Thema des Monats

Ampel startet mit hohem Anspruch

Die gesundheitspolitische Agenda von SPD, FDP und Grünen adressiert die richtigen Vorhaben, meinen Kai Senf und Steffen Koczott. Damit das Dreierbündnis halten kann, was es verspricht, sind aber schnelle Schritte zur Stabilisierung der Kassenfinanzen und Mut bei der Umsetzung der Pläne vonnöten.

Mehr Fortschritt wagen: Mit der Adaption des Willy-Brandt-Slogans „Mehr Demokratie wagen“ für den Titel ihres Koalitionsvertrags hat die neue Regierungskoalition die Messlatte für die kommenden vier Jahre hoch gehängt. Die Ampel-Koalition wird sich bei jedem einzelnen ihrer Reformvorhaben daran messen lassen müssen, wie mutig sie agiert, um wirklichen Fortschritt zu erzielen. Das gilt auch für die gesundheitspolitische Reformagenda. Dabei ist die Ausgangslage im Gesundheitswesen schwierig. Die neue Bundesregierung startet mitten in der Corona-Pandemie. Der Stresstest für die Strukturen des Gesundheitssystems geht weiter, regional sind die Kapazitäten überlastet. Mit dem Amtsantritt geht es daher in erster Linie um Krisenbewältigung und eine vorausschauende Planung, um die nächsten Infektionswellen besser in den Griff zu bekommen.

Regierung unter Handlungsdruck.

Corona gibt somit den Takt für die ersten hundert Tage der gesundheitspolitischen Ampel vor. Doch auch unabhängig von der Pandemie treten die Fehlentwicklungen im Gesundheits- und Pflegebereich immer deutlicher zu Tage. Zu den chronisch offenen Reformbaustellen summiert sich ein umfassender Korrekturbedarf der halbherzigen, zum Teil falsch angelegten Maßnahmen vorangegangener Wahlperioden. Zusammen mit der Pandemie erzeugt das einen gewaltigen Handlungsdruck für die neue Regierung.
 
Insbesondere die Ära Spahn war im Hinblick auf echte Reformen eine Enttäuschung: Die vielen Gesetze und finanziellen Zuwendungen haben unterm Strich strukturell zu wenig verändert. Richtig bewegt haben sich nur die Ausgaben, die stetig stiegen. Die stabile Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage und sprudelnde Beitragseinnahmen in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung haben mehr als eine Dekade lang die gesundheitspolitische Orientierungslosigkeit überdeckt. Aber bereits 2020 und verstärkt im Jahr 2021 ließen sich die immer größeren Finanzlöcher nur durch staatliche Sonderzuschüsse und durch das Abschmelzen der finanziellen Reserven der Kranken- und Pflegekassen stopfen. Auch für 2023 zeichnen sich Defizite in dieser Größenordnung ab. Gleichzeitig wären solche fiskalischen Notoperationen mit der im Koalitionsvertrag vereinbarten Rückkehr zur Schuldenbremse für die Jahre 2023 und folgende nicht mehr vereinbar.

Milliardenlöcher schließen.

Die dauerhafte finanzielle Stabilisierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist neben der Corona-Pandemie die dringlichste gesundheitspolitische Aufgabe der neuen Bundesregierung. Der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) fehlen im Jahr 2022 mindestens 14 Milliarden Euro, um den Zusatzbeitrag entsprechend der Sozialgarantie – nach der die Sozialversicherungsbeiträge nicht über 40 Prozent steigen sollen – bei 1,3 Prozent zu stabilisieren. Auf Initiative der Vorgängerregierung wurde die finanzielle Leistungsfähigkeit der GKV für 2022 vorläufig durch zusätzliche Bundesmittel sichergestellt.
 
