Klinikabrechnungen zu prüfen, bleibt Aufgabe der Medizinischen Dienste.
MDK-Reform

Unabhängigkeit bleibt Markenkern

Die Organisationsreform der Medizinischen Dienste geht in die Schlussphase. Die Einführung der neuen Krankenhausstrukturprüfungen hat sich durch die Corona-Krise allerdings um ein Jahr verzögert. Von Thomas Rottschäfer

Zum 1. Juli

haben die 15 Medizinischen Dienste der Krankenversicherung das K aus ihrem Kürzel gestrichen. Die bis­herigen MDK heißen jetzt Medizinische Dienste (MD). Der K-Verlust geht auf das umstrittene MDK-Reformgesetz zurück, das am 1. Januar 2020 in Kraft trat. Der Großen Koalition, aber auch den Grünen und der Linkspartei ging es darum, den Medizinischen Dienst unabhängiger von den Krankenkassen zu organisieren. Bereits in ihrem Koalitionsvertrag von 2018 hatten CDU/CSU und SPD vereinbart, „die MDK zu stärken, ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten und für bundesweit einheitliche und verbindliche Regelungen bei ihrer Aufgabenwahrnehmung Sorge zu tragen“.

Eigenständige Körperschaft.

Kernstück der Reform ist die Neuorganisation des bisherigen Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der gesetzlichen Krankenversicherung (MDS). Als neuer MD Bund wird er organisatorisch vom Spitzenverband gelöst und bildet als Körperschaft des öffentlichen Rechts die neue Dachorganisation der MD-Gemeinschaft. Der Haushalt des MDS (2020: 13,1 Millionen Euro) wurde bisher über eine Umlage der Kassen an den GKV-Spitzenverband finanziert. Der Etat des MD Bund wird künftig durch die MD getragen, die ihrerseits durch die GKV unterhalten werden. Im Zuge der Reform sind die bisher als eingetragene Vereine organisierten MD in den ostdeutschen Ländern in Körperschaften des öffentlichen Rechts umgewandelt worden. Alle MD tragen ab 2022 den MD Bund.

Verwaltungsräte konstituiert.

Im Frühjahr wurden alle MD-Verwaltungsräte nach den Reformvorgaben gewählt. Bis zum 1. Juli haben sie ihre Arbeit auf­genommen. Allen Verwaltungsräten auf Landes- und Bundesebene gehören 23 Mitglieder an: 16 ehrenamtliche Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter aus der Selbstverwaltung der Kassen, fünf von den Landesgesundheitsbehörden be­nannte Vertreter von Patienten-, Verbraucher- oder Betroffenenverbänden und zwei nicht stimmberechtigte Mitglieder der Ärzteschaft und der Pflegeberufe. Die Gremien sind paritätisch mit Frauen und Männern besetzt, die Mitgliedschaft ist auf zwei Amtsperioden begrenzt. Wer bereits bisher in einem Verwaltungsrat aktiv war, darf nur noch eine Wahl­periode amtieren. „Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber für eine Verjüngung der Aufsichtsgremien und regelmäßige personelle Veränderungen sorgen“, er­läutert Irmelind Kirchner, die beim AOK-Bundesverband für die Kommunikation und Kooperation mit der MD-Gemeinschaft zuständig ist.

Die föderalen Strukturen beim Medizinischen Dienst bestehen nach wie vor.

Die Mitglieder des Verwaltungsrates des MD Bund sind durch die Vertretergruppen auf Landesebene gewählt worden. Das Gremium hat sich im April konstituiert. An dessen Spitze stehen Sandra Goldschmidt und Detlef Stange. Sie sind für sechs Jahre gewählt und führen den Vorsitz im Wechsel. Versichertenver­treterin Sandra Goldschmidt ist stell­vertretende Verdi-Landesbezirksleiterin in Hamburg und Arbeitgebervertreter Detlef Stange stellvertretender Verwaltungsratsvorsitzender des MD Hessen. Unter ihrer Leitung erarbeitet der Rat derzeit die Satzung für den Dachverband. Sie muss bis Ende September vorliegen und anschließend vom Bundesgesundheitsministerium genehmigt werden. Anfang Januar soll der MD Bund dann seine Arbeit aufnehmen. Bis dahin arbeiten der MDS und sein bisheriger Verwaltungsrat parallel weiter.

Kernaufgaben unverändert.

Die föderale Struktur und die Zusammenarbeit innerhalb der MD-Gemeinschaft werden durch die Reform nicht verändert. Auch die Kernaufgaben bleiben: Im Auftrag der Kranken- und Pflegekassen prüfen die MD die Qualität von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen, führen Begutachtungen zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit durch, geben sozialmedizinische Empfehlungen ab, prüfen Behandlungsfehlervorwürfe und nehmen Klinikrechnungen unter die Lupe. An diesem „operativen Geschäft“ ändere die Organisationsreform nichts, sagt der Leitende Arzt des MD Nordrhein, Dr. Klaus-Peter Thiele. Er betont: „Wir waren vorher patientenorientiert und unabhängig, und wir bleiben dies auch weiterhin. Die Kassen haben vorher keinen Einfluss genommen und tun dies auch jetzt nicht.“

Der GKV-Spitzenverband verliert durch die Reform seine Richtlinienkompetenz. Künftig erlässt der MD Bund die für alle Dienste bindenden Richtlinien, zum Beispiel in den Bereichen Personal, Fortbildung oder Berichtswesen. „Neue Richtlinien sind bereits in Arbeit, damit der Übergang reibungslos erfolgen kann“, erläutert Irmelind Kirchner. So sei bereits im Reformgesetz selbst eine neue Richtlinie zum Personalbedarf für die einzelnen MD-Aufgabenbereiche vorgesehen.

