Qualifizierung

Neuer Lehrplan für die Pflegeberatung

Wie lässt sich das Wohnumfeld verbessern? Welche Entlastung erhalten pflegende Angehörige? Antworten auf solche Fragen geben Pflegeberaterinnen und -berater. Die AOK bildet sie nun nach einem neuen Konzept noch besser für ihren Einsatz aus. Von Dr. Gerda Apelt

Immer mehr pflegebedürftige

Menschen wollen so lange wie möglich in der eigenen Wohnung bleiben und ein selbstbestimmtes Leben führen. Um ihren individuellen Bedürfnissen besser gerecht zu werden, hat der Gesetzgeber 2009 den Anspruch auf eine individuelle und umfassende Pflegeberatung in das Sozialgesetzbuch eingeführt. In den vergangenen zehn Jahren etablierte die AOK-Gemeinschaft ein flächendeckendes Beratungsnetz. Im Jahr 2018 haben 900 entsprechend qualifizierte Pflegeberaterinnen und -berater bundesweit mehr als 96.700 Pflegebedürftige beraten und betreut – das entsprach insgesamt rund drei Viertel aller Pflegeberatungen in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Um sie noch besser auf ihre komplexen Aufgaben vorzubereiten, hat die AOK nun ein neues Curriculum für die Ausbildung entwickelt (siehe Kasten „Bausteine für die Qualifizierung“).

Breites Spektrum an Angeboten.

Ziel der AOK-Pflegeberatung ist es, den hilfsbedürftigen Menschen und ihrem nahen Umfeld die Informationen und Unterstützung zu geben, die sie benötigen, um die Herausforderungen der Pflegebedürftigkeit selbstbestimmt und in Würde zu meistern. Dabei orientieren sich die Pflegeberaterinnen und -berater stets an den individuellen Bedürfnissen des Rat­suchenden. Je nach Bedarf reicht das Spektrum der Pflegeberatung von Auskünften beispielsweise zum Ausfüllen von Antragsformularen über Informationen zum Umfang verfügbarer Leistungen in der Pflegeversicherung, die allgemeine Beratung beispielsweise zu Entlastungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige oder zu wohnumfeldverbessernden Maßnahmen bis hin zu einem komplexen individuellen Fallmanagement.

Die umfassende Beratung von Pflegebedürftigen setzt spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten voraus.

AOK-Pflegeberaterinnen und -berater sind gut vernetzt. Sie kooperieren mit allen regionalen Anbietern und Trägern anderer Sicherungssysteme wie zum Beispiel kommunalen Beratungsstellen, sozialpsychiatrischen Diensten, Ärzten, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Selbsthilfegruppen, Hospizen, Hilfs- und Heilmittelanbietern und Apotheken sowie ehrenamtlichen Gruppen. Ferner arbeiten sie mit speziellen Beratungsstellen zusammen, die sich zum Beispiel um die Wohnraumanpassung oder um Probleme mit Aggression und Gewalt in der Pflege kümmern.

Anforderungsprofile festgelegt.

Die umfassende Beratung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen setzt spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten und somit eine hohe Qualifikation voraus. Neben Einfühlungsvermögen und einer ausgeprägten Kommunikationsfähigkeit benötigen Pflegeberaterinnen und -berater ein breites Fachwissen in den Bereichen Pflege, Case Management und dem Sozialrecht. Vorgaben zu ihrer Qualifizierung hat der GKV-Spitzenverband bereits im Jahr 2008 formuliert. Basierend auf diesen Empfehlungen entwickelte die AOK im selben Jahr ein erstes Qualifizierungskonzept für ihre Pflegeberaterinnen und -berater. Darin wurden nicht nur die Zulassungsvoraussetzungen und Anforderungsprofile festgelegt, sondern auch die Inhalte der Weiterbildung spezifiziert und an die Besonderheiten der einzelnen AOKs angepasst. Damit hatte die AOK bereits mit der Einführung des gesetzlichen Anspruchs auf Pflegeberatung ein einheitliches Qualitätsniveau für die Weiterbildung definiert.

Evaluation zeigt Unterschiede auf.

Die Ergebnisse einer vom GKV-Spitzenverband veröffentlichten Evaluation aus dem Jahr 2012 zeigten jedoch, dass die Qualität der Beratung in der Pflege von Pflegekasse zu Pflegekasse sehr unterschiedlich ausfiel. Ursache war vor allem die bis dahin fehlende Verbindlichkeit von einheitlichen Qualitätsstandards für die Beratung in der Pflege.

Im Jahr 2016 stellte das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) wissenschaftlich fundierte Qualitätsstandards für die Pflegeberatung bereit (siehe Lese- und Webtipps). Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz von 2018 veröffentlichte der GKV-Spitzenverband Richtlinien für die Pflegeberatung und aktualisierte seine Empfehlungen zur erforderlichen Zahl, Qualifikation und Fortbildung von Pflegeberaterinnen und -beratern. Auf dieser Grundlage und vor dem Hintergrund des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, dem zugrunde gelegten Begutachtungsinstrument sowie dem Qualitätsrahmen für die Beratung in der Pflege des ZQP hat die AOK ihr Konzept für die Weiterbildung der Pflegeberaterinnen und -berater im zweiten Halbjahr 2018 von Professor Dr. Büscher, Hochschule Osnabrück, grundlegend überarbeiten lassen.

