Gemeinsamer Bundesausschuss

Tauziehen um gute Versorgung

Ärzteschaft, Kliniken, Kassen, Patienten – im Gemeinsamen Bundesausschuss sitzen sie an einem Tisch, um die Gesundheitsversorgung auszugestalten. Auch wenn sich in der einen oder anderen Frage die Geister scheiden – am Ende steht der Kompromiss. Ein Blick hinter die Kulissen von Thomas Rottschäfer

Mehr als 73 Millionen Menschen in Deutschland sind gesetzlich krankenversichert. Wann immer sie zum Arzt gehen, im Krankenhaus behandelt werden, Pflege benötigen, in der Apotheke ein rezeptpflichtiges Medikament einlösen oder eine Heilmitteltherapie in Anspruch nehmen, sind sie direkt oder indirekt von Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) in Berlin betroffen. Das oberste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen definiert, welche Leistungen die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) bezahlt. Als Messlatte dient der gesetzlich formulierte Grundsatz einer „ausreichenden, zweckmäßigen, notwendigen und wirtschaftlichen Gesundheitsversorgung“.

Gesetzgeber gibt Rahmen vor.

Im Auftrag des Gesetzgebers formuliert der GBA wesentliche Rahmenbedingungen für die Gesundheitsversorgung. Das betrifft die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder das Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung in der ärztlichen, zahnärztlichen und stationären Versorgung. Das umfasst die Nutzenbewertung für neue Arzneimittel oder die Anforderungen an Disease-Management-Programme (DMP) zur besseren Behandlung chronischer Erkrankungen. Regeln beschließt der Ausschuss in Form von Richtlinien, die das Bundesgesundheitsministerium als Rechtsaufsicht genehmigen muss. Nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger ist eine GBA-Richtlinie als „untergesetzliche Norm“ für alle Betroffenen verbindlich.

Die Geburtsurkunde des GBA ist das Gesundheitsmodernisierungsgesetz von 2004. Die von der damaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt durchgesetzte Reform vereinigte drei Gremien der Selbstverwaltung von Ärzten, Zahnärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern. Als Interessenvertretung der Krankenkassen hob Schmidt mit einem weiteren Reformgesetz den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung aus der Taufe. Er vertritt seit 1. Juli 2008 die Be­lange der Kassen auf Bundesebene. GKV-Spitzenverband, Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sind die vier stimmberechtigten Trägerorganisationen des GBA.

Patienten sitzen mit am Tisch.

Über den GBA werden auch Versicherte und Patienten an der Gestaltung des Gesundheitswesens beteiligt. Die Mitglieder der Patientenvertretung können Anträge stellen und mitberaten, besitzen aber kein Stimmrecht. Die Patientenvertreter werden derzeit vom Deutschen Behindertenrat, von der Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen, der Deutschen Arbeitsgemeinschaft der Selbsthilfegruppen und vom Verbraucherzentrale Bundesverband benannt. Eine eigene Stabsstelle unterstützt ihre Arbeit.

Über Stellungnahme- und Anhörungsverfahren sind weitere Organisationen des Gesundheitswesens und die Gesundheitswirtschaft an der Entscheidungsfindung beteiligt. Je nach Thema werden zum Beispiel Apothekenverbände, Heilberufe, Ärzte- und Zahnärztekammern, der Deutsche Pflegerat, Medizinproduktehersteller und Pharmaunternehmen, der Bundesdatenschutzbeauftragte oder wissenschaftliche Fachgesellschaften einbezogen.

Unparteiische sorgen für Ausgleich.

In neun Unterausschüssen bereiten Expertinnen und Experten der Trägerorganisationen die GBA-Beschlüsse fachlich vor. Die Entscheidungen selbst fallen im Plenum. Es tagt öffentlich, in der Regel zwei Mal im Monat. Dort sitzen den fünf Mitgliedern der Krankenkassen fünf Vertreter von KBV, KZBV und DKG gegenüber. Das Patt zwischen „Payern“ und „Playern“ lösen die drei unparteiischen Mitglieder auf, an der Spitze seit Mitte 2012 der Unparteiische Vorsitzende Professor Josef Hecken. Zuvor war er unter anderem Justiz- und Gesundheitsminister im Saarland, Präsident des Bundesversicherungsamtes (heute Bundesamt für Soziale Sicherung) und Staatssekretär im Bundesfamilienministerium.