Teil der MDK-Reform ist auch die Einführung einer unabhängigen Ombudsperson bei allen MD. An sie sollen sich laut Gesetz „sowohl Beschäftigte des Medizinischen Dienstes bei Beobachtung von Unregelmäßigkeiten, insbesondere Beeinflussungsversuchen durch Dritte, als auch Versicherte bei Beschwerden über die Tätigkeit des Medizinischen Dienstes vertraulich wenden können“. Die Ombudspersonen müssen Verwaltungsrat und Aufsichtsbehörde einmal im Jahr sowie anlassbezogen berichten. Der MD Bayern hat diese Position bereits zum 1. Juli besetzt; andere Dienste wollen dies im Jahresverlauf, teilweise aber auch erst im nächsten Jahr machen. Schon jetzt sei klar, dass auf die Ombudsleute viel Arbeit zukomme, sagt Kirchner. Denn das Gesetz verpflichte die Kranken- und Pflege­kassen, in ihren Begutachtungsbescheiden auf die neue Beschwerdemöglichkeit hinzuweisen.

Strukturprüfungen für mehr Qualität.

Neben der Neuorganisation hat die Reform den MD ein neues Aufgabengebiet beschert: die Krankenhausstrukturprüfungen. Ab dem Jahr 2022 dürfen Kliniken bestimmte komplexe Behandlungsleistungen nur noch dann mit den Kassen abrechnen, wenn der zuständige MD ihnen zuvor bescheinigt hat, dass sie die strukturellen Voraussetzungen dafür vorhalten. Die Strukturprüfungen sind jährlich zu erneuern und betreffen aktuell 53 unterschiedliche Krankenhausleistungen, darunter zum Beispiel die Schlaganfall-Behandlung. Die Einführung dieses neuen Instrumentes wurde wegen der Corona-Pandemie allerdings um ein Jahr verschoben.

Die Neuregelung habe für alle Beteiligten Vorteile, sagt Klaus-Peter Thiele. „Durch die vorgelagerte Strukturprüfung verringern sich Aufwand und Konfliktpo­tenzial bei der Prüfung von Kankenhausrechnungen. Die Patienten profitieren durch mehr Behandlungsqualität.“ Die MD beträten mit den Strukturprüfungen aber auch rechtliches Neuland: „Die Krankenhäuser werden gewissermaßen zu Kunden. Wir erstellen erstmals selbst Verwaltungsbescheide, die auch angefochten werden können.“

Ursprünglich hätten die Krankenhäuser bereits bis Juni ihre Anträge auf Strukturprüfung bei den MD einreichen müssen, um die entsprechenden Komplexpauschalen rechtssicher abrechnen zu können. Doch das durch die Corona-Pandemie überlastete Bundesgesundheitsministerium hat die Richtlinie erst im Mai erlassen. Der MDS hat das Ende der Antragsfrist deshalb einmalig bis Mitte August verlängert. Die MD bereiten sich seit Monaten mit internen Schulungen, aber auch mit Informationen für die Krankenhaus-Fachleute auf die neue Aufgabe vor. Inzwischen laufen die ersten Prüfungen. „Vieles lässt sich nach Aktenlage klären, doch wenn es um komplexe Strukturen wie etwa eine Intensivbehandlung geht, brauchen wir Vor-Ort-Prüfungen“, so Thiele.

Prüfquote vorübergehend gesenkt.

Mit den Strukturprüfungen will die Bundesregierung auch den Streit um die Rechnungsprüfungen entschärfen. Nach Zahlen des GKV-Spitzenverbandes sind mehr als die Hälfte der geprüften Klinikrechnungen fehlerhaft. Allerdings wurden 2019 gerade einmal 17 von 100 Klinikabrechnungen unter die Lupe genommen. Trotz dieser geringen Prüfquote mussten Kliniken den Krankenkassen zuletzt 2,8 Milliarden Euro zurückerstatten. Für 2020 wurde die Prüfquote zunächst gesetzlich auf zehn Prozent gesenkt. Um die Kliniken in der Pandemie zu entlasten, wurde die Quote dann im Frühjahr vergangenen Jahres auf fünf Prozent halbiert. Von den rund 1,92 Millionen geprüften Rechnungen wurden laut MDS knapp 53 Prozent beanstandet.
 
Für dieses Jahr gilt eine Prüfquote von 12,5 Prozent. Ab 2022 soll die Reform-Regelung greifen, nach der sich quartalsbezogene Prüfquoten zwischen fünf bis 15 Prozent daran orientieren, wie eine Klinik bei vorangegangenen Prüfungen abgeschnitten hat. Der AOK-Bundes­verband hatte diese Neuregelung als „Freibrief zum Schummeln“ kritisiert.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
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