Modul I: Pflege, Medizin und häusliche Versorgung (110 Stunden)

Im Modul I erlangen die Pflegeberaterinnen und -berater relevante Kompetenzen aus der Pflege, Medizin sowie den Sozialwissenschaften, um den Versorgungsbedarf in der Häuslichkeit professionell erfassen zu können. Dazu gehören Kenntnisse darüber, wann ein Pflegesetting instabil erscheint, sowie Kenntnisse zu den Besonderheiten im Umgang bei Menschen mit psychischer und kognitiver Beeinträchtigung.

Modul II: Beratungsprozess, Case Management (160 Stunden)

Im Modul II wird die Kompetenz vermittelt, eine bedarfs- und bedürfnisorientierte Beratung durchzuführen. Zudem werden Inhalte des Case Managements angesprochen. Sie sind mit dem Ziel verknüpft, die notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln, um Vernetzungsbedarfe zu erkennen und in komplexen Systemen ergebnisorientiert entscheiden und agieren zu können.

Modul III: Sozialrecht (130 Stunden)

Im Modul III werden die Fachkompetenzen vermittelt, um leistungs- und sozialrechtlich umfänglich beraten zu können.

Quelle: AOK-Bundesverband

Seit Juni 2019 vermittelt es den AOK-Pflegeberaterinnen und -beratern noch präziser die Handlungskompetenzen für die individuelle Beratungssituation. Das neue Weiterbildungskonzept beschreibt sowohl den theoretischen als auch den praktischen Teil der Weiterbildung und zeigt auf, welche fachlichen und methodischen Kompetenzen in 400 Stunden vermittelt werden sollen (siehe Kasten „Bausteine für die Qualifizierung“).

Hohe Fallorientierung.

Dabei orientiert sich der inhaltliche und thematische Aufbau des Weiterbildungskonzeptes am seit 2017 geltenden Pflegebedürftigkeitsbegriff. So fokussiert es im ersten Weiterbildungsmodul nicht nur die Lebensbereiche, die auch für die Einschätzung der Pflegebedürftigkeit im Rahmen des Begutachtungsinstruments betrachtet werden, sondern greift darüber hinaus Themen wie die fachliche Anleitung von Angehörigen und den Stellenwert der Mit- und Selbstbestimmung in der Pflege und Beratung auf.

Das neue Curriculum für die Pflegeberatung vermittelt das Wissen fallorientiert und praxisnah.

Das neue Weiterbildungskonzept vermittelt Wissen praxisnah und hat eine höhere Fallorientierung. Angehenden Pflegeberaterinnen und -beratern soll die Möglichkeit gegeben werden, das benötigte Fachwissen im Zusammenhang mit vielschichtigen Fallbeispielen zu erlernen, anzuwenden und zu festigen.

Das neue Weiterbildungsprogramm geht auf die Besonderheiten der persönlichen Beratungen insbesondere im häuslichen Kontext als auch bei Telefonaten ein. Es erläutert die Unterschiede von Beratung und Case Management. So werden die Beraterinnen und -berater in die Lage versetzt, die Stabilität von Pflegesettings besser zu analysieren.

Variables Praktikum.

Das Curriculum ist anschlussfähig an die bestehenden Formen von beruflicher und hochschulischer Berufsbildung von Sozialversicherungsfachangestellten, Pflegefachpersonen und Sozialarbeitern. Zudem werden die noch zu erwerbenden Kompetenzen für die jeweiligen Berufsgruppen klar gekennzeichnet.

Im Rahmen der Qualifizierung absolvieren die zukünftigen Pflegeberaterinnen und -berater ein Praktikum von neun Tagen. Der Praktikumseinsatz soll Eindrücke des Alltags der Pflegebedürftigen, Angehörigen, der Pflegepersonen und der sonstigen an der Versorgung Beteiligten vermitteln, um das in den Modulen erlernte Wissen mit den praktischen Anforderungen der Pflegeberatung zu verbinden. Die neun Praktikumstage können auf bis zu drei unterschiedliche Einrichtungen verteilt werden. Das neue Weiterbildungskonzept enthält zudem Empfehlungen, welches Praktikum für welche Ausgangsqualifikation besonders wertvoll ist.

Abschluss mit Zertifikat.

Im Rahmen der Abschlussprüfung weisen die angehenden Pflegeberaterinnen und -berater nach, dass sie das erlernte Fachwissen fallbezogen und im sozialen Austausch anwenden können. Mit erfolgreichem Abschluss erhalten sie ein Zertifikat.

Die Qualifizierung von AOK-Pflegeberaterinnen und AOK-Pflegeberatern wird vom AOK-Verlag und der AOK Pflege Akademie berufsbegleitend mit einer Onlinequalifizierung, ergänzt durch Präsenzveranstaltungen, ermöglicht. Dazu wurde eine verständliche und einfach zu nutzende Plattform aufgebaut, über die sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Qualifizierung eigenständig und begleitet durch die Katharina Kasper Akademie und zwei Hochschulen die fachlichen Inhalte erarbeiten.

Gerda Apelt ist Referentin in der Abteilung Pflege im AOK-Bundesverband.
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