Migration

Geflüchtete Schwangere besser versorgen

Weltweit sind über 80 Millionen Menschen auf der Flucht. Viele davon sind Frauen im gebärfähigen Alter. Die geburtshilfliche Versorgung geflüchteter Frauen stellt die Gesundheitsberufe der Aufnahmeländer vor besondere Herausforderungen. Welche das sind und wie sie sich abmildern lassen, beschreibt Anne Kasper.

Etwa ein Drittel der Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, sind weiblich. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zufolge ist etwa die Hälfte aller Frauen mit Fluchterfahrung im gebärfähigen Alter zwischen 16 und 45 Jahren. Wie viele Frauen sich vor, während und kurz nach der Geburt auf der Flucht befinden, ist nicht bekannt. Die Vereinten Nationen gehen aber davon aus, dass ein hoher Anteil der fliehenden Frauen schwanger ist und geburtshilfliche Versorgung benötigt.

In Deutschland regelt das Asylbewerberleistungsgesetz die Leistungen zur Gesundheitsversorgung von Menschen mit Fluchterfahrung. Gemäß Paragraf 4 umfassen diese explizit auch die Geburtshilfe: „Werdenden Müttern und Wöchnerinnen sind ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel zu gewähren.“

Werdende Mütter oft nicht gesund.

Daten zur Gesundheit von Frauen und Müttern mit Fluchterfahrung sind in Deutschland bislang nicht erhoben worden. Internationale Erkenntnisse zeigen jedoch, dass der allgemeine Gesundheitszustand geflüchteter Frauen in der Schwangerschaft, rund um die Geburt und im Wochenbett häufig beeinträchtigt ist. Frauen mit Fluchterfahrung weisen nicht selten mehrere Krankheiten zugleich auf, sowohl Infektionskrankheiten wie HIV oder Malaria als auch chronische Krankheiten, Anämie oder Vitamin-D-Mangel. Geflüchtete Frauen sind aufgrund ihrer Lebensumstände und ihrer Erlebnisse im Zusammenhang mit der Flucht häufig auch psychisch belastet. Hinzu kommen soziale Belastungen, die sich zusätzlich negativ auf ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden auswirken können.

Höheres Risiko für Komplikationen.

Frauen mit Fluchterfahrung haben während der Schwangerschaft ein höheres Risiko für bestimmte gesundheitliche Probleme als Frauen in der Aufnahmegesellschaft. Eine 2016 in Äthiopien durchgeführte Studie zeigte, dass aus dem Sudan dorthin geflüchtete Frauen häufiger unter Anämie litten. Eine Untersuchung in einem Flüchtlings-Camp in Jordanien im Jahr 2015 kam zu dem Ergebnis, dass bei Frauen mit Fluchterfahrung unter der Geburt häufiger Komplikationen wie zum Beispiel vaginale Blutungen auftraten. Ein möglicher Grund dafür sind vorbestehende Beeinträchtigungen, etwa infolge weiblicher Genitalverstümmelung. Aufgrund der besonderen psychischen und sozialen Belastungen geflüchteter Frauen ist auch das Risiko für eine postpartale Depression im Wochenbett erhöht, ergab 2018 eine Studie aus Deutschland.

Erfahrungen aus der Versorgungspraxis.

Die maternale Versorgung und die geburtshilfliche Betreuung geflüchteter Frauen in Deutschland war Gegenstand einer Teilstudie im Rahmen des Forschungskollegs „FlüGe – Herausforderungen und Chancen globaler Flüchtlingsmigration für die Gesundheitsversorgung in Deutschland“ (siehe Kasten „Gesundheitsversorgung Geflüchteter im Fokus“).

Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen fördert seit 2014 in insgesamt zwölf Forschungskollegs die anwendungsbezogene Forschung zu Themen von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz. Eines davon ist das Kolleg „FlüGe – Herausforderungen und Chancen globaler Flüchtlingsmigration für die Gesundheitsversorgung in Deutschland“, das an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld angesiedelt ist. Das Forschungskolleg nimmt die gesellschaftlichen Herausforderungen in den Blick, die sich aus den zunehmenden Fluchtbewegungen kurzfristig ebenso wie langfristig ergeben. Zentrale Themen sind dabei die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen mit Fluchterfahrung. Die erarbeiteten Lösungsmöglichkeiten sollen nicht nur auf wissenschaftlicher Ebene diskutiert, sondern auch in die Praxis integriert werden. Im Rahmen des Kollegs wurde eine breit angelegte Studie zur Gesundheit von Geflüchteten durchgeführt. Ein Teilprojekt des Kollegs befasste sich mit ihrer geburtshilflichen Versorgung.
 

