Krankenhausvergütung

Ohne Aufklärung kein Geld

Krankenhäuser, die ihre Patienten nicht richtig aufklären, riskieren nicht nur haftungsrechtliche Folgen. Auch können sie ihren Anspruch verlieren, ihre erbrachten Leistungen von den Krankenkassen vergütet zu bekommen. Dies hat das Bundessozialgericht entschieden. Von Anja Mertens

Urteil vom 19. März 2020
– B 1 KR 20/19 R –

Bundessozialgericht

Ärzte sind verpflichtet,

Patienten umfassend über Chancen und Risiken einer Behandlung sowie über mögliche Alternativen aufzuklären. Denn nur eine sorgfältige und umfassende Aufklärung führt dazu, dass ein Patient sein grundgesetzlich geschütztes Selbstbestimmungsrecht ausüben kann. Kommt ein niedergelassener oder in einem Krankenhaus arbeitender Arzt der Aufklärungspflicht nicht nach, macht er sich der Körperverletzung strafbar und kann auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagt werden. Wie aber wirkt sich ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht auf den Anspruch auf Vergütung aus? Über diese Frage hatte das Bundessozialgericht (BSG) zu entscheiden.

Alternativtherapie nach Rückfall.

In dem Fall ging es um die stationäre Behandlung eines Patienten mit einem Mantelzelllymphom, eine Form von Lymphdrüsenkrebs. Nachdem der Tumor zunächst im Dezember 2003 erfolgreich behandelt werden konnte, trat 2008 ein Rückfall auf. Es bestand damit eine 70-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass der Patient innerhalb von vier Jahren an der Erkrankung stirbt. Die behandelnden Klinik­ärzte setzten im März 2010 nach mehreren Behandlungsversuchen schließlich auf eine nicht dem medizinischen Standard entsprechende Alternativtherapie, die sogenannte allogene Stammzelltransplantation (SZT). Dazu wurden die Stammzellen eines besonders gut geeigneten Spenders verwendet. Doch zweieinhalb Monate später starb der Patient an den Folgen einer Blutvergiftung und einem Multiorganversagen. Die Klinik stellte der Kasse rund 89.361 Euro in Rechnung. Die Kasse beglich zunächst diesen Betrag. Sie verrechnete jedoch später rund 45.351 Euro aufgrund einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes. Die allogene SZT sei bei dem anscheinend langsam wachsenden Mantelzelllymphom und nicht aggressivem Verlauf medizinisch nicht notwendig gewesen. Darüber hinaus habe die Behandlung nicht dem Qualitätsgebot entsprochen.

Kliniken verstoßen gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit, wenn sie Patienten nicht sorgfältig aufklären, so die Bundesrichter.

Die Studienlage sei unklar gewesen. Auch sei der Patient nicht ausreichend über die Risiken aufgeklärt worden. Die Klinik reichte Klage ein. Das Sozialgericht verurteilte die Kasse, die 45.351 Euro für die allogene SZT zu zahlen. Das Landes­sozialgericht wies die Berufung zurück. Bei dem Mantelzelllymphom handele es sich um eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung, die ohne die allogene SZT binnen kurzer Zeit zum Tode geführt hätte. Statistisch erhöhe sich durch die Therapie die Aussicht auf ein Fünf-Jahres-Überleben von 29 auf 60 Prozent. Demgegenüber habe das individuelle Risiko, an der Behandlung zu versterben, nur bei zehn bis 15 Prozent gelegen. Die Behandlung sei qualitäts­gerecht durchgeführt und der Versicherte ausreichend aufgeklärt worden.

Mängel bei der Aufklärung?

Daraufhin legte die Kasse Revision beim BSG ein. Es hob das Urteil auf und verwies den Fall an das Landessozialgericht zurück. Zwar sei die Vorinstanz zu Recht davon ausgegangen, dass die Behandlung erforderlich und objektiv erfolgversprechend gewesen sowie nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt sei. Allerdings habe das Landessozialgericht nicht geklärt, ob der Patient ordnungsgemäß über Chancen und Risiken aufgeklärt worden sei. Die Aufklärung sei in erster Linie im zivilrechtlichen Haftungsrecht von Bedeutung. Sie diene aber auch dazu, das im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung verankerte Wirtschaftlichkeitsgebot (Paragraf 12 SGB V) zu wahren. Insbesondere bei Therapien, die mit schweren Gesundheitsschäden oder einem hohen Sterberisiko verbunden sind, seien Krankenhäuser zur „besonders sorgfältigen Aufklärung“ verpflichtet. Nur auf der Basis ausreichender Informationen könne der Patient selbstbestimmt entscheiden.

Wettbewerbsrecht, Daten- und Rechtemanagement, Haftung für digitale Produkte, Kooperationsmodelle im Lichte des Datenschutzes – diese und weitere Themen behandelt der 7. Deutsche IT-Rechtstag. Er findet vom 13. bis 14. August in Berlin statt. Veranstalterin ist die Deutsche Anwalt Akademie.

 Weitere Informationen zum 7. Deutschen IT-Rechtstag

Stünden mehrere gleichwertige Behandlungen zur Verfügung, die unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten, so müsse darüber aufgeklärt werden. Dies gelte umso mehr, wenn mit einer der Optionen ein hohes Mortalitätsrisiko verbunden sei. Zur besonders sorgfältigen Aufklärung gehöre auch, dem Patienten palliative Behandlungsmöglichkeiten im Hinblick auf einen relativen Überlebens­vorteil und die damit verbleibende Lebensqualität im Vergleich zu einer mehr oder weniger vagen Aussicht auf Heilung deutlich aufzuzeigen.

Lücken in der Dokumentation.

Außerdem verwiesen die obersten Sozialrichter darauf, dass sich aus der Patientenakte und der beiliegenden Einverständniserklärung nicht entnehmen lasse, ob der Patient hinreichend über die für ihn bestehenden spezifischen Chancen und Risiken der allogenen SZT aufgeklärt worden sei. Das Landessozialgericht habe nicht geklärt, ob der Patient über denkbare Optionen der Behandlung und/oder einer Nichtbehandlung sowie die jeweiligen Chancen und Risiken hinreichend informiert worden sei. So fehlten Aufzeichnungen etwa über die Chancen und Risiken, nach einem möglichen Wiederauftreten des Tumors nochmals eine Remission zu erreichen, um gegebenenfalls erst am Ende eine allogene SZT vorzunehmen. Zudem habe das Landessozialgericht nicht festgestellt, ob der Patient über den damaligen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu den Erfolgsaussichten und Risiken der allogenen SZT aufgeklärt wurde. Dies muss das Landessozialgericht nun nachholen.

Anja Mertens ist Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes.
Bildnachweis: Foto Startseite: iStock/rclassenlayouts