Im Wortlaut

„Wir sind für die Herausforderung gerüstet“

Sie stehen an vorderster Front im Kampf um das Leben von Menschen, die schwerst an Covid-19 erkrankt sind: die Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte in Krankenhäusern. Wie sie sich vorbereiten, schildert exemplarisch die Berliner Klinikärztin Dr. Lydia Hottenbacher.

„Die Rettungsstelle des Auguste-Viktoria-Klinikums

in Berlin-Schöneberg ist Anlaufstelle für Menschen, die akut erkrankt sind. Herzinfarkt, Schlaganfall, Frakturen, gastrologische oder psychische Beschwerden – die Krankheitsbilder sind vielfältig, wir haben ein kompetentes Team mit Ärztinnen und Ärzten aus verschiedenen Fachrichtungen, unsere Pflegekräfte sind für diese Aufgabe speziell ausgebildet.

In den vergangenen Wochen kamen immer mehr Patienten mit hohem Fieber, mit Husten und Luftnot, und ihre Frage war stets die gleiche: Habe ich mich schon mit dem Coronavirus angesteckt oder nicht? Wir mussten schnell reagieren und Pa­tientenströme unbedingt trennen. In unserer Rettungsstelle wurde deshalb ein spezieller, absolut isolierter Bereich für Pa­tienten eröffnet, der ausschließlich fokussiert ist auf das Krankheitsbild Covid-19.

Porträt von Lydia Hottenbacher, Berliner Klinikärztin

Zur Person

Dr. Lydia Hottenbacher ist Chefärztin der Rettungsstelle Schöneberg im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin. Zugleich ist sie auch stellvertretende Ärztliche Direktorin dieses Klinikums.

Es gibt seitdem zwei gesonderte Eingänge.

Unsere Ärzte und Pflegekräfte stehen mit Schutzkleidung bereit, um besorgte Menschen aus unterschiedlichsten Altersgruppen zu empfangen, die – ob begründet oder nicht – vermuten, sich infiziert zu haben. Es ist dann nicht immer ganz einfach zu entscheiden, ob tatsächlich ein Anfangsverdacht besteht oder nicht. Für uns sind dabei akute Atembeschwerden ein ganz wichtiges Kriterium.

Uns stehen in der Rettungsstelle Betten für zwölf Patienten zur Verfügung, weitere vier Patienten werden im Sitzen versorgt. Nicht jeder, der gerne bleiben möchte, kann aufgenommen werden. Wer schwer krank und nicht mehr mobil ist, der bleibt. Sind die Symptome eindeutig und ist ein längerer Klinikaufenthalt erforderlich, dann haben wir weitere Optionen: Eine Sta­tion mit Betten und zusätzlichen Intensivbetten kann eingerichtet werden – darüber hinaus bei Bedarf noch weitere Betten und weitere Intensivkapazitäten.

Planung ist das Gebot der Stunde –

über den eigenen Tellerrand schauen, vorbereitet sein für alle nur denkbaren Eventualitäten. Wir wissen: Die Situation kann sich von Tag zu Tag ändern – und wir müssen in der Lage sein, darauf adäquat zu reagieren. Zusätzliche Sicherheit gibt zum Beispiel auch die Einrichtung eines Covid-19-Behandlungszentrums am Berliner Messegelände. Es soll die Kliniken der Stadt unterstützen und bei Bedarf vor allem weniger schwer erkrankte Patienten versorgen.

Was passiert mit Menschen, bei denen ein Anfangsverdacht besteht, die aber nicht in der Rettungsstelle bleiben können? Sind sie noch gut zu Fuß, dann werden sie in speziell eingerichtete Abklärungsstellen in anderen Vivantes-Kliniken geschickt. Diese Einrichtungen arbeiten getrennt vom Krankenhausbetrieb, sie testen nach den Richtlinien des Robert Koch-Instituts auf das Coronavirus. Die meisten dieser Patienten gehen nach dem Test mit Mundschutz erst einmal in die häusliche Quarantäne, bis das Ergebnis vorliegt.

Mit den Abklärungsstellen kann das gesamte Gesundheitssystem, von den Rettungsstellen bis zu Haus- und Amtsärzten, wirksam entlastet werden. Ich denke, dass dieses System effizient funktioniert.

Als wir in unserer Rettungsstelle

mit den ersten Covid-19-Patienten zu tun hatten, gab es viele Fragen und eine spürbare Verunsicherung wegen der Infektionsgefahr. Viele von uns denken an ihre Familien, viele haben Kinder. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, für die die Herausforderung besonders groß ist. Wer als Mitarbeiter zum Beispiel selbst eine chronische Vorerkrankung der Lunge hat und täglich zum Dienst geht, der ist einem permanenten Druck ausgesetzt. Nicht auszudenken, wenn sich Mitglieder des Teams bei der Arbeit anstecken. Das hat es ja in anderen Krankenhäusern schon gegeben und motiviert noch mehr zur konsequenten Beachtung aller Sicherheitsstandards.

