Interview

„Ein grenzenloser Akt der Liebe“

Wenn ein Elternteil krank und pflegebedürftig ist, ist das eine große Belastung – das weiß auch Lana Rebhan. Die 17-Jährige möchte deshalb andere Betroffene unterstützen, etwa im Internet. Von den Ängsten und Sorgen der Kinder und wie ihnen geholfen werden kann, berichtet sie im Interview.

Lana, Sie leben seit früher Kindheit mit Ihrem schwerkranken Vater zusammen. Was bedeutet das?

Lana Rebhan: Mein Vater leidet unter Zystennieren, einer Erbkrankheit. Ich war acht Jahre alt, als es richtig begann. Mein Papa war da Anfang vierzig. Für mich als Kind bedeutete das, dass mein Papa plötzlich nicht mehr so mit mir spielen konnte, wie er es vorher konnte und Schmerzen hatte, wenn ich ihn ansprang. Seitdem ist er regelmäßig im Krankenhaus. Er hatte schon eine Lungenentzündung, einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall. Das ist mit einer großen psychischen Belastung verbunden: das ständige Nichtweiterwissen, seine Schmerzen, seine Stimmungsschwankungen sowie die Konfrontation mit Vergänglichkeit und Tod. Da ist die ständige Ungewissheit, wie lang er noch zu leben hat.

Foto von Lana Rebhan, Gründerin des Portals young-carers.de

Zur Person

Lana Rebhan macht eine Ausbildung zur Steuerfach­angestellten. Für ihr Portal „young-carers.de“, auf dem sich unter anderem eigene Erfahrungsberichte finden, wurde sie 2019 bei der Aktion „Helden des Alltags“ mit dem ersten Platz geehrt.

Wie kam es zur Gründung des Portals „young-carers.de“?

Rebhan: An meinem 13. Geburtstag wurde meinem Vater eine Niere entfernt, und ich habe den Tag auf der Intensivstation verbracht. Bei der Operation hätte er sterben können, denn es gab Komplikationen. Kinder lernen so zurückzustecken. Doch durch meine Eltern und durch Bücher über Logotherapie habe ich erkannt, dass ich zwar die Krankheit von meinem Papa nicht ändern kann, aber dass ich vielleicht der ganzen Sache einen Sinn geben kann, indem ich das Leben von anderen Betroffenen positiv beeinflusse. Für die Schule hatte ich gelernt, mit einem Programm Internetseiten zu erstellen. So habe ich aus Spaß eine Seite programmiert. Das hat sich dann ganz rasant entwickelt, und es kamen viele Anfragen von Betroffenen und von Medien. Nach wie vor gibt es die Möglichkeit, dass sich Young Carers mit mir austauschen. Betroffene Eltern können Kontakt mit meinem Vater oder meiner Mutter aufnehmen.

Welche Anliegen haben denn Kinder und Jugendliche, die sich an Sie wenden?

Rebhan: Viele Kinder und Jugendliche wollen einfach mal über ihre Situation und ihre zahlreichen Ängste und Sorgen reden. Viele von ihnen werden ausgelacht oder kommen in der Schule nicht mehr mit, so wie es bei mir war. Die Klassenarbeiten werden geschrieben und der Stoff geht voran, egal, ob zu Hause ein Elternteil krank und pflegebedürftig ist. Das ist ein wahnsinniges Dilemma.

Was ist die größte Belastung für die Kinder, deren Eltern schwer erkrankt sind?

Rebhan: Die Kinder fühlen sich übermäßig für die Familie verantwortlich, sodass sie praktisch die Rolle der Eltern übernehmen. Der Begriff dafür heißt Parentifizierung. Dieses ständige Bemühen, die Familie aufzufangen, die Eltern zu trösten, für sie zu sorgen und gleichzeitig die Krankheit nicht richtig zu verstehen, halte ich für die größte Belastung. Zugleich fehlt es den jungen Menschen massiv an Anerkennung für ihre Leistung.

Wie kann den Betroffenen geholfen werden?

Rebhan: Den Kindern und Jugendlichen wird oft vermittelt, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Wir wollen ihnen mit auf den Weg geben, dass sie nicht selbst schuld an der Situation sind. Wir wollen ihnen Hoffnung geben und das Selbstwertgefühl stärken, dass sie aufstehen und sagen: „Diese Zeit wird vorbeigehen, und ich kämpfe jetzt für das, was ich nach der Pflege machen möchte.“ Wir wollen die Kinder zudem ermutigen, über ihre Situation zu sprechen und nicht die Schule abzubrechen oder in Drogen abzurutschen. Dazu versuchen wir ihnen vor allem zu vermitteln, dass das, was sie tun, ein grenzenloser Akt der Liebe ist. Es ist das größte Geschenk, das man einem Menschen machen kann: bedingungslos für ihn da zu sein.

Thorsten Severin führte das Interview. Er ist Redakteur der G+G.
Bildnachweis: privat