  Weitere Informationen zum Forschungskolleg

Ziel war es, charakteristische Probleme und Herausforderungen sowie typische Lösungswege zu identifizieren, die sich für Frauenärztinnen und -ärzte sowie Hebammen bei der Begleitung geflüchteter Schwangerer ergeben. Dazu wurden zwischen November 2017 und April 2018 insgesamt 31 Hebammen, Frauenärztinnen und -ärzte mit Erfahrung in der Betreuung von geflüchteten Frauen interviewt. Die Interviewten waren teils im ambulanten, teils im stationären Sektor tätig und deckten unterschiedliche geburtshilfliche Leistungsangebote ab, von der Schwangerenvorsorge über die Geburtsbegleitung bis zur Wochenbettbetreuung. Die Summe ihrer unterschiedlichen Erfahrungen, Ansichten und Perspektiven zeichnet ein facettenreiches Bild der geburtshilflichen Betreuung von Frauen mit Fluchterfahrung in Deutschland.

Schwierigkeiten mit dem Gesundheitssystem.

Viele Frauen mit Fluchterfahrung finden sich im deutschen Gesundheitssystem anfänglich nicht zurecht. Für die befragten Frauenärztinnen und Hebammen ist das wenig überraschend. „Alle Menschen mit Fluchterfahrung, die neu nach Deutschland kommen, haben keine Ahnung wie das System hier funktioniert“, erklärt eine Hebamme. „Und manche Dinge kann man auch schwer vermitteln“, wenn jemand „nicht hier aufgewachsen ist.“ Die befragten Expertinnen und Experten schlagen darum vor, in den Erstaufnahmeeinrichtungen Angebote zur Informationsvermittlung zu etablieren, in denen mit der Unterstützung von Sprachmittlern Grundlegendes zum Thema „Schwangersein in Deutschland“ erklärt wird. Solche Angebote könnten den Frauen Sicherheit im System geben und ihre Handlungsfähigkeit stärken.

Langfristige Begleitung oft unmöglich.

Die Interviewten berichten, dass die Betreuung geflüchteter Schwangerer häufig fragmentiert sei. Eine kontinuierliche Begleitung werdender Mütter mit Fluchterfahrung lässt sich demnach nur vereinzelt realisieren: dann nämlich, wenn die Frauen bereits einer Kommune zugewiesen wurden und dort ihren (vorerst) festen Wohnsitz haben. Die Betreuung von Frauen mit Fluchterfahrung in Erstaufnahmeeinrichtungen beschränke sich hingegen auf wenige Kontakte, da die Frauen innerhalb des Landes weiterverteilt würden und die Behandelnden und Hebammen darüber keine Informationen erhielten. Eine Hebamme berichtet, dass sie manche Frauen nur für „ein, zwei Wochen, maximal drei Wochen“ betreuen könne.

Kommunikationsprobleme und ihre Folgen.

Verständigungsschwierigkeiten führen dazu, dass die Behandelnden häufig wenig über ihre Patientinnen mit Fluchterfahrung wissen. Dies betrifft Anamnesedaten ebenso wie die persönlichen Bedarfe und Bedürfnisse der Frauen. Auch Erläuterungen und Aufklärungen zu Maßnahmen und Interventionen in der geburtshilflichen Betreuung sind aus diesem Grund nicht oder nur schwer möglich. Die befragten Fachkräfte beklagen, dass sie aufgrund der sprachlichen Hürden ihren Beruf nicht so ausüben können, „wie wir ihn gerne ausüben würden“. Manche Ärztinnen, Ärzte und Hebammen lehnen als Konsequenz daraus die Betreuung von Frauen mit Fluchterfahrung ab.

Schwangere Frauen mit Fluchterfahrung finden sich im Gesundheitssystem häufig nicht zurecht.

So berichtet eine Frauenärztin aus dem ambulanten Versorgungssektor von Kolleginnen und Kollegen, die Frauen mit Flucht­erfahrung „immer gleich wieder weggeschickt“ hätten. Andere gehen bei der Begleitung von Schwangeren mit Flucht­erfahrung Kompromisse ein und bieten eine reduzierte Betreuung an, die die medizinisch notwendige Versorgung gemäß Leitlinien und etablierten Routinen wie etwa den Mutterschaftsvorsorgeuntersuchungen abdeckt. Eine Hebamme aus der Klinik berichtet, dass sie im Kreißsaal auch Frauen mit Fluchterfahrung „medizinisch versorgen nach Standard“, wozu nach ihrer Aussage unter anderem das Aufnahme-CTG und die Ultraschallkontrolle gehören.

Weniger Mitsprache bei Therapieentscheidungen.

