Demografischer Wandel

Debatte: Das Bild vom Alter überdenken

Mehr Unterstützungsbedarf, weniger Leistungsfähigkeit – das Alter bekommt häufig negative Zuschreibungen, meint Menschenrechtsexpertin Dr. Claudia Mahler. Das werde der Wirklichkeit nicht gerecht und schwäche die Lobbyarbeit für diese gesellschaftliche Gruppe.

Die Vorstellungen des Alterns

und die Beschreibung von älteren Menschen sind im demografischen Wandel von besonderem Interesse. Das Altern der Gesellschaft wird vermehrt mit der Knappheit wirtschaftlicher Ressourcen verknüpft. Der positive Aspekt, dass Menschen aufgrund der guten medizinischen Versorgung länger leben, tritt dabei in den Hintergrund. Viele Vorstellungen und Zuschreibungen drücken sich in Altersbildern aus. Jeder Mensch hat seine individuellen Bilder von Älteren, dem lebenslangen Prozess des Älterwerdens und vom Zustand im Alter. Zu diesem individuellen Ansatz der Zuschreibungen kommt die gesellschaftliche Vorstellung von der älteren Generation. Altersbilder transportieren je nach Kontext unterschiedliche Botschaften.

In der derzeitigen Diskussion des demografischen Wandels und der älter werdenden Gesellschaft sind stereotype Altersbilder meist mit negativen Botschaften verbunden. Das Alter bekommt Zuschreibungen wie erhöhter Unterstützungs- und Pflegebedarf, geringere Produktivität und längerer Rentenbezug sowie hohe Gesundheitskosten. Diese Altersbilder halten sich oft sehr lange und werden wenig hinterfragt. Deswegen lassen sie sich nur über einen längeren Zeitraum verändern.

Altersbilder werden der Vielfalt nicht gerecht.

Jeder Einzelne hat eine Vielzahl von Altersbildern im Kopf. Diese sind unterschiedlich prägend für eine Gesellschaft. Die jeweilige Auswahl des Altersbildes hängt vom Kontext ab. Geht es um das aktive Altern, kommen Bilder von gesellschaftlich engagierten, jung aussehenden älteren Menschen zum Tragen. Diese Altersbilder werden oft mit jüngeren Älteren ohne Unterstützungsbedarf verbunden und von der Werbung genutzt, um neue Konsumentinnen und Konsumenten zu gewinnen. Da die Zeitspanne des Älterwerdens immer länger wird, könnte es zu einer Unterteilung der Gruppe kommen: in die aktiven Älteren und diejenigen mit Unterstützungsbedarf. Dabei besteht die Gefahr, dass sich die negativen Altersbilder ausschließlich auf ältere Menschen mit zunehmendem Unterstützungs- und Pflegebedarf beziehen. Dadurch würde eine Verschiebung der negativen Zuschreibung ins höhere Alter gefördert werden. Das wird der Wirklichkeit dieser Lebensphase nicht gerecht.

Viele ältere Menschen wollen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in die Gesellschaft einbringen.

Die Altersbilder und ihre Botschaften weisen älteren Menschen Rollen zu, die weder die Diversität und Heterogenität der Gruppe abbilden noch die gelebten Realitäten. Die Vielfalt der Älteren und ihre unterschiedlichen Beiträge für die Gesellschaft müssen erkannt und anerkannt werden. Denn die Zuschreibung wird primär am Lebensalter festgemacht. Doch im Prozess des Alterns spielen sehr viele Faktoren eine Rolle, die das Altern jedes einzelnen Menschen beeinflussen.
 
Wir alle haben stereotype Altersbilder verinnerlicht, die nicht unbedingt der Realität entsprechen. Der erste Schritt ist daher, diese zu überwinden oder sie neu zu gestalten. Damit ist verbunden, dass wir unsere Altersbilder überprüfen, hinterfragen und einen Realitätscheck unterwerfen.

Verkrustete Strukturen aufbrechen.

Aber die Zuschreibungen finden auch von außen statt. Viel hat nach wie vor mit der klassischen Dreiteilung des Lebenslaufs zu tun: Bildung – Arbeit – Ruhestand. Aber im selben Maße, in dem wir Lebenszeit dazugewonnen haben und sich die Demografie ändert, muss auch diese Einteilung hinterfragt werden: Ist sie noch zeitgemäß? Wäre es nicht sinnvoller, Bildung und Weiterbildung in den Lebensabschnitt der Arbeit zu integrieren oder, wie schon in manchen Branchen geübt, Freizeit oder Erholungsphasen in Form von Sabbaticals einzubauen, sodass sich Ruhe und Arbeitsphasen abwechseln? Dieses Aufbrechen der verkrusteten Strukturen würde vielen aktiven älteren Menschen entgegenkommen, die ihre Potenziale weiter ausbauen und ihr Wissen und ihre Fähigkeiten einbringen wollen. Durch das Aufbrechen der Strukturen wären die althergebrachten Zuschreibungen, die zu Stereotypen führen, einer Änderung unterworfen.

Interessenvertretung ist schwer zu etablieren.

Zudem ist es schwierig, für die Gruppe der Älteren Lobbyarbeit zu betreiben. Da in der öffentlichen Wahrnehmung die negativen Altersbilder überwiegen, möchte niemand als älterer Mensch gelten und sich zur Gruppe der Älteren zählen. So können sich Interessenvertretungen für verschiedene Lebensbereiche älterer Menschen nur schwer etablieren. In der Folge reicht der Druck aus der Gesellschaft nicht, um die Politik zu beeinflussen und die Altersbilder nachhaltig zu verändern – ein Teufelskreis.

Claudia Mahler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin und Unabhängige Expertin für die Rechte Älterer, ernannt vom UN-Menschenrechtsrat.
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