Thema des Monats

Die Karte im Kopf

Patientenlotsen wissen, wo es lang geht im Versorgungsdschungel. In Modellprojekten beweisen sie derzeit ihre Wirksamkeit. Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Peter Löcherbach skizziert, inwiefern Lotsen der Schlüssel zum Care- und Case-Management sein könnten.

Ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen, Haus- und Fachärzte, Kliniken, Sozialer Dienst, Rehabilitation – das deutsche Gesundheits- und Sozialsystem zeichnet sich durch eine große Vielfalt und Wahlfreiheit aus. Diese Ausdifferenzierung ermöglicht einerseits individuell angepasste Behandlungen. Andererseits haben Patientinnen und Patienten in der Vielfalt des Angebotes Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Nach einem Schlaganfall, nach einer Krebsdiagnose oder bei anderen schwerwiegenden und chronischen Erkrankungen fragen sich Patienten und deren Angehörige: Wer ist zuständig? Welche Hilfen sind die richtigen? Welche Kosten entstehen? Wird auf meine Vorstellungen und Wünsche Rücksicht genommen?

Gerade bei komplexen Erkrankungen begeben sich Patientinnen und Patienten häufig auf eine ungewisse Reise: unklare Diagnosen, unzählige Termine bei Haus- und Fachärzten, Klinikaufenthalte – nicht selten mit widersprüchlichen Ergebnissen. Die Informationsbeschaffung ist mühsam und Transparenz schwer herzustellen. Schließlich stehen geeignete Behandlungen möglicherweise unter Kostenvorbehalt. So bleibt der Behandlungsverlauf oft schwer kalkulierbar.

Gesundheits- und Sozialversorgung verknüpfen.

Um in dieser Situation Orientierung zu bieten, haben Kranken- und Pflegekassen als Sozialleistungsträger gegenüber Bürgerinnen und Bürgern beziehungsweise Versicherten umfassende Aufklärungs-, Auskunfts- und Beratungspflichten. Doch die Normierungen in den verschiedenen Sozialgesetzbüchern (SGB), wie die Pflegeberatung nach Paragraf 7a SGB XI oder das Versorgungsmanagement nach Paragraf 11 Absatz 4 SGB V, garantieren nicht, dass die Unterstützung funktioniert beziehungsweise die Qualität gesichert ist. Gerade in Konstellationen, die eine abgestimmte Versorgung erfordern, sollte ein angemessenes Management im Einzelfall Unterstützung, Behandlung und Versorgung organisieren. Dies kann beispielsweise nach einem Schlaganfall notwendig sein, wenn der Patient nicht mehr in den gleichen Beruf zurückkehren kann und gleichzeitig vor familiären Herausforderungen wie einer Scheidung steht.
 
In solch komplexen Situationen kommt das Care- und Case-Management ins Spiel (siehe Glossar). Dabei handelt es sich um eine Verfahrensweise und ein Programm, um komplexe Versorgungsprobleme fallweise (Case) und im System (Care) anzugehen: Damit das Versorgen und das Umsorgen angemessen gelingen – das heißt, Arbeitsfähigkeit, Lebensqualität und Teilhabe erhalten oder wiederhergestellt werden –, ist eine Verknüpfung von Gesundheits- und Sozialversorgung unabdingbar. Wohlergehen lässt sich nicht auf gesundheitliche oder soziale Bereiche beschränken, sondern beruht auf der Integration von körperlichen, seelischen und sozialen Dimensionen.

Patienten mangelt es an Regiekompetenz.

Patientinnen und Patienten wollen einerseits ihre Selbstbestimmung wahren. Andererseits brauchen sie zeitweise jemanden, der sie unterstützt, weil ihnen in vielen Dingen die Erfahrung fehlt. Sich selbst beziehungsweise die eigene Versorgung zu managen, scheitert häufig an mangelnder Regiekompetenz in der konkreten schwierigen Lage. Ein Grund dafür sind Informationsasymmetrien. Viele Patientinnen und Patienten kommen mit dem Kommunikationssystem der Versorgung, mit Expertensprache, den Regelwerken und Vorschriften nicht zurecht. Hier sind Befähigungs- und Übersetzungsarbeit gefordert, um die Gesundheitskompetenz zu fördern.

Porträt von Kerstin Ohms, Schlaganfall-Lotsin

„Wir sind Fürsprecher der Patienten“

Vom Krankenbett bis zum Wiedereinstieg in den Beruf begleitet Schlaganfall-Lotsin Kerstin Ohms Patienten und ihre Familien. Im G+G-Interview erläutert sie, wie eine passende Versorgung funktionieren kann.

