Interview

„Der Energieverbrauch muss sinken“

Mit dem Einsatz erneuerbarer Energien, mit reparierbaren Geräten oder einem Blauen Engel für Rechenzentren lässt sich bei der Digitalisierung für Nachhaltigkeit sorgen, meint Friederike Rohde. Die Techniksoziologin fordert zudem, alle Menschen am digitalen Wandel zu beteiligen.

Frau Rohde, eine Videosprechstunde erspart den Weg zum Arzt, das Homeoffice verringert Pendlerströme, Internetplattformen erleichtern das Teilen von Gütern: Auf den ersten Blick scheinen digitale Technologien Ressourcen zu schonen. Wie sieht die Ökobilanz der Digitalisierung insgesamt aus?

Friederike Rohde: Digitale Technologien verursachen im Durchschnitt pro Kopf und Jahr 0,9 Tonnen Kohlendioxid. Wenn wir die Klimaerwärmung auf deutlich unter zwei Grad begrenzen wollen, haben wir pro Kopf und Jahr nur ein Budget von 1,5 Tonnen CO₂ zur Verfügung. Digitale Technologien machen also einen großen Teil dieses Budgets aus. Hinzu kommt die Energie, die wir zum Heizen, für Mobilität und vieles mehr brauchen. Außerdem heißt digital nicht immateriell: Da stehen Rechenzentren dahinter, Kabel, Geräte. Dafür werden seltene Erden und andere Rohstoffe genutzt. Es entsteht viel Müll, denn nur ein geringer Teil der Geräte wird recycelt. Der Rest landet auf Deponien, beispielsweise in afrikanischen Ländern, und zieht dort verheerende Folgen für die Umwelt nach sich.

Porträt von Friederike Rohde, Technologiesoziologin

Zur Person

Friederike Rohde ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin.

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Wie ließe sich die Bilanz verbessern?

Rohde: Wir müssen die Nutzung von Ressourcen verringern und transparente Kreisläufe schaffen. Dafür ließen sich digitale Lösungen nutzen. Außerdem müssen wir den absoluten Energieverbrauch senken, beispielsweise in Rechenzentren. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Einsatz erneuerbarer Energien. Dennoch gilt: Es wird nicht unendlich viel Energie geben und nicht unendlich viel Fläche, um erneuerbare Energien zu erzeugen. Deshalb muss der Energieverbrauch insgesamt sinken.

Da ist jeder Einzelne gefragt?

Rohde: Jeder Einzelne ist insofern gefragt, als er sein Verhalten reflektieren und überlegen kann, ob er einen riesengroßen Fernseher braucht oder ob er Filme in HD schauen muss. Je höher die Auflösung, desto höher ist der Energieverbrauch. Darüber hinaus spielt die Art der Datenübertragung eine Rolle. Eine Studie des Umweltbundesamtes hat gezeigt, dass die geringste CO₂-Belastung entsteht, wenn ein Video über einen Glasfaser-Anschluss gestreamt wird.

Was kann der Gesetzgeber für mehr Nachhaltigkeit bei der Digitalisierung tun?

Rohde: Die Politik kann dafür sorgen, dass bestimmte Standards gelten. Rechenzentren könnten verpflichtet werden, ihren Energieverbrauch anzugeben oder die Abwärme besser zu nutzen. Obwohl sich auch Rechenzentren um das Umweltzeichen Blauer Engel bewerben können, tragen bisher nur drei Zentren in Deutschland dieses Siegel. Die Kohlendioxid-Bepreisung muss höher sein, damit es einen Anreiz für die Investition in CO₂-freie Technologien gibt. Die öffentliche Beschaffung könnte viel erreichen, wenn beispielsweise offene Software, modular aufgebaute Geräte und grüne Rechenzentren Pflicht wären.

Wie können digitale Technologien zu gleichwertigen Lebensverhältnissen in Stadt und Land beitragen?

Rohde: Die Grundvoraussetzung ist erst einmal, dass überall eine gute Internetverbindung besteht. Im Mobilitätsbereich gibt es verschiedene Ansätze, die ländliche Räume besser anbinden. Auch gilt es zu überlegen, wie alle Menschen am digitalen Wandel teilhaben können. Wir sollten Orte schaffen, in denen Menschen im nicht-virtuellen Raum an digitalen Technologien partizipieren. Es reicht nicht, wenn sie Facebook nutzen, Online shoppen oder Netflix konsumieren. Es geht darum, Menschen zu befähigen, diese Technologien selbstbestimmt und souverän zu nutzen, sich an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen oder ihre Gesundheitsversorgung zu organisieren.

Änne Töpfer führte das Interview. Sie ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
Bildnachweis: IÖW