Porträt
Kommentar

Gefährlicher Umschwung

Nach dem Shutdown bahnt sich im Land ein folgenreicher Stimmungswechsel an, warnt Gerhard Schröder. Die Politik müsse das Gesundheitswesen endlich krisenfest machen.

Die Zeit des Stillstands ist vorbei.

Die Stunde der Verharmloser ist gekommen. Covid-19 sei doch auch nur eine typische Infektionskrankheit, kaum schlimmer als eine Grippe, jedenfalls kein Grund, gleich das ganze Land stillzulegen. Diese Einschätzung, vorgelegt Anfang Mai in einem Thesenpapier, stammt von renommierten Gesundheitsprofessoren, Experten aus Pflege und Gesundheitswesen. Ihr Befund: Die Bundesregierung befindet sich komplett auf dem Holzweg.

Muss man das ernstnehmen? Ja, man muss. Denn es signalisiert einen Stimmungswechsel in diesem Land, der sich längst auch in den Führungsspitzen des Gesundheitssystems breitmacht. Der Tenor: Das Gröbste ist überstanden, wir wollen zurück zur Normalität. Das ist verständlich, aber gefährlich. Denn es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was passiert, wenn alle Beschränkungen jetzt im Eiltempo aufgehoben würden: Die Zahl der Infektionen wird steigen, das Virus, das gerade unter größten Anstrengungen eingedämmt ist, wird sich wieder ausbreiten, schneller und mit größerer Wucht. Vorausschauende Politik sollte aber nicht erst reagieren, wenn der Notfall schon eingetreten ist, sondern ihn möglichst vermeiden.

Bei einer Pflege-Prämie allein darf es nicht bleiben.

Was also ist zu tun? Die Coronakrise hat gezeigt, dass das deutsche Gesundheitswesen nicht so schlecht ist, wie oft behauptet, aber auch keineswegs so gut, wie es sein sollte. In vielen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen fehlte es schon an den grundlegendsten Dingen: an Atemmasken, Schutzkleidung, Desinfektionsmitteln. Ein Armutszeugnis. Vor allem Pflegeeinrichtungen waren schlecht vorbereitet, hier fehlt es an Strategien, Ressourcen und vor allem Personal. Jetzt heißt es mal wieder: Der Pflegeberuf muss aufgewertet werden. Eine Extraprämie für tapferen Kriseneinsatz soll es geben. Dabei allein darf es nicht bleiben.

Wie schlecht wir auf eine Pandemie vorbereitet sind, zeigt ein Blick in die Gesundheitsämter. Ihnen kommt bei der Bekämpfung des Virus eine Schlüsselrolle zu. Leider gilt auch hier: technologisch völlig abgehängt, personell beängstigend ausgedünnt. Jetzt werden dort in der Not Studenten angeheuert, um Corona zu bekämpfen. Auch das ein alarmierendes Zeichen. Hier sollte die Politik ansetzen: Die Schwachstellen ausfindig machen und beheben, Prävention verbessern und das Gesundheitssystem krisenfest machen.

Gerhard Schröder ist Wirtschaftsredakteur beim Deutschlandfunk Kultur.
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