Zudem behindern Zugangsbarrieren die Inanspruchnahme von Hilfen und Versorgungsangeboten. Insbesondere bei den Übergängen von einem Sektor in einen anderen (stationär/ambulant oder Sozial-/Gesundheitsbereich) kommt es zu ungewollten und wiederholten Abbrüchen. Beispielsweise bei Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Skepsis gegenüber Profis sind meist die Alltagsnetzwerke aus Familie, Freunden und Nachbarn nicht mit den institutionellen Versorgungsnetzwerken verbunden. Ihnen helfen Netzwerkarbeit und niedrigschwellige Angebote wie ein „Gesundheitskiosk“ im Stadtteil.

Die dritte Herausforderung besteht darin, Menschen mit besonderem Hilfebedarf zu befähigen, den Genesungs- und Integrationsprozess mitzugestalten. Unterstützende Interventionen helfen, Lebensstiländerungen in den Alltag zu übernehmen – also beispielsweise ein in der Reha begonnenes Training zuhause fortzusetzen.

Studien analysieren Lotsenmodelle.

Um Patienten nach Schlaganfall, Herzinfarkt oder mit schwerwiegenden und chronischen Erkrankungen wie Rheuma Teilhabe zu ermöglichen, sie in Krankheitsphasen zu umsorgen, sie an den Übergängen zwischen den Versorgungssektoren zu unterstützen und den Alltag mit chronischem Kranksein zu ermöglichen, haben sich Patientenlotsen etabliert. Sie arbeiten derzeit häufig in Modellprojekten.

Eine Studie des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) aus dem 2018 und eine Befragung des Bundesverbandes Managed Care (BMC) aus dem Jahr 2020 (siehe Lese- und Webtipps) zeigen die aktuelle Situation der Lotsenmodelle. Die IGES-Studie umfasst neben einer Literaturanalyse die ausführliche Darstellung von 13 Projekten. An der BMC-Umfrage haben sich 38, überwiegend vom Innovationsfonds geförderte Projekte beteiligt. Das Spektrum der Bezeichnungen reicht von Alters-, Baby-, Cardio- oder Schlaganfall-Lotsen über Patienten- und Gesundheitscoach, Social-Care-Nurse, Pfadfinder, Scout bis hin zum Fall- beziehungsweise Case-Manager oder Netzwerkmanager. Manche Projekte kümmern sich um eine organisationsinterne, manche auch um eine sektorenübergreifende Versorgung. Sie begleiten Patienten kurz-, mittel- oder langfristig. Häufig verschwimmen die Grenzen zwischen einer auf einen Fall bezogenen und einer fallunabhängigen Zuständigkeit. Schließlich ist bei vielen Modellen nicht klar, ob es sich um eine bloße Auskunfts- oder um eine Care- und Case-Management-Leistung handelt.

Care- und Case-Management als Maßstab.

Zur Einordnung und Bewertung von Lotsenmodellen kann der Care- und Case-Management-Ansatz herangezogen werden. Er vereint Beratung und Steuerung. Case-Management ist das Versorgungsmanagement auf der Fallebene, Care-Management ist das Versorgungsmanagement auf der Systemebene. In der Fallarbeit (Case) geht es nach Information und Beratung um Planung, Koordination und Begleitung. In der Vernetzungsarbeit steht die Versorgung in einem bestimmten Feld (Care) im Vordergrund. Zu fragen ist also: Wie hängen Lotsenansatz (Navigation durch den Dschungel der Hilfen) und Case-Management-Ansatz (Arrangieren der benötigten Hilfen) zusammen? Wie viel Care- und Case-Management steckt in den Lotsenmodellen beziehungsweise wie viel wird benötigt?

In den 38 Modellprojekten erhalten laut BMC-Umfrage rund 75.000 Patientinnen und Patienten Leistungen von Lotsinnen und Lotsen. In nahezu allen Modellprojekten informieren die Lotsen zu Versorgungsleistungen, koordinieren unterschiedliche Versorgungsangebote und halten Therapie- und Versorgungsangebote nach. Sie beraten Patienten zu Leistungen im Rahmen von SGB V (Krankenkassen), IX (Teilhabe) und XI (Pflege). Sie kooperieren in Netzwerken mit Haus- und Fachärzten, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen sowie Kommunen. Laut BMC-Umfrage beziehen sie jedoch nur selten die Selbsthilfe ein. Einige Modelle wenden ein strukturiertes Eingangsassessment an oder vereinbaren Ziele mit den Patientinnen und Patienten. Damit nutzen sie ähnliche Methoden wie das Case-Management. Die mittlere Interventionsdauer in den Projekten beträgt zwölf Monate bei einer Bandbreite von drei bis 42 Monaten.