Hecken ist nach dem Gründungsvorsitzenden Dr. Rainer Hess erst der zweite GBA-Chef und gilt ebenso wie dieser als Glücksfall. Die mit ihm zu tun haben, beschreiben ihn als „ernsthaft“, „sachorientiert“, „schlagkräftig“, aber auch „streitbar“. Mehrfach lag der GBA-Chef mit Bundesgesundheits­minister Jens Spahn über Kreuz – unter anderem wegen dessen Einflussnahme auf das Bewertungsverfahren für eine neue Methode zum Fettabsaugen (Liposuktion).
 
Dr. Monika Lelgemann und Karin Maag komplettieren die unparteiische GBA-Spitze. Medizinerin Lelgemann kam Mitte 2018 zum GBA. Sie ist Gründungsmitglied des Deutschen Netzwerks für Evidenzbasierte Medizin und war in vielen beruflichen Stationen mit diesem Thema befasst. Maag saß von 2009 bis zu ihrem Wechsel zum GBA Anfang Juli dieses Jahres für die CDU im Bundestag; nach der Wahl 2017 wurde sie gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion.

Die Unparteiischen leiten auch die Unterausschüsse. Alle drei haben jeweils zwei Stellvertreter. Das Plenum des GBA wird flankiert von einem Finanzausschuss und einem Ausschuss für die Geschäfts- und Verfahrensordnung.

Wissenschaftliche Institute unterstützen Arbeit.

Dem GBA stehen zwei fachlich unabhängige wissenschaftliche Institute zur Seite: das bereits 2004 gegründete Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln und das 2014 eingerichtete Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) in Berlin. Beide Denkfabriken sind als Stiftungen organisiert.

Das IQTIG erarbeitet im Auftrag des GBA hauptsächlich Maßnahmen zur Qualitätssicherung und beleuchtet die Versorgungsqualität im Gesundheitswesen. Das IQWiG bewertet für den GBA evidenzbasiert den aktuellen medizinischen Wissensstand zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren und gibt Empfehlungen zu den Disease-Management-Programmen ab. Die Expertisen sind auch Basis dafür, ob und in welchem Maß der GBA einem neuen, meist teuren Medikament einen Zusatznutzen gegenüber vorhandenen Therapien bescheinigt. Dies wiederum ist wichtig für die Preisverhandlungen zwischen Herstellern und Kassen. Für „Orphan Drugs“ liefert die GBA-Geschäftsstelle wissenschaftliche Stellungnahmen.

Grafik: Der Bundesausschuss im Überblick

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) ist vom Gesetzgeber beauftragt, über den Leistungsanspruch der gesetzlich krankenversicherten Menschen zu entscheiden. Die vom GBA beschlossenen Richtlinien unterliegen der Genehmigungspflicht des Bundesgesundheitsministeriums. Das GBA-Plenum besteht aus fünf Vertretern der Kostenträger (entsandt durch den GKV-Spitzenverband), fünf der Leistungserbringer, davon zwei der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), zwei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und ein Vertreter der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), sowie dem Unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Jeweils bis zu fünf allgemeine Pa­tientenvertreter sowie fünf themenbezogene Patientenvertreter nehmen an den Sitzungen beratend teil, sind aber nicht stimmberechtigt. Neun Unterausschüsse bereiten die Entscheidungen des Plenums vor. Es gibt jeweils einen Unterausschuss zu den Themen Arzneimittel, Qualitäts­sicherung, Disease-Management-Programm, ambulante spezialfachärztliche Versorgung, Methodenbewertung, veranlasste Leistungen, Bedarfsplanung, Psychotherapie und zahnärztliche Behandlung. 

Quelle: GBA

GBA, IQWiG und IQTIG finanzieren ihre Arbeit wesentlich über einen „Systemzuschlag“ aus Beitragsgeldern. Im laufenden Jahr werden auf alle voll- und teilstationären Krankenhausfälle 1,89 Euro aufgeschlagen, auf alle vertragsärztlichen und -zahnärztlichen Fälle exakte 5,5875235 Cent. Laut Jahresrechnung 2019 standen dem GBA knapp 42 Millionen Euro zur Ver­fügung. Die Ausgaben betrugen rund 39 Millionen Euro.

