Was hilft in einer psychischen Krise? Das klären Fachkräfte beim Hausbesuch.
Psychiatrie

Regionalbudget flexibilisiert Therapie

Weniger stationäre Aufnahmen, kürzere Verweildauern, mehr Patientenorientierung: In Rheinland-Pfalz läuft das bundesweit größte Modellprojekt mit einem regionalen psychiatrischen Budget. Zu den Erfolgsfaktoren gehören mobile Behandlungsteams. Von Änne Töpfer

Die Zahl der Menschen

mit seelischen Erkrankungen nimmt zu, so auch in Rheinland-Pfalz. Und immer mehr Patienten landen in einer psychiatrischen Klinik – einer künstlichen Umgebung, weitab vom gewohnten Alltag. Das Pfalzklinikum hat deshalb mit aktiver Unterstützung der Krankenkassen und unter Federführung der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland Anfang 2020 einen Vertrag über das bundesweit größte Modellvorhaben mit einem regionalen psychiatrischen Budget geschlossen. Die Laufzeit beträgt zunächst acht Jahre. Das regionale Budget orientiert sich an den Patientenzahlen der Vorjahre und finanziert Leistungen für insgesamt 15.500 Patientinnen und Patienten aller Altersgruppen und aller psychiatrischen Diagnosen, darunter rund ein Drittel AOK-Versicherte. Das Ziel: flexibler auf die Bedürfnisse der Patienten zu reagieren und unnötige stationäre Aufnahmen zu vermeiden.

Feste Bezugspersonen.

Das Pfalzklinikum versteht sich als „Dienstleister für seelische Gesundheit“ und stellt in vielen pfälzischen Regionen psychiatrische, psychosomatische, psychotherapeutische, kinder- und jugendpsychiatrische, gerontopsychiatrische, neurologische, sozialtherapeutische und gemeindepsychiatrische Angebote zur Verfügung. Mit dem Modellvorhaben sollen die Übergänge zwischen stationärer, teilstationärer und ambulanter Behandlung fließender werden. Auf dem gesamten Behandlungsweg werden Patienten künftig von einem festen Team an Bezugspersonen unterstützt, darunter beispielsweise Sozialarbeiter, Ärzte, Pflegekräfte und Psychologen. Diese Teams arbeiten abgekoppelt vom institutionellen Umfeld und suchen die Patienten zu Hause auf.
 
Wenn nun beispielsweise ein Patient in eine ernsthafte Krise kommt, wäre er vor dem Modellvorhaben stationär aufgenommen worden. In Zukunft entscheiden der Patient und gegebenenfalls seine Angehörigen gemeinsam mit den Fachkräften, welche Angebote er in Anspruch nehmen will. Möglich sind auch ambulante und tagesklinische Behandlungen im Wechsel ohne weitere Genehmigungen durch die Krankenkasse. Die ambulante Behandlung erleichtert die Rückkehr in den Alltag. Auch die Corona-Pandemie hat den Bedarf an ambulanten Angeboten erhöht.

Umsetzung mit allen Beschäftigten.

Die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler hob zu Vertragsbeginn die versorgungspolitische Bedeutung hervor: „Wir wissen aus ähnlichen, wenn auch deutlich kleineren Modellprojekten, dass Patienten weniger häufig und kürzer vollstationär aufgenommen werden müssen sowie die Anzahl der Zwangseinweisungen sinkt. Dadurch nimmt die Anzahl an Behandlungsabbrüchen ab, und die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten mit ihrer Behandlung steigt.“ Professorin Dr. Brigitte Anderl-Doliwa, Pflegedirektorin des Pfalzklinikums, ergänzte: „Eine Versorgung, deren oberste Ziele die Personenorientierung, der stärkere Lebensweltbezug der Behandlung und die Selbstbestimmung beziehungsweise Wahlfreiheit sind, beschäftigt uns im Pfalzklinikum schon einige Jahre. Mit dem Modellprojekt können wir hier viel erreichen.“
 
Dr. Martina Niemeyer, Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland, freut sich, „den Menschen gemeinsam mit dem Pfalzklinikum ein Musterbeispiel an ineinandergreifender Versorgung bieten zu können“.
 
Nun arbeitet das Pfalzklinikum daran, das Projekt mit allen Beschäftigten umzusetzen. Unter anderem entwickelt es ein Schulungskonzept für die mobilen Teams und baut sie an weiteren Standorten auf. Das Modellvorhaben wird evaluiert, die Ausschreibung dafür läuft.

Weitere Informationen zum Modellvorhaben des Pfalzklinikums

Änne Töpfer ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
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