Gesundheitsunion

Erste Lehren aus der Pandemie

Europa will sich besser gegen künftige Gesundheitskrisen wappnen. Die EU-Kommission setzt dazu auf neue Frühwarn- und Krisenreaktionssysteme, Bevorratung mit wichtigen Gütern und Produktionskapazitäten für Impfstoffe. Von Thomas Rottschäfer

Die Hälfte der Menschen

in der EU ist mit dem Corona-Krisenmanagement der Union unzufrieden. In Deutschland trifft dies sogar auf 63 Prozent zu. Das hat eine kürzlich veröffentlichte europaweite Befragung im Auftrag des Europäischen Parlaments ergeben. Danach ist eine Mehrheit (53 Prozent) der Meinung, dass die Mitgliedstaaten in der Pandemie nicht solidarisch genug gehandelt haben (Deutschland: 61 Prozent). Als Konsequenz wünscht sich die große Mehrheit der Europäer mehr Kompetenzen für die Union, um Krisen wie die Corona-Pandemie künftig besser bewältigen zu können (Deutschland: 65 Prozent).
 
Passgenau zu diesem Meinungsbild hat die EU-Kommission eine Bilanz der „ersten Lehren aus der Covid-19-Pandemie“ gezogen und die Schlussfolgerungen in einen Zehn-Punkte-Plan einfließen lassen. Im Kern enthält der Plan wenig Neues. Viele der Maßnahmen hat die Kommission bereits im Zusammenhang mit dem geplanten Aufbau einer Gesundheitsunion oder der EU-Pharmastrategie vorgelegt. Die Gesundheitsunion will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen möglichst noch in diesem Jahr unter Dach und Fach bringen, benötigt dazu allerdings die Zustimmung von Parlament und Rat.
 
Neu ist der Vorschlag, bis Ende 2021 erstmals einen europäischen Chef-Epidemiologen zu ernennen. Sie oder er soll zusammen mit Experten der 27 Mitgliedstaaten Empfehlungen für die EU-Politik formulieren. Der Plan sieht zudem vor, noch im laufenden Jahr die Frühwarn- und Monitoringsysteme zu verbessern. Koordinieren soll dies das personell und finanziell besser ausgestattete Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC). „Die EU sollte eine Führungsrolle übernehmen, wenn es um die Entwicklung eines soliden globalen Überwachungssystems auf der Basis vergleichbarer Daten geht“, heißt es im Kommissionspapier.

Nationale Verantwortung betont.

Von der Leyen und EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides halten überdies an ihrer Forderung fest, dass nicht nur die Nationalstaaten, sondern auch die Staatengemeinschaft einen EU-weiten Pandemie­notstand ausrufen können sollen, um zum Beispiel Grenzkontrollen koordinieren zu können. In diesem Punkt beißt die Kommission allerdings bisher beim Rat der Staats- und Regierungschefs auf Granit. Ohnehin beobachten die Mitgliedstaaten die Forderungen nach mehr Kommissionskompetenzen in der Gesundheitspolitik mit Argwohn. „Die Gesundheitssysteme sind verschieden, und deswegen ist Gesundheit auch zu Recht primär in der Verantwortung der Mitgliedstaaten“, betont Bundesgesundheitsminister Jens Spahn regelmäßig.

Teil der EU-Pharmastrategie ist der Vorschlag, die Produktion von Impfstoffen in der Union auszuweiten, um die Versorgung Europas im Krisenfall sicherzustellen. Als Ziel nennt die Kommission in ihrem Zehn-Punkte-Plan die Herstellung von 500 bis 700 Millionen Impfdosen jährlich, davon die Hälfte in den ersten sechs Monaten einer Pandemie. Dieses Vorhaben wird von den EU-Bürgern befürwortet. Bei der Eurobarometer-Umfrage bezeichneten knapp 40 Prozent (Deutschland: 43 Prozent) einen schnellen Zugang zu sicheren und effektiven Impfstoffen als vordringliche Aufgabe der EU-Gesundheitspolitik.

Neue Behörde im Aufbau.

Bereits im November 2020 hatte die Kommis­sion den Aufbau einer EU-Behörde für die Krisen­vorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen angekündigt. Die „Health Emergency Preparedness and Response Authority“ (HERA) soll Anfang 2022 einsatzbereit sein und bei Gesundheitskrisen Maßnahmen koordinieren und operativ insbesondere die Lieferung von Impfstoffen, Medikamenten oder Schutz-ausrüstung sicherstellen. Außerdem setzt sich die Kommission für den Aufbau einer EU-Plattform für klinische Studien ein, die das Entwickeln von Impfstoffen und Arzneimitteln unterstützen und beschleunigen soll.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
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