Unterschiedliche Interessen unter einen Hut bringen.

2020 haben die gesetzlichen Krankenkassen knapp 263 Milliarden Euro ausgegeben. Der GBA entscheidet mit, wohin das Geld fließt. Die unterschiedlichen Interessen von niedergelassenen Ärzten, Kassen und Krankenhäusern stoßen dabei oft hart aufeinander. Dennoch steht die Kompromissfindung im Vordergrund. „Der GBA versachlicht die Diskussionen und organisiert sie auch sehr gut“, sagt der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch. „Die Zusammenarbeit ist geprägt von hoher fachlicher Expertise und umfassendem Wissen der Trägerorganisationen über die Versorgungsrealität“, betont die Vorstands­chefin des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer. Es ge­linge fast immer, „fachlich richtige und im Sinne des Interessen­ausgleichs tragfähige Lösungen zu finden“.
 
Kritischer beurteilt die DKG die Zusammenarbeit. Sie sei „durch die problematische Stimmverteilung im Plenum schon von vornherein belastet“, sagt der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß. „Die GKV-Seite ist ein monolithischer Block und stimmt damit einhergehend immer einheitlich. Demgegenüber ist die Leistungserbringerseite heterogen und gerade an den Schnittstellen von stationärer und ambulanter Versorgung zwangsläufig häufig uneinig.“ Bei fast allen Themen würden die „grundsätzlich unterschiedlichen Strategien von Kassen und DKG“ aufeinanderprallen und zu endlosen Debatten führen, moniert Gaß.

Es liege in der Natur der Sache, konstatiert KBV-Vorstandschef Dr. Andreas Gassen, dass die Positionen „sehr unterschiedlich und auch konfliktiv“ sein könnten. „Nur so können konstruktive Lösungen gefunden werden, mit denen am Schluss alle Beteiligten einverstanden sind.“ Der Gesetzgeber habe den GBA mit einem großen Aufgaben- und Verantwortungsspektrum ausgestattet, um schwierige Versorgungsentscheidungen zu treffen. „Wichtig ist dabei: Der Patient steht immer im Mittelpunkt“, so Gassen.

Richtlinienkompetenz sinnvoll.

„Es wäre wünschenswert, bei dissenten Ansätzen die Beratungen nach fachlichem Austausch schneller zu einem Ende zu bringen“, meint der KZBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer. Die Richtlinienkompetenz des GBA sei aber grundsätzlich auch im Bereich der vertragszahnärztlichen Behandlung sinnvoll und notwendig. Generell, so Eßer, sei die Selbstverwaltung „eine der zentralen tragenden Säulen des deutschen Gesundheitswesens, deren Stärken in Abgrenzung zu staatlich oder rein privatwirtschaftlich organisierten Gesundheitssystemen deutlich hervortreten“.

Porträt von Josef Hecken, Chef des GBA

„Nur schnell sein reicht nicht“

Die Corona-Krise hat die Schwachstellen im Gesundheitswesen aufgedeckt, sagt Josef Hecken, Chef des GBA. Welche Herausforderungen er für die Gesundheitspolitik sieht, lesen Sie im G+G-Interview.

„Die Eckpfeiler der Organisation und der Entscheidungs­prozesse sind tragfähig und funktionieren gut“, urteilt Doris Pfeiffer. Der Gesetzgeber habe dem GBA jedoch in den ver­gangenen Jahren für die meisten Beschlussverfahren ein enges Zeitraster vorgegeben. Gleichzeitig seien „hochformalisierte Anhörungspflichten“ eingeführt worden. „Unfair“ nennt ­Martin Litsch deshalb die Kritik Spahns an zu langen Entscheidungsprozessen. Der Gesetzgeber selbst habe die Verfahren aufgebläht, „nicht zuletzt, um auch die Pharma- und Medizinprodukte­industrie zu beteiligen“.

Patientenvertretung will Stärkung ihrer Rolle.

