Während der Covid-19-Krise mussten bereits zahlreiche planbare Eingriffe verschoben werden, um Platz für Notfälle zu haben.
Stationäre Versorgung

Kliniken meistern die Krise

Sie verschieben planbare Operationen und halten Intensivbetten für Covid-19-Patienten frei: Damit helfen Krankenhäuser, die Pandemie zu bewältigen. Doch Steuergelder und Beitragsmittel sollten mit Augenmaß verteilt werden. Von Dr. Jürgen Malzahn und Dr. David Scheller-Kreinsen

Wo gibt es wie viele

freie Intensivbetten und wie lange reichen diese Ressourcen bei welchen Inzidenzen? Fragen der stationären Versorgung stehen im Zentrum bei der Bewältigung der Corona-Pandemie. Krankenhäuser halten in Abhängigkeit von der Infektionslage ausreichende Kapazitäten für die Behandlung von Covid-19-Patienten vor. Dadurch ist die Auslastung von Kliniken im Jahr 2020 gegenüber 2019 um 13 Prozent gesunken, wie ein Gutachten von Dr. Ulrike Nimptsch und Professor Reinhard Busse, TU Berlin, zeigt. Demnach haben die Kliniken in Deutschland in dem Zeitraum rund 2,5 Millionen Fälle weniger abgerechnet. Aber auch in der Pandemie müssen Patientinnen und Patienten mit anderen Krankheiten, insbesondere in Notfällen wie Herzinfarkt oder Oberschenkelbruch, eine angemessene stationäre Behandlung bekommen.
 
Dabei ist die Finanzierung so zu gestalten, dass die Liquidität der Krankenhäuser gesichert bleibt. Auch der Verwaltungsaufwand sollte in Krisenzeiten so gering wie möglich sein. Etliche Vorschriften, die in der Normalversorgung für eine wirtschaftliche Krankenhausfinanzierung sinnvoll sind, können vorübergehend außer Kraft gesetzt werden. So können die Krankenkassen während der Belastungsspitzen der Kliniken beispielsweise Zahlungsziele verkürzen und Vergütungen für Erlösausfälle wegen der Freihaltung von Kapazitäten zahlen. Allerdings sind diese Änderungen zeitlich klar zu befristen. Zudem sollten sie so gestaltet sein, dass Krankenhäuser elektive Behandlungen nicht länger als unbedingt notwendig unterlassen. Denn nicht nur Notfälle und schwerwiegende Krankheiten wie Krebs müssen unverzüglich behandelt werden. Auch Menschen, die beispielsweise auf eine Gelenk­ersatz-Operation warten, können leiden, wenn der Eingriff verschoben wird.

Abrechnungsprüfung aufrechterhalten.

Auch in Krisenzeiten muss sichergestellt sein, dass die Mittel der Versicherten und die Steuergelder sorgsam eingesetzt werden. Es ist nachvollziehbar, die Fristen für die Abrechnungsprüfung zu entzerren. Die Prüfmöglichkeiten der Krankenkassen müssen aber bestehen bleiben. Matthias Mohrmann, Mitglied des Vorstandes der AOK Rheinland/Hamburg, hat es auf den Punkt gebracht: Es komme doch auch niemand auf die Idee, den Finanzämtern die Überprüfung von Steuererklärungen zu untersagen, da man der Meinung sei, die Unternehmen bräuchten Geld. „Wir trennen das aus gutem Grund: Auf der einen Seite Prüfung und natürlich Sanktionierung falscher Steuererklärungen, auf der anderen Seite gezielte Wirtschaftshilfen für die, die sie tatsächlich benötigen“, so Mohrmann gegenüber dem „Tagesspiegel“.

Der aktuelle Krankenhaus-Report zum Schwerpunkt „Versorgungsketten – Der Patient im Mittelpunkt“ bietet auch eine Analyse der stationären Versorgung in der Corona-Krise. Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) belegt anlässlich der Veröffentlichung des Reportes auf der Basis aktualisierter Daten, dass in den Monaten Oktober 2020 bis Januar 2021 insgesamt ein etwas geringerer Fallzahlrückgang zu verzeichnen war als in der ersten Pandemiewelle im Frühjahr 2020. Anlass zur Sorge geben die Rückgänge bei Notfällen wie Herzinfarkten und Schlaganfällen, aber auch bei Krebs-Operationen. Die Auswertungen des WIdO belegen zudem die Schwere des Krankheitsbildes bei weiterhin hoher Sterblichkeit (18 Prozent) der stationär behandelten Covid-19-Patientinnen und -Patienten. Hinsichtlich der schon zentralisierten Versorgung der Patienten in erfahrenen Häusern wird noch Verbesserungspotenzial gesehen.

