Mediziner kein Zwang für eine Haftpflichtversicherung, was von vornherein im ungünstigen Fall eine Schadensregulierung unmöglich macht. Selbst im Erfolgsfall bleiben Verbitterung und Wut ständige Begleiter, denn Entschädigungen, die Gerichte oft zubilligen, decken häufig nicht einmal die Prozesskosten der Kläger. Dies gilt mehr noch für vom Gesetzgeber, von Gerichten und von Anwälten favorisierte Vergleiche.

Vielen Sachverständigen fehlt es an Unabhängigkeit.

Das Hauptproblem sind von Gerichten bestellte Sachverständige. Denen fehlt es zu oft an Unabhängigkeit und Integrität. Sie befürchten Nachteile für die eigene Karriere oder Repressalien von Haftpflichtversicherern, wenn sie Kollegen und Versicherungen nicht schonen. So neigen sie dazu, nicht ergebnisoffen zu urteilen, sondern ihre Argumentation auf eine Entlastung ihrer Kollegen hin aufzubauen. Sachverständige wegen Falschaussagen in Regress zu nehmen, ist aussichtslos. Sie fühlen sich aufgrund der fehlenden Sanktionen vielfach zu derartigem Treiben ermutigt.

Enorme finanzielle Risiken halten die meisten Patienten von einer Klage ab.

In über 20 Jahren kann sich die Selbsthilfegemeinschaft Medizingeschädigter an keinen Fall erinnern, in dem Sachverständige unumwunden die Position von Klägern bestätigt hätten. Gelegentlich haben Rechtssuchende Erfolg, weil es ihnen gelingt, die Glaubwürdigkeit der Sachverständigen zu erschüttern oder sie mit Privatgutachtern zu konfrontieren, die sie dazu bringen, ihre Einschätzung zu revidieren. Dies erfordert jedoch Richter, die ihren Sachverständigen kritische Fragen stellen. Desweiteren sind couragierte Privatgutachter nötig, die sich einem Duell vor Gericht stellen. Völlig unverständlich bleibt, warum Sachverständigen keine Qualitätsstandards für die Anfertigung von Gutachten auferlegt werden. Unserer Erfahrung nach genügen Gerichtsgutachten derzeit meist nicht einmal wissenschaftlichen Grundstandards.

Position durch Privatgutachten absichern.

Es wäre fahrlässig, einen Gerichtsprozess zu beginnen, ohne seine Position durch Privatgutachten abzusichern. Solche zu bekommen, erweist sich als schwierig, aber möglich. Bei der Suche bietet beispielsweise die Selbsthilfegemeinschaft Medizingeschädigter Unterstützung. Nur wenige, fähige Anwälte verfügen über Kontakte zu geeigneten Privatgutachtern. Deshalb – und um sich von Sachverständigen kein X für ein U vormachen zu lassen –, sollte man sich gut informieren. Hilfe bietet hier auch das Internet, wo viele Antworten nur einige Klicks entfernt zu finden sind. So lassen sich Argumentationsideen gewinnen, um die Aussicht auf Erfolg bei der Durchsetzung der Ansprüche zu erhöhen.

Wille zur Reform fehlt.

Die zum Teil lasche Auslegung des ohnehin dürftigen Arzthaftungsrechts durch Gerichte hilft Klinikbetreibern und Ärzten, zulasten der Patientensicherheit Kosten zu sparen. Mit dem derzeitigen Arzthaftungsrecht ist es nicht möglich, menschenwürdige Schadensausgleiche herbeizuführen. Geschädigte benötigen deshalb dringend Alternativen, die ihr Elend nicht nur irgendwann, sondern schnell und unbürokratisch mindern. Andere Länder Europas setzen deshalb längst auf Entschädigungsfonds mit realistisch bemessenen Ausgleichssummen. In Deutschland fehlt jedoch der politische Wille zu einer Reform. Diverse Interessenvertreter blockieren sie seit Jahrzehnten.

Karl-Heinz Schlee ist Vorsitzender der Selbsthilfegemeinschaft Medizingeschädigter e. V.
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