Die Patientenvertreter sitzen buchstäblich zwischen den „Bänken“ der Träger. „Es hat sich gezeigt, dass das Mitberatungsrecht der Patientenvertretung ein wichtiger Baustein dafür ist, dass sich die Entscheidungen des GBA tatsächlich auf die Verbesserung der Patientenversorgung und nicht etwa auf Vergütungsfragen oder Sonstiges fokussieren“, betont ihr Sprecher Dr. Martin Danner. Ein echtes Mitentscheidungsrecht könne diese Rolle eventuell noch stärken.

Regionale Gestaltungskompetenz ins Blickfeld rücken.

Aus Sicht von Dr. Sabine Richard, Geschäftsführerin Versorgung im AOK-Bundesverband, stößt der GBA bei einer grundsätzlichen Frage an seine Grenzen: „Wie viel Bundesebene, wie viel Landes­ebene soll es sein?“ In ihrem gesundheitspolitischen Programm fordert die AOK mehr regionale Gestaltungskompetenz. Auf der Bundesebene würden „viele Schlachten um Grundsätzliches geschlagen“, sagt Richard. Auf der Landesebene lasse sich konsensorientierter miteinander reden.
 
Die AOK hat die Bildung von 3+1-Gremien auf Landesebene unter Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigungen, Landeskrankenhausgesellschaften, Krankenkassen und Landesregierung vorgeschlagen. Das solle dem GBA aber keine Konkurrenz machen. „Den GBA brauchen und wollen wir als Rahmensetzer, der Ziele und Vorgaben definiert. Diese Vorgaben dürfen auf Landesebene auch nicht unterlaufen werden“, unterstreicht Richard.

Die Länder beobachten mit Argwohn jeden Eingriff in föderale Zuständigkeiten. Als NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) Ende August seinen neuen Krankenhausplan vorstellte, betonte er: „Wenn wir das hier nicht hin­bekommen, werden wir erleben, dass die Krankenhausplanung immer mehr auf die Bundesebene übergeht und im Gemein­samen Bundesausschuss entschieden wird.“ Das aber könne den regionalen Besonderheiten nicht gerecht werden. Inzwischen haben die Länder durchgesetzt, dass eigene Vertreter in die Arbeit der GBA-Unterausschüsse eingebunden sind.

Unterschiedliche Sicht auf Qualitätssicherung.

Bei den Themen Qualitätssicherung und Methodenbewertung ist der Dissens zwischen den Trägerorganisationen besonders groß. Kassenärztliche Vereinigungen und Ärztekammern verstehen Qualitäts­sicherung als ureigene Aufgabe. Die DKG betrachtet insbesondere die Diskussion um Mindestmengen für bestimmte Kranken­hausbehandlungen als Gängelung. „Das Gesundheitssystem steuert längst auf einen regulatorischen und bürokratischen Overkill zu“, kritisiert ihr Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß. Der GBA habe „mit teilweise ganz erheblicher Detailverliebtheit“ bei seinen Richtlinien maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen.

Für die Krankenkassen ist die Qualitätssicherung dagegen ein zentrales GBA-Thema und nicht zuletzt ein wichtiges Kriterium für eine Krankenhausreform. Dr. Jürgen Malzahn, Leiter der Abteilung Stationäre Versorgung/Rehabilitation im AOK-Bundesverband, vermisst dazu ein deutliches Wort der Politik: „Wenn es darum geht, Komplikationen und Todesfälle zu vermeiden, dürfen Aspekte wie Berufsfreiheit, Trägervielfalt oder Wettbewerbsrecht bei GBA-Entscheidungen keine gleichrangige Rolle spielen. Der Gesetzgeber muss klar den Vorrang der Qualitätssicherung festlegen.“

Medizin muss evidenzbasiert sein.

„Der GBA ist ein Konsens-Institut“, sagt Dr. Gerhard Schillinger, Leiter des Stabes Medizin im AOK-Bundesverband, über die Methodenbewertung. „Hier werden auf dem Boden der bestverfügbaren Evidenz Entscheidungen ohne Lobbydruck von denen getroffen, die sich in der Tiefe mit der Versorgung auskennen. Das ist unglaublich wichtig und nicht zu unterschätzen.“ Den Aufgabenzuwachs des Gremiums verbindet er eng mit der Entwicklung der evidenzbasierten Medizin. „Es ist gut, wenn Patienten neue, vielversprechende Verfahren früh zur Verfügung stehen. Aber neu ist nicht per se auch gut, sondern kann Patienten unter Umständen schaden“, sagt Schillinger. „Die GKV sollte nur das be­zahlen, was wirklich hilft.“ Auch das gehöre zum Solidaritätsgedanken der gesetzlichen Krankenversicherung.

