Öffentlicher Gesundheitsdienst

Debatte: Corona-Krise deckt Defizite auf

In der Pandemie-Bekämpfung geraten die Gesundheitsämter an ihre Grenzen – bluten sie doch seit Jahren finanziell und personell aus, wie Dr. Susanne Johna beklagt. Sie fordert eine bessere Vergütung für Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst.

Seit Wochen arbeiten

die Beschäftigten in den Gesundheitsämtern mit hohem persönlichen Engagement daran, das Coronavirus-Infektionsgeschehen nachzuverfolgen und Kontaktpersonen der Infizierten zu ermitteln. Durch diese Arbeit haben sie entscheidend dazu beigetragen, dass es zu keiner Überforderung der ambulanten und stationären Behandlungskapazitäten gekommen ist.
 
Die vielen übrigen Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) müssen parallel zur Infektionsabwehr bewältigt werden. Hierzu zählen beispielsweise die Überwachung des Trinkwassers, Beratungs- und Hilfsangebote für psychisch kranke Menschen – auch in Bereichen, in denen niemand sonst tätig ist – bis hin zur Erstellung amtsärztlicher Gutachten. Ärztinnen und Ärzte in den Gesundheitsämtern sind enorm belastet, genauso wie die anderen Berufsgruppen im ÖGD, die jetzt in den Covid-19-Teams arbeiten: Zahnärzte, Psychologen, medizinische Fachangestellte oder Sozialarbeiter. Lange Arbeitszeiten sind derzeit die Regel.

Freiwillige unterstützen Stammpersonal.

Die Corona-Pandemie macht deutlich: Es ist längst überfällig, dass die Politik mehr zur Unterstützung des ÖGD beiträgt. Denn trotz der vielen Hinweise aus der Ärzteschaft auf die finanziellen und personellen Probleme in den Gesundheitsämtern wird die Situation seit Jahren schlechter statt besser. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage erklärte die Bundesregierung am 20. März dieses Jahres: „Für die Bundesregierung ist ein starker Öffentlicher Gesundheitsdienst von hoher Bedeutung. Dies zeigt sich nicht erst im Zusammenhang mit dem aktuellen Covid-19-Ausbruchsgeschehen.“ Lippenbekenntnisse zur Stärkung des ÖGD gibt es schon lange. Es bedurfte offensichtlich erst einer Pandemie dieses Ausmaßes, damit sich die Politik tatsächlich für die Belange des ÖGD einsetzt.

In der Krise müssen jetzt alle verfügbaren Kräfte mobilisiert werden, um den weitgehend kaputtgesparten und personell ausgebluteten ÖGD zu unterstützen. Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes hat eine Freiwilligenbörse ins Leben gerufen, um kurzfristig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, die bei der Bewältigung der SARS-CoV-2-Epidemie behilflich sind, zum Beispiel bei der Suche nach Kontaktpersonen von Infizierten. Auch viele Medizinstudierende haben sich zur Unterstützung gemeldet.

Es bedurfte offenbar einer Pandemie, damit sich die Politik für den ÖGD einsetzt.

Wie viel nicht-ärztliches Personal im ÖGD arbeitet, lässt sich kaum beantworten. Nur wenige Bundesländer veröffentlichen hierzu Zahlen, sodass dringlich eine bundesweite verlässliche Erfassung eingeführt werden muss.

Finanzhilfen reichen nicht.

Der Bund reagiert mit dem 2. Bevölkerungsschutzgesetz auf einige der Defizite. So werden Finanzhilfen für Investitionen der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände zur technischen Modernisierung der Gesund­heitsämter zur Verfügung gestellt. Das ist gut, aber nicht ausreichend. Die Bundesregierung muss sich bei den Ländern dafür einsetzen, die Leistungsfähigkeit des ÖGD durch eine gute ärztliche Besetzung und weiteres qualifiziertes Personal dauerhaft zu stärken. Arbeiteten im Jahr 1995 noch gut 3.780 Ärztinnen und Ärzte in den Gesundheitsämtern, sind es jetzt 2.500. Ohne wesentlich mehr qualifizierte Fachärztinnen und -ärzte wird der ÖGD seine Aufgaben nicht mehr erfüllen können.

Tarifverhandlungen wieder aufnehmen.

Ausreichend ärztlichen Nachwuchs für den ÖGD zu gewinnen, wird nur gelingen, wenn Ärztinnen und Ärzte dort nach den gleichen Entgeltprinzipien wie ihre Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern bezahlt werden. Gehaltsunterschiede von monatlich 1.000 bis 1.500 Euro gegenüber Ärzten im Krankenhaus verhindern, dass junge Kolleginnen und Kollegen sich für dieses spannende und vielseitige Fach entscheiden.
 
Umso unverständlicher ist es, dass sich die kommunalen Arbeitgeber verweigern, Verhandlungen mit dem Marburger Bund über attraktive Arbeits- und Entgeltbedingungen für Ärzte im ÖGD zu führen. Ein jüngster Versuch ist im vergangenen Dezember trotz verbindlicher Absprachen erneut an der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände gescheitert. Hier wird einfach der Geldhahn zugedreht – auf Kosten der Ärzte und mittelbar auch der Gesundheit der gesamten Bevölkerung. Wir als Marburger Bund erwarten, dass die Tarifverhandlungen für die ÖGD-Ärzte rasch wieder aufgenommen werden. Es liegt nun auch an der Politik, den kommunalen Arbeitgebern klarzumachen, welche Verantwortung sie für die Zukunft des ÖGD tragen.

Susanne Johna ist 1. Vorsitzende des Marburger Bundes und Mitglied im Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) sowie Pandemie­beauftragte der BÄK.
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