Die Situation kann sich von Tag zu Tag ändern – und wir müssen in der Lage sein, darauf adäquat zu reagieren.

Trotz vieler Unwägbarkeiten ist aber klar, dass für unsere Sicherheit alle nur denkbaren Vorkehrungen getroffen sind. Es gelingt uns, die Patienten auf der Station komplett zu isolieren.Wir haben darüber hinaus optimale hygienische Bedingungen, verfügen über genügend Schutzkleidung, Nachschubmangel gibt es aktuell nicht. So gesehen, sind wir für weitere Heraus­forderungen gerüstet.

Bei Vivantes sind mit Blick auf Covid-19 schon früh Konzepte für den Ernstfall entwickelt worden. Ärzte und Pflege­kräfte werden aus weniger frequentierten Bereichen freigesetzt und integriert – in die Rettungsleitstellen/Notaufnahmen, in die Infektiologie, Pneumologie und Intensivmedizin. Wir müssen flexibel bleiben.

Das Thema „Triage“

gehört in unserer Rettungsstelle auch ohne Covid-19-Patienten zum Alltag. Ausgehend von konkreten Indikationen – zum Beispiel Lebensgefahr, Schmerzen, Blutverlust – werden die Symptome der Patienten eingestuft, je nach Schweregrad ergibt sich eine bestimmte Dringlichkeit.

Dieses System der Ersteinschätzung hat allerdings mit der aktuellen Diskussion um eine mögliche Triage bei Corona-Patienten nur wenig zu tun. Was Triage in einer Situation bedeutet, in der die Zahl der Patienten die verfügbaren Behandlungskapazitäten drastisch überschreitet, haben wir aktuell in Frankreich und Italien erlebt. Wenn wir hören, dass Menschen ab einem Alter von 80 Jahren laut Medienberichten nicht mehr beatmet werden sollen, dann ist das bestürzend.

In unseren Ärzteteams wird intensiv diskutiert, wie wir vorgehen müssen, wenn trotz aller Vorplanungen die Versorgungskapazitäten bei Covid-19-Patienten tatsächlich nicht mehr ausreichen. Hoffentlich wird das nicht passieren. Aber wenn wir wider Erwarten an einen Punkt kommen, an dem diese Entscheidungen etwa wegen fehlender Beatmungsgeräte nicht mehr zu vermeiden sind, dann werden wir auf diese Situation vorbereitet sein.

Corona ist Dauerthema in den Medien.

Die Bevölkerung wird seit Wochen umfassend informiert. Hat die Mehrzahl der Menschen eigentlich verstanden, was eine abflachende Kurve von Neuinfektionen tatsächlich bedeutet? Das Tempo der Ansteckungen muss verlangsamt und die Kurve abgeflacht werden, damit sich die schweren Corona-Fälle über einen längeren Zeitraum verteilen und das Gesundheitssystem bei der Versorgung nicht an seine absoluten Grenzen gerät. Aber ob das wirklich jeder verstanden hat?

Verunsicherung gibt es offenbar auch mit Blick auf die Möglichkeiten von Beatmungsgeräten. Anders als viele Menschen glauben, ist mit dem Einsatz dieser Geräte leider nicht grundsätzlich gesichert, dass der Patient auch am Leben bleibt. Das Virus greift direkt die Lungenzellen an: Je stärker die Infektion voranschreitet, desto schwerer fällt den Patienten das Atmen. Es gibt aber Erkrankte, bei denen der Entzündungsprozess schon so weit fortgeschritten ist, dass selbst das Beatmungsgerät nicht mehr helfen kann. Diese Geräte sind für die Versorgung von großer Bedeutung, aber gewiss kein Allheilmittel.

Die Zahl der Patienten wird auch in Berlin

von Tag zu Tag größer werden. Wir stehen vor einer Riesenherausforderung für die medizinische Versorgung, wie es sie in Deutschland in den letzten Jahrzehnten wohl noch nicht geben hat. Doch wie auch immer sich die Lage verändert: Mit hektischem und planlosem Aktionismus kommen wir nicht weiter. Gefragt sind professionelle Gelassenheit, viel Empathie und ein hohes Maß an Motivation, um die Corona-Krise zu überstehen. Wir sind für diese Herausforderung gerüstet.“

Christoph Fuhr erstellte das Wortlautprotokoll. Er ist freier Journalist mit Schwerpunkt Gesundheit.
Bildnachweis: Regina Sablotny