Porträt
Kommentar

Dukatenesel Steuerzahler

Gesundheitsminister Jens Spahn will künftige Generationen für die Pflegereform zahlen lassen, kritisiert Heike Haarhoff. Sie plädiert für einen konzeptionellen Neuansatz bei der Pflege.

Aus Steuermitteln:

Im Coronajahr geraten neben der Neuverschuldung diese zwei Worte zu einer Floskel, die fälschlicherweise suggeriert, auf ein paar Milliarden mehr komme es nicht an. Denn irgendein Dukatenesel, „der Steuerzahler“ nämlich, werde die Ausgaben stemmen, ohne dass dies kommende Generationen belasten wird. Das ist ein Irrglaube, aber nun hat „aus Steuermitteln“ die soziale Pflegeversicherung erreicht: Sechs Milliarden Euro sollen nach dem Willen des Bundesgesundheitsministers aus dem Bundeshaushalt fließen, um den Eigenanteil an den Kosten, die Menschen in Heimen für ihre Pflege bezahlen müssen, auf 700 Euro pro Monat zu deckeln.

Abgesehen davon, dass diese Deckelung sich nur auf die Kosten für die Pflege bezieht, nicht aber auf die für Unterkunft und Verpflegung – immerhin zwei Drittel der Heimgebühren –, ist Spahns Reform auch in grundsätzlicher Hinsicht Augenwischerei: Der CDU-Politiker rückt von dem Konsens ab, dass die Pflegeversicherung mit Rücksicht auf die Lohnkosten seit jeher nur eine Teilkasko-Police war. Wer mehr wollte, war angehalten, privat vorzusorgen.

Die Mehrheit sollte den Mindeststandard definieren.

Nun ist die Ansicht legitim, dass Pflege eine Sache der gesamten Gesellschaft sein sollte. Ebenso zutreffend ist, dass es für den Einzelnen bitter ist, wenn das angesparte Vermögen, für das ein Leben lang gearbeitet wurde, restlos von der eigenen Pflegebedürftigkeit getilgt oder man direkt in die Sozialhilfe gedemütigt wird. Allein: Wer einen Bruch mit dem bisherigen System will, der sollte diesen zur Abstimmung stellen, bevor er „den Steuerzahler“ damit überrumpelt.

Der US-Rechtsphilosoph Ronald Dworkin, der die Anerkennung der Menschen als Gleiche zum Prinzip erhoben hat, hat hierzu einen Vorschlag gemacht. Heruntergebrochen auf die deutsche Pflegeversicherung geht dieser so: Die Bürger sagen, was sie in einer imaginären Pflegesituation für unverzichtbar halten (Einzelzimmer? Windelwechsel jede Stunde?) und wieviel sie bereit wären, dafür zu bezahlen, ohne zu wissen, ob sie persönlich jemals in diese Lage geraten. Die von der Mehrheit für unverhandelbar gehaltenen Leistungen werden zum Mindeststandard, der sodann gilt und zwar für alle. Schließlich wird seine Finanzierung festgelegt: Umlagesystem, Steuern, alles ist möglich. Wer darüber hinaus etwas möchte, kauft es sich selbst. So transparent. So gerecht.

Heike Haarhoff ist gesundheitspolitische Redakteurin der tageszeitung (taz) aus Berlin.
Bildnachweis: Wolfgang Borrs