Positive Effekte zeichnen sich ab.

Lotsentätigkeit ist nicht an einen bestimmten Beruf oder eine akademische Profession gebunden. Daher findet sich ein breites Spektrum pflegerischer, gesundheitlicher, medizinischer und sozialer Grundqualifikationen plus einschlägiger Zusatzausbildungen. Nach wie vor gibt es noch keinen gemeinsamen oder verbindlichen Weiterbildungsstandard. Allerdings wird in einigen Modellen eine zertifizierte Case-Management-Weiterbildung nach den Richtlinien der DGCC vorausgesetzt (siehe Lese- und Webtipps). Die Anbindung der Lotsen ist nach Ergebnissen der BMC-Umfrage ebenfalls heterogen: Eine Anstellung im Krankenhaus oder im ambulanten gesundheits- und pflegebezogenen Sektor findet sich relativ häufig. Einige Lotsinnen und Lotsen sind freiberuflich tätig.
 
Auch wenn die Evaluationen vieler Projekte noch nicht abgeschlossen sind, kristallisieren sich in der BMC-Umfrage als Effekte heraus, dass Patientinnen und Patienten zufriedener sind: Sie fühlen sich besser informiert, können besser mit ihrer Situation umgehen, verbessern ihren Gesundheitsstatus und erhöhen ihre Lebensqualität. Häufig können Krankenhausaufenthalte minimiert und der Zugang zu Leistungen des Gesundheitswesens verbessert werden. Dazu wird der Aufbau von Netzwerkstrukturen angestoßen.

Lotsen erbringen Regieleistung.

Das Ziel sollte sein, dass Lotsen personen- und bedarfsorientiert vorgehen. Dann ist ihre Tätigkeit tatsächlich eine Care- und Case-Management-Aufgabe. Das wird zum einen daran deutlich, dass Lotsentätigkeit eine Verknüpfungsaufgabe ist. Lotsen verbinden das System der (Selbst-)Sorge mit dem System der Versorgung. Sie minimieren Brüche in der Versorgung durch ihre Tätigkeit als Care- und Case-Manager.

  • Grit Braeseke, Stefan Huster, Claudia Pflug, Sandra Rieckhoff, Jonathan Ströttchen, Hans-Dieter Nolting, Sinja Henrike Meyer-Rötz: Studie zum Versorgungsmanagement durch Patientenlotsen. IGES-Institut im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums, 2018. Download
  • Bundesverband Managed Care: Lotsenprojekte in Deutschland – Kurzauswertung einer Befragung von Modellprojekten. 2020. Download
  • Deutsche Gesellschaft für Care und Case Management (Hrsg.): Case Management Leitlinien. Rahmenempfehlung, Standards und ethische Grundlagen. Medhochzwei Heidelberg, 2020.
  • Andreas Fellgiebel, Peter Löcherbach: Regionale Vernetzung und Case Management in der Demenzversorgung. In: Case Management 17, Heft 4/2020, S. 215–220
  • dgcc.de: Weiterbildungsrichtlinien

Zudem ist Lotsentätigkeit eine Unterstützungs- und zum Teil eine Regieleistung. Lotsentätigkeit als Unterstützungsleistung erfordert unterschiedliche Beratungsmodi in der Arbeit mit Patienten und deren Angehörigen. Sie informieren nicht nur, sondern leisten häufig auch psychosoziale Beratung und erbringen, je nach Einsatzgebiet, eigene spezifische Fachleistungen wie beispielsweise Psychoedukation, Anleitung und Training. Sind die Lotsen mit der Organisation der Versorgung bei komplexen Fallkonstellationen betraut, erbringen sie nach einer ersten Beratung eine Regieleistung im Sinne eines allgemeinen Case-Managements. Diese beinhaltet die Abstimmung von und mit allen beteiligten Akteuren durch fallbezogene Vernetzung und erfordert eine Steuerung der Aktivitäten im Rahmen von (gesetzlichen) Vorgaben.

Vernetzung auf verschiedenen Stufen.

Für die Praxisarbeit ergeben sich in der Verbindung von Lotsen- und Case-Management-Ansatz drei Intensitätsstufen: In Stufe 1 (Fachberatung und Begleitung ohne umfassende Koordination) ist die Akteursdichte gering und wenig Abstimmung notwendig. Es reichen einfache Vermittlungen. In Stufe 2 (Beratung, Begleitung und Koordination auf Basis bestehender Versorgungspfade und Netzwerkstrukturen) gibt es erhöhten Abstimmungsbedarf, der in etablierten Netzwerkstrukturen erfolgt. In Stufe 3 (intensive Begleitung und individuelle Koordination) werden mehrere bis viele Akteure, zum Teil in neuartiger Konstellation, einbezogen.
 
