Cola und Burger – für solche Mahlzeiten werben Unternehmen unter Kindern.
Studie

Werbung gefährdet Kindergesundheit

Schokoriegel, Limo, Chips und Burger – ungesunde Lebensmittel stehen bei Kindern hoch im Kurs. Ein Grund: Unternehmen schneidern ihr Marketing auf die Jüngsten zu. Welchem Werbedruck Kinder ausgesetzt sind, zeigt eine aktuelle Analyse. Von Änne Töpfer

Alle Produkte einer Burger-Kette

bestellen und essen oder sich 24 Stunden ausschließlich von Chips ernähren – Influencer auf Youtube werben auf diese Weise unter Kindern für ungesunde Lebensmittel. Und auch über andere Kanäle, auf eigenen Webseiten, bei Facebook, Instagram und im Fernsehen, vermarkten Unternehmen Süßigkeiten, stark gezuckerte Getränke oder Burger an die Jüngsten.

Eine Analyse der Universität Hamburg, finanziert von der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), dem AOK-Bundesverband sowie sechs medizinischen Fachgesellschaften und Organisationen, hat jetzt ergeben, das mediennutzende Kinder zwischen drei und 13 Jahren im Durchschnitt täglich 15 Spots oder Anzeigen für stark gezuckerte, übermäßig fetthaltige oder salzige Lebensmittel sehen. Führend ist dabei immer noch das Fernsehen mit zehn Spots pro Tag und Kind. „Bei TV-Werbung für ungesunde Lebensmittel entfallen 70 Prozent auf das Kindermarketing“, berichtete Studienleiter PD Dr. Tobias Effertz bei der Vorstellung der Ergebnisse. „Die Spots richten sich durch ihre Aufmachung oder das Umfeld der Ausstrahlung direkt an Kinder.“

Selbstverpflichtung ist gescheitert.

Studien belegten, dass an Kinder gerichtete Werbung rasch wirke, betonte Professor Dr. Hans Hauner, Ernährungsmediziner an der TU München und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Diabetes Stiftung. „Kinder sind leicht manipulierbar. Das nutzt die Ernährungsindustrie unverblümt aus“, so Hauner auf der Pressekonferenz zur Veröffentlichung der Studie „Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel in Internet und TV“. Der Ernährungsexperte warnte: „Werbung für ungesunde Kinder-Lebensmittel ist schädlich. Die Gesellschaft muss überlegen, was sie dagegen tut.“

Studie „Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel in Internet und TV“, Pressemitteilung des AOK-Bundesverbandes vom 11.3.2021: Ungesunde Lebensmittel: Kinder im Fadenkreuz der Werbung

Auch Dr. Sigrid Peter, Kinderärztin in Berlin und stellvertretende Vor­sitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, sieht dringenden Handlungsbedarf. Sie wies darauf hin, dass Übergewicht und Diabetes Typ 2 bei Kindern deutlich zugenommen hätten. „Meine Aufgabe ist es, Kinder gesund zu halten oder wieder gesund zu machen. Das fällt schwer, wenn sie immer wieder dieser Versuchung ausgesetzt sind“, so Peter. „Wir Kinderärzte sind machtlos. Wir brauchen Regelungen auf oberster Ebene, die Kindermarketing für un­gesunde Lebensmittel verhindern.“

Das bekräftigte Prof. Dr. Kai Kolpatzik, Leiter der Abteilung Prävention beim AOK-Bundesverband. Seit 2017, als die Ergebnisse einer ersten Studie zum Kindermarketing vorlagen, habe sich nichts getan. „Die aktuelle Studie zeigt erneut, dass seitens der Lebensmittelindustrie offenkundig keine Übernahme von Verantwortung oder Unterstützung zu erwarten ist“, so Kolpatzik. „Es wird daher höchste Zeit, diese Branche in die Pflicht zu nehmen. Denn freiwillige Selbstverpflichtungen, ganz egal ob im Rahmen der Nationalen Zucker-Reduktionsstrategie oder beim Werbeverbot für Kinderlebensmittel, liefen bisher ins Leere.“

Verbote sind wirksam.

Für ein solches Werbeverbot gebe es in der Wissenschaft einen großen Konsens, berichtete DANK-Sprecherin Barbara Bitzer. „Das Verbot ist mehr als überfällig. Es gehört auf die politische Agenda und in den nächsten Koalitionsvertrag“, so Bitzer. „Die Gewinninteressen von Unternehmen dürfen nicht höher bewertet werden als die Gesundheit unserer Kinder.“

Tobias Effertz empfahl Regelungen auf Bundesebene „analog der Tabakwerbung“. Das Kindermarketing-Verbot sollte sich auf alle ungesunden Lebensmittel und alle Massenmedien erstrecken, so der Wirtschaftswissenschaftler. Dass entsprechende Regulierungen wirksam seien, zeige sich an Beispielen aus Südamerika und Nordeuropa. Das Rechtsgut „Gesundheit der Kinder“ wiege höher als die Meinungs- und Berufsfreiheit der Lebensmittelindustrie. „Es wird weiter Kinder geben, die Süßigkeiten essen, und auch noch Werbung für ungesunde Lebensmittel.“ Aber die dürfe sich nur noch an Erwachsene richten, so Effertz.

Änne Töpfer ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
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