Aber bereits für das Jahr 2023 muss die neue Regierung eine Lösung finden, um die Finanzlücke zu schließen. Zudem werden durch einige Vorhaben des Koalitionsvertrages zusätzliche Belastungen für die GKV ausgelöst. Falls der Gesetzgeber nicht gegensteuert, fehlen zum Ende der Wahlperiode rund 50 Milliarden Euro, die dann vollständig über den Zusatzbeitrag zu finanzieren wären. Der zusätzliche Beitrag zur Krankenversicherung würde sich von heute 1,3 auf rund drei Prozent mehr als verdoppeln. Allerdings findet die Sozialgarantie im neuen Koalitionsvertrag keine Erwähnung mehr. Die Ampel lässt sich damit eine Hintertür für Anpassungen der Krankenversicherungsbeiträge offen. Dennoch ist es kaum vorstellbar, dass eine linksliberale Regierungskoalition die Belastungen für die Beitragszahler in diesem Umfang ansteigen lässt.

Grafik: Umfrage zum Handlungsbedarf hinsichtlich verschiedener Faktoren, wie personeller Ausstattung und Digitalisierung

Eine bessere personelle Ausstattung im Gesundheitswesen gehört zu den wichtigsten Aufgaben der neuen Regierung: Das gaben 57 Prozent der im Auftrag der AOK befragten Frauen und Männer an. Großen Handlungsbedarf sehen 38 Prozent zudem bei der Stabilisierung der Kassenbeiträge.

Quelle: Civey im Auftrag der AOK/gestützte Umfrage/
Stichprobengröße: rund 10.000/Zeitraum: 9.–13.9.2021

Es sind also kluge und weitreichende Maßnahmen notwendig, um einerseits die Beitragszahler nicht zu überfordern und anderseits finanzielle Spielräume für dringend notwendige Investitionen zur Modernisierung des Gesundheitswesens zu eröffnen. Dabei sind Entlastungsschritte erforderlich, die bereits 2023 im größeren Umfang Wirkung entfalten. Der Finanzrahmen der GKV muss deshalb früh in der zweiten Jahreshälfte 2022 feststehen.

Handlungskorridor ist umrissen.

Anerkennung verdienen SPD, FDP und Grüne dafür, dass sie diese politisch undankbare Aufgabe bei ihren Verhandlungen zum Koalitionsvertrag nicht beiseite gewischt haben. Zwar erwähnen die Koalitionäre das GKV-Defizit im Vertragstext nicht explizit. Sie bekennen sich lediglich recht knapp zur „stabilen und verlässlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“. Aber immerhin kündigen sie erste Schritte an, die zu Entlastungen bei den Einnahmen der GKV (höhere Beitragszahlungen des Bundes für Arbeitslosengeld-II-Empfänger und dynamisierter Bundeszuschuss) und auf der Ausgabenseite (Arzneimittelpreismoratorium, Reform der Nutzenbewertung bei patengeschützten Arzneimitteln) führen können. Gut ist auch, dass der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach klargestellt hat, die Leistungen im Gesundheitswesen nicht reduzieren zu wollen. Mit dieser Leistungsgarantie, bei der auch höhere Zuzahlungen für Patienten ausgeschlossen sein dürften, gibt die Ampel ein zentrales Versprechen ab: Sie will die Finanzierungsprobleme nicht zulasten der Versicherten und Patienten lösen.
 
Der Handlungskorridor der Koalition ist damit umrissen. Gleichwohl reichen die bislang im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen längst nicht aus, um die Versprechen einzuhalten. Auf der Einnahmenseite betrifft das vor allem die unverbindliche Ankündigung, „höhere Beiträge“ für Arbeitslosengeld (ALG)-II-Empfänger zu finanzieren. Hier bedarf es einer Konkretisierung: Im Rahmen der Fürsorgepflicht des Bundes für ALG-II-Empfänger sind nicht nur höhere, sondern kostendeckende Beiträge zur Krankenversicherung zu zahlen. Rund zehn Milliarden Euro Mehreinnahmen pro Jahr könnte die GKV so verbuchen.

Effizienzpotenziale nutzen.