Doris Pfeiffer ärgert sich in diesem Zusammenhang darüber, dass bei der Methodenbewertung für Entscheidungen über Leistungsausschlüsse eine Dreiviertelmehrheit notwendig ist: „Damit liegen die Hürden zur Bereinigung des Leistungskatalogs um nutzlose Diagnostik und Therapien so hoch, dass dieser wichtige Teil der GBA-Arbeit praktisch brachliegt.“

Patientenvertreter Danner sieht das ähnlich: „Wer das Lied der begrenzten Ressourcen anstimmt, der muss auch bereit sein, teure Behandlungsmethoden, die vor allem im Vergütungs­interesse eine breite Anwendung finden, aber hinsichtlich des Patienteninteresses fragwürdig sind, über Bord zu werfen.“ Die Qualitätssicherung müsse wirkungsvoller ausgestaltet werden. Das schaffe dann auch den Raum, „um neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in die Versorgung aufzunehmen, die nachweislich die Versorgung verbessern“, so der Bundes­geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe.

Innovationsausschuss fördert Modellprojekte.

Um den Konflikt zwischen Innovationsdruck und begrenzten finanziellen Ressourcen zu entschärfen, hat die Große Koalition den GBA 2015 damit beauftragt, neue Versorgungsformen, die über die bisherige Regelversorgung hinausgehen, modellhaft zu fördern. Zudem sollen Projekte der Versorgungsforschung unterstützt werden, wenn sie Erkenntnisse für eine bessere Versorgung versprechen. Dafür stehen noch bis 2024 jährlich 200 Millionen Euro zur Verfügung. Der beim GBA angesiedelte Innovationsausschuss entscheidet, welche Bewerber den Zuschlag erhalten. „Mit der gezielten Förderung vielversprechender Projekte können innovative Methoden ausprobiert und so Evidenz generiert werden“, sagt KBV-Chef Gassen.

Kritik an politischen Vorgaben.

Wenig glücklich sind alle GBA-Beteiligten, wenn die Politik der gemeinsamen Selbstverwaltung Aufträge mit stark ethisch-moralischer Dimension zuweist, wie zuletzt die Frage der Kostenübernahme für nichtinvasive Präna­taldiagnostik. Im August hat das Plenum nach langer Diskussion den Text für eine Versicherteninformation zum vorgeburtlichen Bluttest auf Trisomien beschlossen. Damit kann auch der bereits 2019 gefasste Beschluss in Kraft treten, nach dem die GKV den Test in begründeten Einzelfällen und nach ärztlicher Beratung bezahlt. Der Bundestag hatte über das sensible Thema zwar debattiert, aber keine Gesetzgebung eingeleitet.
 
AOK-Chefmediziner Schillinger zeigt sich besorgt darüber, dass Jens Spahn die Arbeit des GBA durch Methodik-Vorgaben und das Beanstanden von Beschlüssen eingeengt hat. Das Ministerium könne durch Vorgabe eines „angemessenen Evidenzniveaus“ Entscheidungen vorbestimmen. Kritik übt der Mediziner auch an der Einführung digitaler Gesundheitsanwendungen am GBA vorbei – „ohne eingehende Bewertung von Nutzen, Risiken und Wirksamkeit“. Schillinger fürchtet, dass Evidenz als Bewertungsmaßstab wieder infrage gestellt werden könnte. „Wir werden uns weiterhin gemeinsam dagegen zur Wehr setzen, dass das BMG versucht, auch fachlich Einfluss zu nehmen und politisch opportune Entscheidungen herbeizuführen“, macht Pfeiffer für die Krankenkassen deutlich. „Zu einem unabhängigen GBA gibt es trotz aller Unzulänglichkeiten keine Alter­native“, bekräftigt AOK-Vorstandschef Litsch.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
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