Arzneimittelversorgung

Rezeptbox im Supermarkt zulässig

Eine örtliche Apotheke, die zum Versandhandel berechtigt ist, darf Rezepte in einem Supermarkt sammeln und die bestellten Medikamente durch eigene Boten ausliefern. Die Erlaubnis zum Versandhandel umfasst auch diesen Vertriebsweg, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Von Anja Mertens

Urteil vom 23. April 2020
– BVerwG 3 C 16.18 –

Bundesverwaltungsgericht

Die Zeiten,

in denen Produkte eindimensional vertrieben werden, sind längst vorbei. Verbraucher erwarten eine ganze Palette an Optionen, um an ein Produkt zu gelangen. Im Arzneimittelsektor ist neben dem Vertrieb über die klassische „Vor-Ort-Apotheke“ zum einen der Vertrieb über den Online-Shop möglich. Apotheker, die Arzneimittel online vertreiben wollen, benötigen dafür eine Erlaubnis. Die Voraussetzungen, unter denen eine Erlaubnis erteilt wird, regelt Paragraf 11a Apothekengesetz (ApoG). Danach muss eine Apotheke sicherstellen, dass die Arzneimittel so verpackt, transportiert und ausgeliefert werden, dass deren Qualität und Wirksamkeit erhalten bleiben. Zum anderen können Apotheken Rezeptsammelstellen für die Versorgung abgelegener Orte betreiben. Dies muss die zuständige städtische Behörde erlauben (Paragraf 24 der Verordnung über den Betrieb von Apotheken, ApBetrO).

Von städtischer Behörde untersagt.

In dem Fall, den das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden hatte, ging es um eine Apothekerin, die in einer Stadt zwei Filialen betreibt und die Erlaubnis zum Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln besitzt. Um ihren Kunden einen zusätzlichen Service zu bieten, hatte sie in einem örtlichen Supermarkt im Eingangsbereich eine Box aufgestellt. Kunden können dort ihre Rezepte und Medikamentenbestellungen einwerfen. Die Apothekerin leert die Box einmal täglich. Im Stadtgebiet verschickt sie die Medikamente per Bote kostenlos an die Adresse der Kunden. Liegt eine Adresse außerhalb des Stadtgebiets, beauftragt die Apothekerin ein externes Transportunternehmen. Es bringt die Medika­mente dann kostenpflichtig zum Kunden. Die zuständige städtische Behörde untersagte der Apothekerin diese Form des Vertriebs. Diese sei unzulässig. Denn die Box sei von der Versandhandels­erlaubnis nicht umfasst.

Der Arzneiversand im örtlichen Einzugsbereich einer Apotheke ist rechtens, so die obersten Verwaltungsrichter.

Das sah die Apothekerin anders und reichte Klage ein. Doch weder das Verwaltungs- noch das Oberverwaltungs­gericht gaben ihr Recht. Sie vertraten die Auffassung, dass die Sammelbox gegen apothekenrechtliche Vorschriften ver­stoße, weil die Klägerin keine Erlaubnis für den Betrieb einer Rezeptsammel­stelle nach Paragraf 24 ApBetrO besitze. Sie könne eine solche Erlaubnis auch nicht beanspruchen. Der Betrieb einer solchen Box sei auch nicht wegen ihrer Versandhandelserlaubnis zulässig. Das Vertriebsmodell stelle keinen Versandhandel dar. Denn das Modell sei darauf ausgerichtet, Rezepte nur von Kunden aus dem Einzugsbereich der Apotheke zu sammeln und diese anschließend, wie für die Präsenzapotheke typisch, durch Boten der Apotheke auszuliefern. Aus Kundensicht würden die Arzneimittel unmittelbar aus den Räumen der Apotheke abgegeben. Daraufhin legte die Apothekerin Revi­sion beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Versandhandel auch lokal möglich.

Die Leipziger Bundesrichter folgten ihrer Auffassung, dass die Rezeptsammel­stelle eine Form des Versandhandels darstelle. Der Begriff des Versandes im Sinne der arzneimittel- und apothekenrechtlichen Vorschriften umfasse auch einen Vertrieb, der auf einen Versandhandel im örtlichen Einzugsbereich der Apotheke ausgerichtet ist und für die Zustellung eigene Boten der Apotheke einsetzt.

Der Begriff Versandhandel meine nicht nur Vertriebsmodelle mit überregionaler, deutschlandweiter oder internationaler Ausrichtung. Vielmehr unterfalle ihm auch ein Vertriebsmodell, das auf einen Versand im örtlichen Einzugsbereich einer Apotheke ausgerichtet sei und hierfür eigene Boten einsetze.

So habe der Gesetzgeber die Zulassung des Versandhandels mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln vor allem mit dem Anliegen der Verbraucher begründet, ihnen die Beschaffung von Arzneimitteln zu erleichtern. Er habe nicht allein Kunden im Blick gehabt, die keine Apotheke in ihrer Nähe haben, sondern auch chronisch Kranke, immobile Patienten, ältere Menschen und Berufstätige, denen der Versandhandel entgegenkomme. Das Gesetz liefere keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Präsenzapotheke vom regionalen Versandhandel ausschließe. Vielmehr trage ein lokaler Versand den Interessen der Kunden Rechnung, die ihre Bestellungen gezielt bei einer Vor-Ort-Apotheke aufgeben möchten, die sie kennen.

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Auch die Absicht des Gesetzgebers, faire Bedingungen für den Wettbewerb von Versandapotheken mit Präsenzapotheken zu schaffen, könne eine restrik­tive Auslegung nicht rechtfertigen. Das Erteilen der Versandhandelserlaubnis setze voraus, dass der Versand aus einer öffentlichen Apotheke zusätzlich zu dem üb­lichen Apothekenbetrieb erfolgt. Danach gelte für Apotheken mit Sitz im Inland, dass jeder Inhaber einer Versanderlaubnis zugleich Betreiber einer Präsenzapotheke ist. Alle Apotheken könnten die Erlaubnis erhalten. Dass das von der Apothekerin gewählte Vertriebsmodell zu einem signifikanten Rückgang der Apothekendichte führe und die Arzneimittelversorgung gefährden könnte, sei ebenfalls nicht ersichtlich. Die Art und Weise der Zustellung sei rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.

Arzneimittelsicherheit nicht gefährdet.

In diesem Zusammenhang wiesen die Bundesrichter darauf hin, dass der Verbraucherschutz und die Arzneimittel­sicherheit nicht gefährdet seien. Der Transport und die Auslieferung durch eigenes Personal der Apotheke wären gegenüber dem Versand per Post oder durch sonstige Transportunternehmen nicht weniger sicher. Im Gegenteil: Dies dürfte die Sicherheit noch erhöhen.

Anja Mertens ist Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes
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