G+G-Wissenschaft

Im Zeitalter der Narrative

Bundestagswahlen bieten einen hervorragenden Anlass für Resümees und Ausblicke. Das gilt auch und gerade in der Gesundheitspolitik. Von Ines Körver

Vor einigen Jahren hatte ich die Ehre,

den kürzlich verstorbenen Edward de Bono zu interviewen. Das ist ein maltesischer Arzt und Psychologe, der insbesondere im angelsächsischen Raum extrem bekannt ist für seine Schriften über Denken und Kreativität. Über 80 Bücher gehen auf sein Konto. Sie wurden in mehrere Dutzend Sprachen übersetzt. Begriffe wie laterales Denken und Denkhüte hat er in die Diskussion um das Generieren von Innovationen eingeführt. Das telefonische Interview – lange vorbereitet mit seinen zahllosen Assistentinnen, deren Namen mich stets an irgendwelche Bond-Girls erinnerten – war eines der kürzesten meines Lebens. Es dauerte gerade einmal neun Minuten inklusive aller Begrüßungs- und Verabschiedungsfloskeln sowie der notwenigen logistischen Bemerkungen. 

Ich erinnere mich noch, wie mir mulmig wurde:

Ich hatte eine ganze Zeitungsseite zu füllen, und auch auf meine letzte Frage hatte de Bono nur mit zwei oder drei knappen Sätzen geantwortet. Als ich das Interview später zusammenschrieb, reichte die Textmenge jedoch nahezu aus. Ich habe lediglich zwei Beispiele zum Gesagten aus einem seiner Bücher entlehnt und in den Text eingefügt, was de Bono bei der Freigabe glücklicherweise absegnete. Das Geheimnis: Der Mann hatte während unseres Gesprächs einfach null Ausschuss produziert. Jede, aber auch jede Äußerung war verwertbar. Keine angefangenen Sätze, die im Nirwana endeten, keine überflüssigen Füllwörter, es gab nichts in meinem Mitschnitt, was man hätte weglassen müssen. So oder ähnlich wünscht man sich auch Politik: kein Quatsch und alles auf den Punkt.

Edward de Bono vertrat in dem Interview die Ansicht,

dass in den vergangenen Jahren zunehmend auf Qualität gesetzt worden sei, doch das nächste große Ding schon um die Ecke komme. Zukünftig ginge es in der Wirtschaft und in der Politik vermehrt darum, Werte zu verkaufen und die passenden Geschichten dazu zu erzählen, sagte er; ob irgendwelche Fakten stimmten und was man wirklich täte oder anbiete, sei gar nicht mehr so wichtig, Hauptsache, das Narrativ fühle sich stimmig an. Angesichts der Tatsache, dass später Donald Trump amerikanischer Präsident wurde und ich auch erst Jahre nach diesem Gespräch Vokabeln wie Greenwashing gelernt habe, empfinde ich die Worte de Bonos im Nachhinein als prophetisch, die Entwicklung selbst jedoch als problematisch. In der neuesten Ausgabe der G+G-Wissenschaft tragen wir daher anlässlich der am 26. September anstehenden Bundestagswahl wie üblich ganz old school Fakten zusammen und ordnen diese ein. 

Der politische Soziologe Ingo Bode blickt

für uns zurück in die jüngere Vergangenheit der Gesundheitspolitik. Er zeigt die Trends der vergangenen Legislaturperioden auf und versucht auszuloten, wohin die Reise gehen kann, wird und sollte. Der Soziologe und Volkswirtschaftler Robert Paquet nimmt für uns ein Thema unter die Lupe, das uns seit einigen Jahren beschäftigt und sicher auch in der nächsten Legislaturperiode noch weiter umtreiben wird: die Regionalisierung der Versorgung. Wie viel ist davon gut, wie muss sie gestaltet werden und was genau ist eigentlich eine Region? Stefan Greß und Christian Jesberger gehen es pragmatisch an. Ihre Fragestellung lautet: Wofür haben wir denn in den vergangenen Jahren im Gesundheitswesen wie viel Geld ausgegeben, wie stehen wir finanziell da und was ist künftig überhaupt drin? 

Geld ist und bleibt ein zentraler Faktor im Gesundheitswesen.

Das gilt auch in der Pflege. Nach der jüngsten Reform erwarten einige aufgrund der Tariflohnanbindung eine Verteuerung der stationären Pflege, nach dem Erfurter Urteil vom 24. Juni zu Mindestlohn und der vollen Bezahlung von Bereitschaftszeiten befürchten andere den Zusammenbruch der häuslichen Pflege durch ausländische Betreuungskräfte. Die Pflege-Geschichte erzählen wir dann im nächsten Heft – aber natürlich mit gewohnter faktenbasierter Qualität.