Auch bei den Ausgaben im Gesundheitswesen zeigt die Ampel-Koalition zwar den richtigen Weg auf. Doch sie bleibt bei den angekündigten Maßnahmen etwa im Arzneimittelbereich zu zaghaft. Die Koalition muss mehr wagen und weitere kurzfristige Sparmaßnahmen ergreifen, um den Finanzdruck schnell und gezielt abzubauen. Hierzu zählen die Absenkung der Mehrwertsteuer für alle steuerpflichtigen GKV-Leistungsbereiche auf sieben Prozent, die Anhebung des Herstellerrabatts für patentgeschützte Arzneimittel, die Abschaffung der limitierenden Prüfquote auf Krankenhausrechnungen, die Schließung der Investitionslücke in der stationären Versorgung durch Bund und Länder, die Beendigung der Doppelfinanzierung der Diagnosis Related Groups (DRG) und des Pflegebudgets, die Rücknahme der extrabudgetären Vergütung von Vertragsärzten für Neupatienten und eine Nullrunde bei der vertragsärztlichen Gesamtvergütung. Allein diese Schritte könnten die Kosten in der GKV um bis zu zwölf Milliarden Euro senken. Mit den Mehreinnahmen aus den Beiträgen für ALG-II-Empfänger wäre so eine Stabilisierung des Zusatzbeitrages über das Jahr 2023 hinaus möglich.

Um im Interesse der Versicherten, Beitragszahler und Patienten ein leistungsfähiges und bezahlbares Gesundheitswesen auch auf Dauer zu gewährleisten, müssen darüber hinaus auch die bestehenden Effizienzpotenziale aus den angekündigten Strukturreformen genutzt werden. Die geplanten Reformen im Krankenhaus, bei der sektorenunabhängigen Versorgung und in anderen Bereichen des Gesundheitswesens sind ein Gradmesser dafür, inwieweit die Ampel-Koalition bei der finanziellen Stabilität der GKV mehr Fortschritt wagt.

Positive Signale für die Pflegeversicherung.

Wie in der GKV sind auch in der sozialen Pflegeversicherung (SPV) schnelle Lösungen gefragt, um die absehbaren Finanzprobleme zu reduzieren. Die aktuelle Unterfinanzierung der SPV führt dazu, dass im Jahr 2022 die Ausgaben drei Milliarden Euro höher sein werden als die Einnahmen. Der Koalitionsvertrag liefert konkrete Antworten auf die Frage, wie dieses Defizit beseitigt werden soll. Die bislang von der Pflegeversicherung übernommenen versicherungsfremden Leistungen wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige und pandemiebedingte Zusatzkosten sollen künftig vollständig aus Steuermitteln finanziert werden. Zusätzlich übernimmt die GKV die Kosten für die Behandlungspflege in der stationären Pflege (je nach Ausgestaltung zwei bis vier Milliarden Euro) künftig vollständig. Ob mit der geplanten „Herausnahme der Ausbildungskosten“ aus den Eigenbeteiligungen der Pflegebedürftigen eine vollständige Finanzierung durch die öffentliche Hand verbunden ist, wie es ordnungspolitisch sinnvoll wäre, muss sich in der Umsetzung zeigen. Hier ist der Ampel-Vertrag noch interpretationsbedürftig. Klarer ist die Ankündigung, die Option zur Anhebung des Beitrages zur Pflegeversicherung „moderat“ zu nutzen. Insgesamt ist damit ein Paket geschnürt, das die Pflegeversicherung auf der Finanzierungsseite spürbar entlasten wird.

Entlastung bei den Eigenanteilen.

