Prävention

Debatte: Kinder vor Werbung schützen

Wer in jungen Jahren übergewichtig wird, bleibt dies meist auch als Erwachsener, warnt Barbara Bitzer. Die Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten fordert deshalb ein Verbot von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Lebensmittel.

Was hat eine Fee mit Zuckersaft zu tun?

Mit dem „Elfentrank“ von Capri-Sonne hat man vier Wünsche frei: Banane, Apfel, Zitrone und Erdbeere. Welche Fünfjährige kann da schon widerstehen? Was nicht drauf steht: Mit nur einer Packung „Elfentrank“ nehmen Kinder bereits mehr als die Hälfte der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Höchstmenge für Zucker pro Tag (25 Gramm) auf. Eine böse Hexe wäre die passendere Bebilderung.

Was Hänschen falsch lernt … gesunde Ernährung muss bei den Kleinsten anfangen, das betonen Politiker gern. Doch einen der wichtigsten Einflussfaktoren für ungesunde Ernährung lassen sie unangetastet: an Kinder gerichtete Werbung für Süßigkeiten, Fast Food und zuckerhaltige Softdrinks. Dabei liegen ausreichende Belege vor, dass diese das Essverhalten von Kindern ungünstig beeinflusst. Daher ist ein Verbot von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Produkte zum Schutz der Gesundheit dieser besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppe längst überfällig.

Wo Selbstregulierung nicht funktioniert, steht der Gesetzgeber in der Pflicht.

Die Unternehmen wissen: In der Kindheit bilden sich Gewohnheiten (zum Beispiel Nuss-Nougat-Creme zum Frühstück) und Vorlieben für bestimmte Marken aus. Deshalb gilt aber auch: Wer als Kind übergewichtig wird, bleibt dies fast immer als Erwachsener. Besonders bedenklich ist, dass es einen klaren Zusammenhang zu Einkommen und Bildung der Eltern gibt. Nach aktuellen Daten des Robert Koch-Instituts sind Kinder aus ärmeren Familien in Deutschland durchschnittlich viermal so oft von Adipositas betroffen wie Kinder aus wohlhabenden Familien.

Spots stechen gutes Vorbild aus.

Nach einer Erhebung von foodwatch betrifft 90 Prozent der Kinder-Lebensmittelwerbung Produkte, die nicht den Ernährungsempfehlungen der WHO für Kinder entsprechen. Aber führt Lebensmittel-Werbung wirklich dazu, dass Kinder mehr essen? Oder ist sie nur harmlose Unterhaltung? Zahlreiche Studien haben verglichen, ob Kinder, die beispielsweise Snack-Spots gesehen haben, anders essen als Kinder, die Werbung für ein anderes Produkt gesehen haben (beispielsweise für Spielzeug).

Ergebnis: Nach einem Snack-Spot nehmen Kinder deutlich mehr Kalorien zu sich. Der Effekt zeigt sich unabhängig von der Marke. Fast Food-Werbung kann sogar ein gutes Vorbild der Eltern zunichte machen, wie eine Langzeit-Studie mehrerer US-Universitäten mit 624 Kindern zeigt: Kinder, die im Fernsehen Fast Food-Werbung sehen, konsumierten rund doppelt so häufig Fast Food wie Kinder ohne derartigen Werbeeinfluss, wenn ihre Eltern selten Fast Food konsumieren.

Marketing konterkariert Präventionsprogramme.

Immerhin: Die Politik hat das Problem des kindlichen Übergewichts erkannt. Mit zahlreichen Programmen versuchen Schulen und Kitas, den Jüngsten gesundes Essen nahezubringen. Warum wird dann toleriert, dass Kinder in Fernsehen und Internet einer massiven Beeinflussung ausgesetzt sind, deren Ziel das genaue Gegenteil ist – nämlich, dass Kinder mehr Süßigkeiten und mehr Fast Food essen? Es ist vergleichbar mit einer Situation, in der man ein Feuer auf der linken Hausseite versucht zu löschen, aber zugleich zulässt, dass auf der rechten Seite jemand Benzin hineingießt. Auch deshalb zeigen viele Maßnahmen wie etwa Kochkurse für Kinder kaum eine dauerhafte Wirkung.

Die Lösung liegt auf der Hand.

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt seit Längerem, Kinderwerbung für ungesunde Produkte zu regulieren. Zahlreiche Länder haben dies bereits umgesetzt, unter anderem Norwegen, Schweden und Taiwan. In Chile ist Werbung für ungesunde Produkte in Fernsehen und Kino generell erst ab 22 Uhr erlaubt. Deutschland hingegen lässt Kinderwerbung noch in einem erheblichen Ausmaß zu. Die Industrie hat zwar 2012 auf europäischer Ebene eine Selbstverpflichtung unterzeichnet, Ungesundes nicht mehr an Kinder unter zwölf Jahren zu vermarkten. Diese wird aber nicht umgesetzt.

Dem hat auch die Verbraucherschutzministerkonferenz Rechnung getragen, als sie im Juni 2018 einen Appell an die Bundesregierung verabschiedete, gegen an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel vorzugehen: „Wo Selbstregulierung nicht funktioniert, steht der Gesetzgeber in der Pflicht, wirksame Maßnahmen zum Schutz der kindlichen Gesundheit zu ergreifen.“ Ein Werbeverbot hilft Kindern, normalgewichtig und gesund zu bleiben. Diesem Ziel, und nicht wirtschaftlichen Interessen, müssen wir zuallererst verpflichtet sein.

Barbara Bitzer ist Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft und Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten.
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