WIe könnte die Gesundheitsversorgung der Zukunft aussehen? Darüber sprachen Experten bei der Veranstaltung „AOK im Dialog“.
Sektorenübergreifende Versorgung

Impulse für den Strukturwandel

Patientenorientiert denken, regional planen, Vielfalt ermöglichen: Wie sich die Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung überwinden lassen, diskutierten Experten aus Politik und Praxis auf Einladung des AOK-Bundesverbandes. Von Änne Töpfer

Eine kleine Klinik

auf dem Land schließt, dafür öffnet dort ein ambulant-stationäres Gesundheitszentrum seine Pforten. Patienten aus dünn besiedelten Regionen lassen sich in einem spezialisierten Krankenhaus in der nächstgelegenen Großstadt operieren und begeben sich zur Kurzzeitpflege in ihre Heimatstadt. Und für viele Operationen ist eine stationäre Aufnahme gar nicht mehr notwendig. Über solche Szenarien einer „Gesundheitsversorgung der Zukunft“ diskutierten Experten aus Politik und Praxis bei der Veranstaltung „AOK im Dialog“.

Mit dem Untertitel „Sektorengrenzen überwinden – Veränderung ermöglichen“ hatte der gastgebende AOK-Bundesverband die Strategie, mit der sich bestehende Defizite bewältigen lassen, bereits grob umschrieben. Die AOK schlägt dazu neue, sektorenübergreifende „3+1-Gremien“ aus Vertretern von Kassen, Ärzten, Kliniken sowie als unparteiisches Mitglied einem Vertreter des jeweiligen Bundeslandes vor, die auf Landesebene die Versorgung planen und sicherstellen.

Planung aus einer Hand.

Zentrales Pro­blem sei die fragmentierte Versorgung, betonte Professor Dr. Jonas Schreyögg, Wissenschaftlicher Direktor des Hamburg Center for Health Economics und Mitglied des Sachverständigenrates für Gesundheit. Die bisherigen Bemühungen um einen Strukturwandel mündeten in einen „Flickenteppich“. Der Ökonom plädiert deshalb für eine Planung „aus einer Hand auf Basis von Bevölkerungsstrukturen und -morbidität“. Die Versorgungssteuerung müsse Leistungen koordinieren. Dazu sollten die Spielräume der Krankenkassen im Wettbewerb erweitert werden.

Im Strukturwandel ist regionale Kompetenz gefragt.

Für Schreyögg sind kommunale Gesundheitszentren „das Mittel der Wahl“. Sie sollten stärker gefördert werden. „Geriatrische Kurzliegestationen“ lobte er als bedarfsgerecht und wohnortnah: „Nicht jeder Patient muss gleich zum Maximalversorger im Ballungszentrum.“ Um Sektorengrenzen zu überwinden, müsse sich die Vergütung an Struktur, Qualität und Leistung orientieren. Schreyögg empfahl Vergütungspauschalen für sektorengleiche Leistungen. Zudem würden „Koordinationspauschalen“ die Rolle der Hausärzte stärken. „Ein Strukturwandel ist dringender denn je“, resümierte der Wissenschaftler.

Gesundheitszentren finden Zustimmung.

Das Konzept, kommunale Gesundheitszentren einzurichten, stieß bei allen Beteiligten auf große Zustimmung. „Kleine Krankenhäuser haben keine Zukunft“, sagte Manfred Lucha, Gesundheitsminister in Baden-Württemberg. Aber bei Schließungen dürfe „nicht nichts übrigbleiben“. Lucha erläuterte: „Menschen brauchen die Sicherheit, dass dort, wo ein Krankenhaus geschlossen wird, etwas angemessenes Neues entsteht: Wir nennen es Primärversorgungszentrum.“ Auch Mark Barjenbruch bezeichnete regionale Gesundheitszentren als „absolut gelungene Idee“. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen erwartet allerdings eine längere Umbauphase: „Das System ist so verästelt, dass es sich nicht von heute auf morgen ändern lässt.“

Im Strukturwandel ist regionale Kompetenz gefragt. „Wenn wir die Inhalte diskutieren, werden wir auf Strukturen kommen, die regional unterschiedlich sind“, unterstrich Dr. Francesco De Meo, CEO von Fresenius Helios. Er sieht da­rin „Chancen für Kliniken: entwickeln statt abwickeln“.

Mehr Vertragsfreiheit gewähren.

Auch Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, betonte: „Wir brauchen eine Vielfalt von Möglichkeiten, auch mit niedrigschwelligen Angeboten.“ Er empfahl, dabei patientenorientiert zu denken: „Das ist eine gute Grundlage dafür, dass Versorgung funktioniert.“ Das müsse man „kleinräumig anpacken, mit kontrollierter Vertragsfreiheit“. Litsch plädierte dafür, den Krankenkassen mehr Vertragsfreiheit zu gewähren: Der Kontrahierungszwang müsse durch eine „Kontrahierungslust“ abgelöst werden. „Da die sektorenübergreifende Versorgung im Koalitionsvertrag so prominent platziert ist, hoffe ich, dass auch die Voraussetzungen zur Umsetzung geschaffen werden“, sagte der AOK-Chef. „Wenn wir den rechtlichen Rahmen haben, kann es losgehen. Dann können Verträge gemacht werden.“

Änne Töpfer ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
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