Darüber hinaus ist Lotsentätigkeit eine Vernetzungsleistung, damit aus dem Nebeneinander in der Versorgung ein Miteinander wird. Lotsen arrangieren auf Grundlage eines Versorgungsplans die Kooperation im Einzelfall und organisieren die Zusammenarbeit aller Beteiligten durch Fallkonferenzen. Sie sind zudem bei der Vernetzung im Bereich beteiligt und stimulieren diese häufig.
 
Das betrifft übergreifende Absprachen für häufig auftretende Fallkonstellationen und bildet den Rahmen für eine fallunabhängige, systembezogene Zusammenarbeit. Die Organisation der Zusammenarbeit aller relevanten Akteure im Versorgungsbereich geschieht durch Netzwerkkonferenzen. In der Praxis ist deshalb die fallbezogene Vernetzung einzubetten in das (aufzubauende) Care-Management-System. Nur dann kann das individuelle Case-Management funktionieren. Zu den guten Beispielen für die Vernetzung auf beiden Ebenen gehören die in vielen Regionen bestehenden Demenz-Netzwerke und der Verein „Alter und Soziales“ in Ahlen.

Lotsentätigkeit gesetzlich verankern.

Ein komplexer Hilfebedarf liegt gewissermaßen quer zu den SGB-Bereichen und besteht sektorenübergreifend. Lotsen sollten kompetent sein, diese Hilfe fallangemessen zu arrangieren. Nicht zuletzt deshalb ist eine einheitliche Lösung bezüglich der Qualifikation von Lotsen sowie der rechtlichen Verankerung und Finanzierung der Leistungen erforderlich. Die Finanzierung sollte durch mehrere Sozialversicherungszweige erfolgen.

Lotsentätigkeit ist eine Vernetzungsleistung, damit aus dem Nebeneinander in der Versorgung ein Miteinander wird.

Die Vorschläge zur gesetzlichen Verankerung, wie sie die IGES-Studie von 2018 wiedergibt, spiegeln das Problem: Soll auf der Basis einer rechtskreisübergreifenden allgemeinen Norm (SGB I) ein Anspruch formuliert werden, wie etwa: Menschen mit komplexer, andauernder Versorgungsbedürftigkeit haben Anspruch auf eine leistungsartübergreifende, interdisziplinäre Koordination, Begleitung und Betreuung? Das würde dem sektorenübergreifenden Ansatz des Case-Management gerecht werden. Oder sollen zunächst nur zulassungs- und finanztechnisch die Voraussetzungen im SGB V verankert werden – mit Verweis auf die entsprechenden Normen insbesondere in SGB IX, XI und XII?

Übergangsfinanzierung verbindlich regeln.

Die Frage ist aber nicht, ob die Lotsenmodelle in die Regelversorgung übernommen werden oder nicht, sondern eher wann und wie. Allerdings läuft vielen etablierten Modell-Projekten die Zeit davon, und sie sind in einem unauflösbaren Widerspruch gefangen: Bevor Modellprojekte in die Regelversorgung übernommen werden, ist häufig ein wissenschaftlicher Nachweis der Wirksamkeit zu führen. Doch die Ergebnisse können zum Ende der Förderphase noch gar nicht verfügbar sein, da Daten für die Evaluation erst zeitverzögert vorliegen. Beispielsweise können Routinedaten der Krankenkassen erst rund neun Monate nach Abschluss des Erhebungszeitraumes für eine Kontrollgruppenauswertung herangezogen werden. Die im Modellprojekt angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können in dieser Zeit nicht mehr weiterbezahlt werden, die Programme laufen aus, die aufgebauten Strukturen und das gesammelte Wissen versanden. Die im Modellprojekt besser betreuten Patientinnen und Patienten sind wieder allein auf die Regelversorgung angewiesen.

Die Möglichkeiten einer Übergangsfinanzierung sind daher besser und verbindlicher als bisher zu etablieren. Dann kann eine Überführung der Modelle in die Regelversorgung gelingen und die in den Projekten aufgebaute Struktur- und Prozessqualität erhalten bleiben.

Qualitätsanforderungen berücksichtigen.