Manche Tätigkeiten rund um die geburtshilfliche Betreuung, wie Erläuterungen zu Untersuchungen oder die Aufklärung über bestimmte Maßnahmen, unterbleiben. Eine niedergelassene Frauenärztin schildert, dass eine Aufklärung zur Pränataldiagnostik „völlig hinten rüber fällt“ und eine Frau mit Fluchterfahrung daher hierzu nicht selbst mitentscheiden kann. Die schwierige Kommunikationssituation kann auch dazu führen, dass bei geflüchteten Frauen risikoreichere oder nachteilige Interventionen durchgeführt werden – etwa, wenn statt einer angeleiteten vaginalen Geburt ein Kaiserschnitt erfolgt oder eine Geburt vorzeitig eingeleitet wird. Ein Frauenarzt aus der Klinik gibt zu Protokoll, aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten würden bei Patientinnen mit Fluchthintergrund mitunter „medizinisch riskantere Dinge“ gemacht.

Es sei „an Absurdität kaum zu überbieten“, wenn bei geflüchteten Schwangeren aufgrund sprachlicher Hürden ein Kaiserschnitt in Voll- statt in Teilnarkose durchgeführt werde. Wenn die Nadel für eine Spinalanästhesie gesetzt sei, „würde ich gerne mit der Frau hinterher reden“, so der Arzt – etwa, um zu prüfen, ob sie neurologische Ausfälle habe. „Und wenn ich das nicht kann, dann sagt meine Fachgesellschaft: Dann mach die Intubationsnarkose.“ Sein Fazit: „Nur, weil sie kein Deutsch können“, würden Frauen mit Fluchterfahrung in solchen Situationen „schlechter behandelt“.

Sprachhürden überwinden.

Eine bessere Verständigung zwischen Frauenärzten oder Hebammen und Frauen mit Fluchterfahrung könnte viele Bereiche der Betreuung positiv beeinflussen. Um eine angemessene Kommunikation zu gewährleisten, schlagen die befragten Expertinnen und Experten verschiedene Verständigungsalternativen vor. Dazu gehört die Suche nach einer „Brückensprache“: einer gemeinsamen Sprache, in der sich Behandelte und Behandelnde verständigen können.

Die im Rahmen des Projekts Interviewten berichten, dass viele Frauen mit Fluchterfahrung „gut Englisch konnten“. Ist eine Verständigung mithilfe einer Brückensprache nicht möglich, können Sprachmittler die Kommunikation ermöglichen. Bei der Wahl der übersetzenden Person sind unterschiedliche Kriterien zu beachten: Sie sollte nach Möglichkeit persönlich anwesend sein (auch wenn das Telefon oder digitales Dolmetschen hilfreiche Alternativen darstellen) und idealerweise für das Dolmetschen im Gesundheitswesen ausgebildet sein. Mehrsprachige Kolleginnen und Kollegen aus dem geburtshilflichen Bereich oder Personen aus dem Umfeld der Frau sollten nur nachrangig für die Sprachmittlung eingesetzt werden, da sie währenddessen ihren eigentlichen Arbeitsplatz verlassen müssten, möglicherweise befangen sein könnten und ihre Sprachkenntnisse für den medizinischen Kontext eventuell nicht ausreichen.
 
Materialien wie zum Beispiel Wörterbücher, Apps oder Bilder sowie die nonverbale Kommunikation können die Verständigung zwischen Frauenärzten oder Hebammen und Frauen mit Flucht­erfahrung ergänzen und unterstützen. Als alleiniges Mittel der Kommunikation sollten sie aber nur dann zum Einsatz kommen, wenn bessere Verständigungsalternativen wie Brückensprachen oder der Einsatz von Sprachmittlern nicht zur Verfügung stehen.

Vernetzung als Ressource.

Eine wichtige Ressource bei der Betreuung von Frauen mit Fluchterfahrung ist aus Sicht der befragten Praktikerinnen und Praktiker die Informationsweitergabe und Vernetzung der verschiedenen Berufsgruppen, die an der Versorgung von Schwangeren mit Fluchthintergrund beteiligt sind. Dazu zählen neben Frauenärztinnen und -ärzten sowie Hebammen auch weitere Gesundheitsberufe wie zum Beispiel Psychotherapeuten. Eine solche Vernetzung könnte helfen, eine angemessene Gesamtbetreuung der betroffenen Frauen zu realisieren, bestehende Probleme gemeinsam zu lösen, sich im Sinne der Frauen miteinander abzustimmen und gemeinsame Ideen für die Betreuung und Versorgung zu entwickeln.

Eine Hebamme hofft, dass durch einen intensiveren Austausch unter allen an der Betreuung Beteiligten „die Arbeit auch erleichtert und verbessert werden“ könnte. Die Vernetzung und Zusammenarbeit käme Frauen mit Fluchterfahrung auch insofern zugute, als durch das Teilen von Informationen zu Diagnosen und Befunden Doppeluntersuchungen und wiederholte unangenehme Befragungen vermieden würden. Außerdem könnten Frauen mit Fluchterfahrung weiterführende und ergänzende Unterstützungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

Weitere Literatur bei der Verfasserin

Anne Kasper ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld.
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