J. Klauber, J. Wasem, A. Beivers, C. Mostert (Hrsg.): Krankenhaus-Report 2021. Kostenfreier Download

Zudem gilt es, weiterhin die Qualität der medizinisch-pflegerischen Versorgung sicherzustellen. Die Zentralisierung von Leistungen hilft, dieses Ziel zu erreichen. Maximalversorger, Universitätskliniken und Fachkliniken haben die besten Voraussetzungen für eine adäquate intensivmedizinische Versorgung von Covid-19-Patienten. Sowohl für Krisensitua­tionen als auch für die Zeit nach der Pandemie muss eine weitere Leistungskonzentration erfolgen, um die für die Versorgung notwendigen Strukturvoraussetzungen und Mindestqualitätskriterien zu garantieren. Nur größere Einheiten der stationären Versorgung können kurzfristig und flexibel die personellen Ressourcen für eine Kapazitätsausweitung bereitstellen und verfügen über die notwendige fachliche Vorerfahrung.

Potenzial für Zentralisierung.

Doch inwieweit fanden diese Grundsätze der Krankenhausfinanzierung und -strukturierung in der Corona-Pandemie Anwendung? Nach einer aktuellen Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) auf Basis von AOK-Daten waren an der Versorgung der Covid-19-Patienten von Februar bis November 2020 insgesamt rund 1.250 Krankenhäuser beteiligt. Rund die Hälfte dieser Häuser behandelte 86 Prozent der Covid-19-Fälle. In den allermeisten Fällen erfolgte die Versorgung demnach in größeren Krankenhäusern. Allerdings sind 18 Prozent der AOK-versicherten Covid-19-Patienten, die eine Beatmung benötigten, in Kliniken mit unterdurchschnittlicher Beatmungserfahrung behandelt worden.

Rückgang bei Notfällen.

Die Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausleistungen hat in weiten Bereichen funktioniert. Die Ergebnisse der aktuellen ­WIdO-Studie belegen, dass die Zahl planbarer Eingriffe und Operationen in der ersten Welle der Pandemie gesunken ist. Das war wegen der Freihaltung von Intensivkapazitäten für Covid-19-Patienten beabsichtigt. In der zweiten Pandemiewelle fiel der Rückgang der Fallzahlen trotz höherer Infektionszahlen zunächst geringer aus als im Frühjahr 2020. Ab Dezember lag der Fallzahlrückgang mit Werten von mindestens 20 Prozent auf einem vergleichbaren Niveau wie in den Monaten März bis Mai.

Die Vergütung hat insgesamt zu wenige Anreize für die Wiederaufnahme des Normalbetriebs gegeben.

Eine Auswertung zu einzelnen Indikationen zeigt Unterschiede im Detail. Die Zahl der Herzinfarkt-Behandlungen sank zwischen Oktober 2020 und Januar 2021 um 13 Prozent und damit fast genauso stark wie in der ersten Pandemiewelle (minus 16 Prozent zwischen März und Mai 2020). Das Gleiche gilt für die Zahl der Schlaganfall-Behandlungen, die in der zweiten Pandemiewelle um elf Prozent zurückging (erste Pandemiewelle: minus zwölf Prozent). Bei den planbaren Eingriffen waren nach leichten Nachholeffekten im Sommer zuletzt wieder sinkende Fallzahlen zu verzeichnen. So sank beispielsweise die Zahl der Hüftprothesenimplantationen bei Arthrose im Zeitraum von Oktober 2020 bis Januar 2021 um 21 Prozent. Der Rückgang war jedoch bei Weitem nicht so stark ausgeprägt wie in der ersten Pandemiewelle. Hier lag der Rückgang noch bei 44 Prozent. Ein möglicher Grund: Die Leerstandsfinanzierung erfolgte in der zweiten Welle zielgerichteter. Freihaltepauschalen bekommen seither die Häuser, die in relevantem Umfang Covid-19-Patienten versorgt haben.

