Interview

„Das Klima ist rauer geworden“

Bei Rettungseinsätzen kommt es mitunter zu aggressivem Verhalten gegenüber Helferinnen und Helfern. Um Gewalt gegen Einsatzkräfte zu stoppen, setzt Rotkreuz-Experte Wolfgang Kast auf Schulungen und politische Lösungen.

Herr Kast, Sie beklagen eine Zunahme der Gewalt gegen Notärzte und Sanitäter. Woran machen Sie das fest?

Wolfgang Kast: Gewalt gegen Einsatzkräfte ist ein Thema, dass immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. So macht beispielsweise das Bundesinnenministerium mit einer Kampagne darauf aufmerksam, dass Einsatzkräfte immer öfter bei ihrer Arbeit behindert werden. Das Klima insgesamt ist rauer geworden, die Hemmschwellen in Bezug auf Gewaltanwendung sind gesunken. Nicht zuletzt deswegen hat der Gesetzgeber 2017 das Strafgesetzbuch verschärft.

Foto von Wolfgang Kast, Leiter des Teams Team Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz und Rettungsdienst beim Deutschen Roten Kreuz im Bereich Nationale Hilfsgesellschaft

Zur Person

Wolfgang Kast leitet beim Deutschen Roten Kreuz im Bereich Nationale Hilfsgesellschaft das Team Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz und Rettungsdienst.

Viele Menschen rufen den Notarzt wegen Bagatellen. Spielt das für die Zunahme der Gewalt auch eine Rolle?

Kast: Es stimmt: Immer mehr Menschen alarmieren den Rettungsdienst, auch wenn dies gar nicht notwendig wäre. Hilfesuchende sind sich oft nicht sicher, an wen sie sich wenden sollen. Nicht zuletzt deshalb hat der Bundesgesundheitsminister einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, der die Notfallversorgung insgesamt neu regeln soll. Ziel hierbei ist es auch, Hilfesuchende in die richtige Versorgungsebene zu lenken. Es liegt auf der Hand, dass eine höhere Anzahl von Einsätzen Einfluss hat auf die Zahl der Situationen mit aggressivem Verhalten gegenüber den Helfern. Ob dies bei sogenannten Bagatelleinsätzen besonders ausgeprägt ist, dazu lässt sich derzeit keine Aussage treffen.

Was sagen denn die Statistiken dazu?

Kast: Eine bundesweite Übersicht zu aggressivem Verhalten gegen Einsatzkräfte gibt es bislang nicht. Vielerorts werden zwar Daten auf lokaler oder regionaler Ebene erhoben, allerdings qualitativ und quantitativ in unterschiedlichen Umfängen. Das hat uns bewogen, im vergangenen Jahr eine eigene Abfrage zu starten. Eine konkrete und flächendeckende Übersicht über die Häufigkeit und Art der gewalttätigen Übergriffe im Einsatzgeschehen ist erforderlich, um Gründe zu hinterfragen und darauf aufbauend wirkungsvolle Strategien für den Umgang mit möglichen Gefahren im Einsatzalltag entwickeln zu können.

Die Gesellschaft muss akzeptieren, dass Helferinnen und Helfer tabu sind für persönliche Aggressionen.

Was für Material wollen Sie in Ihrer Studie zusammentragen?

Kast: Die Erhebung bezieht unter anderem Daten zur Häufigkeit von aggressivem Verhalten in Einsatzsituationen, zur Art und Schwere von Übergriffen sowie zum Umfeld, also etwa wo und wann der Einsatz stattgefunden hat, mit ein. Berücksichtigt wird beispielsweise, ob der Täter beziehungsweise die Täterin alkoholisiert war oder unter dem Einfluss anderer Drogen stand. Zudem werden weiterführende Fragen hinsichtlich des Umgangs mit Konfliktsituationen gestellt. Wir dürfen in diesem Zusammenhang aber nicht vergessen: Gewalt wird immer individuell wahrgenommen. Verwertbare Erkenntnisse unserer Studie sollen Mitte des Jahres zur Verfügung stehen.

Was muss geschehen, damit Notärzte und Sanitäter ihren Job ohne Angst vor Übergriffen machen können?

Kast: Dazu muss die Gesellschaft akzeptieren, dass Helferinnen und Helfer tabu sind für persönliche Aggressionen. Gegenseitige Akzeptanz ist die Grundlage für ein menschliches Miteinander. Hier ist die Politik gefordert, wirksame Lösungen zu finden. Härtere Strafen allein werden das nicht erreichen. Daneben sehen wir die Notwendigkeit, Einsatzkräfte gezielt zu schulen, damit sie in brenzligen Situationen bestehen können.

Ines Körver stellte die Fragen. Sie ist Redakteurin beim KomPart-Verlag.
Bildnachweis: DRK