„Pflege am Bett“: Das Pflegebudget soll Versorgung und Berufszufriedenheit verbessern – doch es gibt Nachbesserungsbedarf.
Pflegekosten

Teurer Reformunfall bei der Vergütung

Seit 2020 rechnen Krankenhäuser die Pflege über ein mit den Kassen verhandeltes Budget ab. Das begünstigt bisher eine Doppelfinanzierung. Daher gilt es nun, die Fallpauschalen vollständig zu bereinigen. Von Michael Slowik und Dr. David Scheller-Kreinsen

Um die „Pflege am Bett“ zu stärken,

hat die Bundesregierung vor zwei Jahren das sogenannte Pflegebudget eingeführt. Die Personalkosten für Pflege auf bettenführenden Stationen inklusive der Kosten für Leiharbeit und Honorarkräfte sind seither nicht mehr Bestandteil der Dia­gnosis Related Groups (neue Abkürzung: aDRGs; a steht für ausgegliedert). Kliniken und Kassen verhandeln stattdessen nun über das Pflegebudget. Die Ausgliederung der Pflegekosten aus den Fallpauschalen hatte zum Ziel, die Qualität der Versorgung und die Berufszufriedenheit der Pflegekräfte zu verbessern. Doch die Neuregelung hat ihr Ziel klar verfehlt. Eine Reform ist daher dringend geboten.

Wirtschaftlichkeitsgebot missachtet.

Das Nebeneinander von aDRG-System und Selbstkostendeckung führt zu hohen Ausgabensteigerungen ohne echten Personalaufbau. Damit verbunden ist ein großer bürokratischer Aufwand und eine hohe Komplexität in der Umsetzung auf Ortsebene. Das gilt für Krankenhäuser und Krankenkassen.
 
Die Einführung der Selbstkostendeckung setzt zudem falsche Anreize: Das Wirtschaftlichkeitsgebot wird für einen rund 20 Milliarden Euro schweren Kostenblock der Krankenhausvergütung außer Kraft gesetzt. Das spiegelt sich in jährlichen Kostensteigerungsraten im zweistelligen Bereich wider. Ferner buchen die Kliniken nun Kosten, die ursprünglich organisatorisch den medizinisch-technischen Einheiten, dem Funktionsdienst oder angrenzenden Bereichen wie Ambulanzen zugeordnet waren, in den Pflegedienst um. Vergütungsanreize sorgen dafür, dass die Kliniken Tätigkeiten verschieben. Das Ergebnis: Die Krankenkassen müssen Kosten im Umfang von jährlich 700 bis 800 Millionen Euro doppelt finanzieren, da die Kosten weiterhin in den Fallpauschalen angesetzt werden.

Künftig müssen die Pflegeleistungen statt der Pflegekosten im Fokus stehen.

Das hat auch problematische Wirkungen auf den Krankenhausmarkt: Träger, die massiv Personal in die Pflege umbuchen, haben einen finanziellen Vorteil und erhöhen ihre Rendite – vor allem zulasten der Versichertengemeinschaft, aber auch zulasten anderer Krankenhausträger und des Personals. So nahmen zunächst vor allem private Kliniken strategische Umbuchungen vor (siehe Grafik „Klinikabrechnung: Buchungstricks statt Pflegestärkung“). Öffentliche und konfessionelle Träger mussten jedoch nachziehen, um nicht ins Hintertreffen zu kommen.

Anpassungen zeigen kaum Wirkung.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der GKV-Spitzenverband haben das Problem der fehlenden Bereinigung von Fallpauschalen bereits im vergangenen Jahr kontrovers beraten und sich auf einen Kompromiss verständigt: Das Pflegebudget soll demnach künftig vorrangig für Personal mit pflegerischer Qualifikation vereinbart werden. Die Klarstellungen aus dem Jahr 2020 und die mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz auf den Weg gebrachten Anpassungen zeigen allerdings bislang kaum Wirkung. Wie bereits im Jahr 2020 hat das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) für das Jahr 2022 einen Anstieg der Pflegepersonalkosten von mehr als zehn Prozent (fast zwei Milliarden Euro) festgestellt. Vor dem Hintergrund der moderaten Tarifsteigerungen und des nur geringen Stellenzuwachses ist die expansive Steigerung der Kosten im Pflegebereich nicht durch reale und begründete Preis- und Mengeneffekte erklärbar. Die Fallpauschalen hätten deshalb für das Jahr 2022 um mindestens 700 Millionen Euro bereinigt werden müssen.

Ersatzvornahme reicht nicht.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat eine Ersatzvornahme für die Entgeltkataloge vorgelegt, die nur einen Bruchteil der notwendigen Bereinigung bewirkt (175 Millionen Euro). Versicherte und Arbeitgeber würden im Endeffekt mehr als eine halbe Milliarde Euro zu viel zahlen – ohne dass sich die Patientenversorgung verbessert. Denn am Krankenbett steht kein zusätzliches Personal zur Verfügung.

Grafik: Diagramm stell Klinikabrechnungen dar

Seit 2020 rechnen Kliniken die Pflege nicht mehr über die Fallpauschalen, sondern über das Pflegebudget ab. Dabei haben viele Krankenhäuser 2019 Kosten aus anderen Organisationsbereichen in die Pflege umgebucht. Insbesondere private Träger fielen mit dieser Strategie auf: Bei ihnen betrug der Kostenzuwachs von 2018 auf das Jahr der Pflegeausgliederung 2019 im Pflegedienst 12,6 Prozent. Gleichzeitig sanken die Kosten im medizinisch-technischen und Funktionsdienst um 3,3 Prozent. Im Ergebnis zahlt die Solidargemeinschaft damit doppelt, da Personalkosten sowohl über die Fallpauschalen als auch das Pflegebudget finanziert werden.

Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Statistisches Bundesamt

Das verschärft die Probleme, die momentan das Gesundheitssystem belasten: Laut Deutscher Interdisziplinärer Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin fehlen grob geschätzt bundesweit 3.500 bis 4.000 Fachkräfte für die Intensivpflege. Erschwerend kommen die von großen Krankenhauskonzernen initiierten Personalverschiebungen hinzu. Sie haben angekündigt, Tätigkeiten von Hilfskräften auf Pflegekräfte zu verlagern, da durch die Herausnahme der Pflege aus den DRGs Effizienzanreize verloren gegangen sind.

Manipulationen verhindern.

Die neue Bundesregierung steht nun vor der dringenden Aufgabe, die Spielräume für Manipulationen und Tricksereien bei der Pflegekostenfinanzierung zu schließen. Dafür muss sie das InEK gesetzlich beauftragen, bis zum 30. Mai 2022 ein Regelwerk zu entwickeln, das Vorgaben macht, unter welchen Voraussetzungen die Fallpauschalen zu bereinigen sind. Die Regelungen sind im Jahr 2022 mit Wirkung für den Entgeltkatalog 2023 unmittelbar anzuwenden. Damit lassen sich zumindest gravierende Doppelfinanzierungen durch aDRGs und das Pflegebudget verhindern. Um die Verhandlungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen möglichst objektiv und aufwandsarm zu gestalten, ist eine gesetzliche Grundlage für die Übermittlung von krankenhausbezogenen Personal- und Strukturdaten der Statistischen Landesämter an die Vertragspartner auf der Ortsebene zu schaffen. Das InEK muss den gesetzlichen Auftrag erhalten, eine verlässliche Datenbasis aufzubauen, um Verlagerungs- und Buchungseffekte messen zu können und diese von Tarif- und Mengenentwicklung zu unterscheiden. Für die notwendige Datenlieferung der Statistischen Landesämter beziehungsweise des Statistischen Bundesamtes an das InEK ist eine gesetzliche Grundlage zu schaffen.
 
Das BMG muss eine unabhängige Evaluation zur Bewertung der Ausgliederung der Pflegepersonalkosten in Auftrag geben, die bis zum Herbst 2022 vorzulegen ist. Bereits heute ist absehbar, dass der durch die Selbstverwaltungspartner auf Bundesebene zu erstellende Bericht nach Paragraf 17b Absatz 8 Krankenhausfinanzierungsgesetz keinen nennenswerten Erkenntnisgewinn bei der Analyse der vielfältigen Verwerfungen der derzeitigen Pflegekostenfinanzierung leisten wird.

Doppelfinanzierung ausschließen.

Die neue Bundesregierung muss die Manipulationsanfälligkeit der aktuellen Systematik schnell beseitigen. Sie muss dafür sorgen, dass Kliniken die finanziellen Mittel der Beitragszahler für eine bessere Pflege, bessere Arbeitsbedingungen und somit auch für mehr Patientensicherheit einsetzen. Die AOK-Gemeinschaft hat daher bereits in ihren Vorschlägen für ein Sofortprogramm gefordert, dass die neue Bundesregierung eine Doppelfinanzierung durch DRGs und Pflegebudgets gesetzlich ausschließt.

AOK-Bundesverband: Positionspapiere

  • „Jenseits des Lagerdenkens“ (AOK-Bundesverband und Allianz Kommunaler Großkrankenhäuser, September 2021). Download
  • „Veränderung ermöglichen – Gesundheitsversorgung regional und patientenorientiert weiterentwickeln“ (AOK-Bundesverband, Helios, Diakoneo und Bezirkskliniken Mittelfranken zu regionalen Versorgungsaufträgen, August 2021). Download
  • AOK-Positionen „Für eine Vergütungs- und Strukturreform im Krankenhaussektor“. Download

Darüber hinaus ist mittelfristig eine Neuordnung der Pflegekostenfinanzierung vorzunehmen. Die wesentlichen Eckpunkte dafür hat die AOK-Gemeinschaft mit den „AOK-Positionen für eine Vergütungs- und Strukturreform im Krankenhaussektor“ vom 31.7.2021 vorgelegt (siehe Kasten Lese- und Webtipps). Die Pflege sollte durch eine digitale Leistungserfassung den ärztlichen Leistungen methodisch gleichgestellt werden. So kann die Kalkulation und Vergütung von Pflegeleistungen (statt Pflegekosten) erfolgen und die Pflege Gegenstand einer validen Qualitätssicherung werden.

Die bestehenden Probleme der Abgrenzung und Doppelfinanzierung lassen sich so überwinden. Künftig müssen Pflegeleistungen statt Pflegekosten im Fokus stehen. Das verbessert die Patientenversorgung und die Situation der Beschäftigten in der Pflege.

Michael Slowik ist Referent Stationäre Versorgung, Rehabilitation im AOK-Bundes­verband.
David Scheller-Kreinsen ist Referatsleiter Stationäre Versorgung, Rehabilitation im AOK-Bundesverband.
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