Mitnahmeeffekte vermeiden.

Im Jahr 2020 stiegen die Aufwendungen für Krankenhäuser um 14 Prozent. Das ist ein Resultat der Kombination aus der Vergütung von Krankenhausleistungen und den Leerstandspauschalen, die über den Bundeshaushalt finanziert werden. Im Gesamtjahr 2020 stiegen laut Bundesgesundheitsministerium trotz der verminderten Krankenhausfallzahl die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für Krankenhäuser um 1,7 Prozent. Der Bund hat demnach weitere 9,4 Milliarden Euro zur Vergütung der Krankenhäuser aufgewandt. Dass trotz des Auslastungsrückgangs der Kliniken die Vergütung durch die Krankenkassen gestiegen ist, geht auf die zusätzlichen Vergütungsregelungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie zurück. Beispielsweise wurden der Pflegeentgeltwert pauschal erhöht und Zuschläge für persönliche Schutzausrüstung an die Krankenhäuser eingeführt. Besonders beim Rückgang der ersten Corona-Welle zeigte sich deutlich, dass es für etliche Krankenhäuser ökonomisch rational war, die Betten länger als notwendig freizuhalten. Die Vergütung hat insgesamt zu wenige Anreize für die Wiederaufnahme des Normalbetriebs geboten.

  • RWI-Projektbericht: Analysen zur Erlössituation und zum Leistungsgeschehen von Krankenhäusern in der Corona-Krise. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit: RWI – Leibniz-Ins­titut für Wirtschaftsforschung, Technische Universität Berlin, 2021. Zum Download
  • C. Mostert, C. Hentschker, D. Scheller-Kreinsen, C. Günster, J. Malzahn, J. Klauber: Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Krankenhausleistungen im Jahr 2020. In: Krankenhaus-Report 2021, Springer 2021. Kostenfreier Download

Kassen und Kliniken beurteilen das unterschiedlich. Vertreter der Krankenhausseite weisen immer wieder auf prekäre finanzielle Situationen der Kliniken hin. Laut dem Branchenreport 2020 der Sparkassen-Finanzgruppe ist das Insolvenzrisiko der Kliniken jedoch sehr gering. Demnach liegt der Creditreform-Risiko-Indikator für Krankenhäuser aktuell mit 0,27 deutlich unter dem der Gesamtwirtschaft (1,34). Weitere Finanzhilfen für Kliniken sind deshalb mit Augenmaß zu gewähren. Durch undifferenzierte gesetzliche Vorgaben sei es zu Mitnahmeeffekten bei der Leerstands-Finanzierung gekommen, kritisierte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Daher müsse man jetzt gezielt jene Krankenhäuser unterstützen, die für die medizinische Versorgung der Bevölkerung essenziell sind und die Hauptlast in der Pandemie tragen.

Ordnungspolitisch vorsorgen.

Um auf künftige Pandemien oder Katastrophen gut vorbereitet zu sein, sollte der Gesetzgeber grundlegende Finanzierungs- und Verantwortungsfragen regeln. Damit vermeidet er, noch einmal innerhalb von Tagen weitreichende Finanzentscheidungen in Milliardenhöhe treffen zu müssen. Anker sollten dabei die Grundsätze des Sozialgesetzbuchs V sein. Demnach hat „Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft […] die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern“ (Paragraf 1 Satz 1 SGB V). Die Planung und Finanzierung von Vorhaltekapazitäten für den Katastrophen- und Bevölkerungsschutz sind in diesen Aufgaben nicht enthalten. Sie liegt in der Verantwortung der Länder. Gleichzeitig sollten Festlegungen getroffen werden, die den Leistungserbringern größtmögliche Planungssicherheit garantieren, um in extremen Versorgungssituationen die notwendige Handlungs- und Reaktionsfähigkeit zu haben.

Jürgen Malzahn leitet die Abteilung Stationäre Versorgung und Rehabilitation im AOK-Bundesverband.
David Scheller-Kreinsen ist Referatsleiter Stationäre Versorgung, Rehabilitation im AOK-Bundesverband.
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