Interview

„Prophylaxe braucht mehr Beachtung“

Gesundes Essen kann zahlreiche Erkrankungen verhindern oder verzögern, darunter auch die Alzheimer-Demenz, sagt Prof. Dr. Christof Kessler. Der Neurologe fordert deshalb, die Ernährungsberatung zu institutionalisieren und angemessen zu honorieren.

Herr Professor Kessler, mit dem Essen einer Demenz vorbeugen – das klingt zu schön, um wahr zu sein. Wie begründen Sie diesen Zusammenhang?

Christof Kessler: Die häufigste Form der Demenz ist die Alzheimer-Demenz. Ihr geht eine Vorstufe voraus, die leichte kognitive Beeinträchtigung. Ursächlich sind unter anderem Risikofaktoren, wie hoher Blutdruck oder Diabetes. Studien haben gezeigt, dass eine gesündere Ernährung das Auftreten einer relevanten Demenz um bis zu sieben Jahre verzögern kann. Auch andere Erkrankungen des Gehirns, wie die Migräne, können positiv beeinflusst werden.

Porträt von Prof. Dr. Christof Kessler, Neurologe

Zur Person

Prof. Dr. Christof Kessler ist als Neurologe in eigener Praxis tätig. Er war Inhaber des Lehrstuhls für Neurologie und Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Greifswald. Eines seiner Forschungsgebiete ist das Thema Hirnplastizität. Ende 2019 ist sein Buch „Essen für den Kopf“ erschienen.

Welches Essen tut unserem Gehirn gut, was sollten wir lieber weglassen?

Kessler: Empfehlenswert ist die mediterrane Kost mit viel Obst und Gemüse. Gut für das Gehirn sind zum Beispiel Beeren, die ein hohes antioxidatives Potenzial haben. Nüsse fördern die Bildung von Neurotransmittern, den Botenstoffen des Gehirns. Generell nicht gut für die Nervenzellen ist Zucker. Er kann eine Demenz, aber auch andere Erkrankungen, wie Depressionen, verstärken. Verzichten sollte man auch auf Transfette, gesättigte Fettsäuren, zum Beispiel in Margarine. Sie verstärken die Arteriosklerose, also die Gefäßverengung beispielsweise im Gehirn.

Wie kamen Sie darauf, sich als Neurologe mit dem Thema Ernährung zu beschäftigen?

Kessler: Mein Spezialgebiet ist der Schlaganfall, bei dessen Prävention die Ernährung eine große Rolle spielt. Bluthochdruck und hohes Cholesterin gelten als Verursacher der Erkrankung. Vielen Menschen ist der Einfluss der Nahrung auf ihre Gesundheit gar nicht bewusst. Sie salzen zum Beispiel nach, ohne das Essen überhaupt probiert zu haben. Es ist immer noch schwer, den Betroffenen zu vermitteln, dass sie sich gesund ernähren müssen, um das Schlaganfall-Risiko zu verringern. In Krankenhäusern gibt es oft zu wenige Informationsmöglichkeiten. Einige Rehabilitationskliniken bieten aber schon präventive Maßnahmen an, wie beispielsweise Kochkurse. Die Ernährungsberatung müsste institutionalisiert werden.

Die Krankenhauskost und das Essen auf Rädern müssten kritisch durchleuchtet werden.

Inwiefern ist hier die Medizin gefragt, welche Rolle spielt sie dabei?

Kessler: Der Gedanke der Prophylaxe braucht mehr Beachtung. Zahlreiche Erkrankungen können durch eine Ernährungsumstellung in ihrem Verlauf gemildert oder sogar verhindert werden. Ob Gastroenterologie, Neurologie oder Allgemeinmedizin – die Ernährung ist für jedes Fachgebiet relevant. Es findet aber bereits ein Wandel statt. So lernen Medizinstudenten heutzutage viel mehr über Prävention.

Wie lassen sich Ernährungsberatung und Prävention weiter stärken?

Kessler: Ich würde mir wünschen, dass fachspezifische Ernährungsleitlinien bekannter würden. Auch sollten Seminare für Patienten und Angehörige eine angemessene Honorierung erfahren. Zudem müssten die Krankenhauskost und das Essen auf Rädern einmal kritisch durchleuchtet werden. Studien zufolge enthalten diese Speisen zum Beispiel oft zu wenig Vitamin B12. Dieses Vitamin hat große Bedeutung im Hirnstoffwechsel. Ein Mangel wiederum verstärkt die Demenz.

Stefanie Roloff führte das Interview. Sie ist freie Journalistin in Berlin.
Bildnachweis: van Ryck Fotographie