Der Leistungsanspruch auf Care- und Case-Management ist zu verknüpfen mit bestimmten Qualitätsanforderungen. Eine Arbeitsgruppe des Bundesverbandes Managed Care entwickelt derzeit Eckpunkte für einen Leistungsumfang von Gesundheitslotsen sowie Eckpunkte für deren Qualifikation. Die Fachgruppe Patientenlotsen der Deutschen Gesellschaft für Care- und Case-Management erarbeitet fachliche Standards. Diese beziehen sich auf folgende Punkte:

1. Lotsendefinition, Kompetenzprofil und Lotsengrade:

Lotsinnen und Lotsen arbeiten auf einem am Care- und Case-Management ausgerichteten Stufen-Konzept mit indikationsspezifischen Lotsengraden und einer klaren Patienten- beziehungsweise Personorientierung. Sie bewerkstelligen damit bedarfsentsprechend im Einzelfall eine nötige Unterstützung, Behandlung, Begleitung, Förderung, Versorgung und Teilhabe von Menschen.

2. Aufgaben und Leistungsumfang:

Zu den Aufgaben gehören Beratungs-, Koordinations- und Vernetzungsleistungen und deren Ausdifferenzierung als Beratungs- und Regieleistungen, die auch Hausbesuche umfassen und im sozialräumlichen Bezug erfolgen. Es sind Zeitkorridore für unterschiedliche Patienten-/Angehörigengruppen vorzusehen. Für die Koordinierung der Versorgung der betreuten Patienten sind die Lotsen in ein regionales Netzwerk von Leistungserbringern, Sozialleistungsträgern, relevanten öffentlichen Institutionen und Bürgerinitiativen einzubinden.

3. Qualifikation:

Die Qualifikation der Lotsen sollte sich an den Curricula für Case- und Care-Management anlehnen (DGCC 2019; ZQP 2014; BÄK 2016) und die indikationsspezifischen Anforderungen an eine Lotsentätigkeit berücksichtigen. Die benötigte personale und fachliche Kompetenz führt zu einem DQR-Qualitätsniveau 6 (DQR: Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen). Dies entspricht einem Bachelorstudium oder einer anspruchsvollen Weiterbildung.

4. Trägerschaft:

Lotsen sind sowohl bei Trägern im stationären als auch im teilstationären und ambulanten Bereich anzusiedeln. Dabei ist eine neutrale, patientennahe Vorgehensweise zu gewährleisten. Träger können sowohl privatwirtschaftliche wie gemeinnützige Organisationen als auch Kommunen sein. Entsprechend hohe Qualitätsanforderungen gelten auch für die Patientenlotsen-Organisationen: Diese sollten vor der Zulassung zertifiziert werden.

Patientenlotsen sind nur ein Beispiel für die Nutzung des Care- und Case-Management-Ansatzes im Gesundheitswesen. Sie stehen derzeit im Fokus, weil sich hier zeigen wird, ob und wie Politik und Sozialleistungsträger die Frage des Anspruchs auf Wegleitung für vulnerable Gruppen und dessen Integration in die Regelversorgung aufgreifen und umsetzen. Die Zeit ist allemal reif dafür.

Literatur beim Verfasser

Glossar:

Case-Management

ist das Versorgungsmanagement auf der Fallebene. Es ist eine Verfahrensweise in Humandiensten und ihrer Organisation zu dem Zweck, bedarfsentsprechend im Einzelfall eine nötige Unterstützung, Behandlung, Begleitung, Förderung und Versorgung von Menschen angemessen zu bewerkstelligen. Damit bezeichnet der Ansatz eine bedarfsorientierte Steuerung (Management) einer Fallsituation (Case) zur Bewältigung einer personenbezogenen Problematik. Der Handlungsansatz ist zugleich ein Programm, nach dem Leistungsprozesse in einem System der Versorgung und in einzelnen Bereichen des Sozial- und Gesundheitswesens effektiv und effizient gesteuert werden können. Case-Management erfolgt innerhalb einer Organisation und im regionalen Versorgungsgefüge.

Care-Management

ist das Versorgungsmanagement auf der System­ebene. Es gestaltet die personenunabhängigen Sorgestrukturen im regionalen Versorgungsgefüge. Care-Management umfasst das gesundheits- und sozialpflegerische Hilfesystem in einer Stadt oder Region. Die beteiligten Dienste, Ämter und Einrichtungen sollten zusammenarbeiten und über die jeweiligen Angebote Bescheid wissen. Im Care-Management steht ein Versorgungsbereich beziehungsweise eine zu versorgende Gruppe (wie beispielsweise pflegebedürftige Menschen, Menschen mit Behinderung, chronisch kranke Kinder) im Fokus.

Peter Löcherbach lehrt an der Katholischen Hochschule Mainz im Fachbereich Soziale Arbeit und Sozialwissenschaften und ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management.
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