Der Schwerpunkt der pflegepolitischen Agenda der Ampel-Koalition liegt auf der Entlastung der pflegebedürftigen Menschen von den stetig wachsenden Eigenanteilen insbesondere in vollstationären Einrichtungen. Hier reagiert die neue Koalition auf die unzureichende Pflegereform aus der vergangenen Wahlperiode. Diese hat nur minimal zur Lösung beigetragen, dafür aber die Kosten mit rund zwei Milliarden Euro unverhältnismäßig in die Höhe getrieben. Die mit der Reform eingeführten prozentualen Zuschüsse zu den Eigenanteilen stehen daher zu Recht auf dem Prüfstand. Die geplante Herausnahme der Kosten für die Ausbildungsumlage und die Behandlungspflege in der stationären Pflege kann die Pflegebedürftigen deutlich entlasten.

Als ausgewiesener Fachmann hat Professor Dr. Karl Lauterbach (SPD) im Dezember das Amt des Bundesgesundheitsministers angetreten. Er kenne das Ministerium sehr gut, sagte der Epidemiologe im Interview mit dem „Spiegel“. In den neunziger Jahren habe er die damalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer und später auch Ulla Schmidt beraten. „Ich war Mitglied im Sachverständigenrat für das Gesundheitsministerium und habe viele Gesetze ausgehandelt“, so Lauterbach gegenüber dem „Spiegel“. Der 58-Jährige erwarb nach seinem Medizinstudium und der Promotion in Deutschland den Master of Science in Health Policy and Management an der Harvard School of Public Health. Als Forschungsschwerpunkte nennt Lauterbach die primäre und sekundäre Vorbeugung von chronischen Erkrankungen, insbesondere Disease Management von Diabetes, Hypertonie, COPD und Hypercholesterinämie sowie Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik. Der SPD-Politiker war Mitglied der Rürup-Kommission, saß im Aufsichtsrat des Rhön-Klinikums und im Aufsichtsrat kommunaler Kliniken. 2005 ist er in den Bundestag gewählt worden, von 2013 bis 2020 war er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion. Von der Leitung des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln hat er sich für seine politische Arbeit beurlauben lassen.

Aus dem Aufsichtsrat des AOK-Bundesverbandes bekam Lauterbach zum Amtsantritt viel Zuspruch: Es sei ein starkes Signal und eine vertrauensbildende Maßnahme, dass der profilierte Sozialpolitiker und Epidemiologe jetzt seine ganze Kompetenz als Regierungsmitglied einbringen könne, betonte Knut Lambertin, alternierender Aufsichtsratsvorsitzender der Versichertenseite. Kaum jemand kenne die großen Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen so gut wie Lauterbach.

Dem Minister stehen Sabine Dittmar (SPD) und Professor Dr. Edgar Franke (SPD) als Parlamentarische Staatssekretäre sowie Dr. Antje Draheim und Dr. Thomas Steffen als beamtete Staatssekretäre zur Seite. Sabine Dittmar war in der vergangenen Legislaturperiode gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Die Hausärztin aus Schweinfurt sitzt seit 2013 im Bundestag. Edgar Franke ist seit 2009 im Bundestag und war von 2014 bis 2018 Vorsitzender des Gesundheitsausschusses. In der vergangenen Legislatur war er Beauftragter der Bundesregierung für die Anliegen von Opfern und Hinterbliebenen terroristischer Straftaten im Inland. Antje Draheim ist im Dezember 2021 zur Staatssekretärin im BMG ernannt worden. Die Juristin war seit Juni 2019 Staatssekretärin für Bundesangelegenheiten und Bevollmächtigte des Landes Mecklenburg-Vorpommern beim Bund. Thomas Steffen übernahm im Mai 2019 das Amt des Staatssekretärs im BMG. Zuvor war der Jurist Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.

Zudem kündigt die Koalition eine regelhafte Dynamisierung des Pflegegeldes ab 2022 an. Unverständlich bleibt allerdings, warum diese Dynamisierung nicht für Sachleistungen beziehungsweise alle Leistungsbeträge vereinbart wurde. Dieser Fehler sollte mit der im Koalitionsvertrag angekündigten Prüfung weiterer Schritte zur Absenkung der Eigenanteile korrigiert werden. Hier sollte auch die Übernahme der Investitionskosten in Heimen durch die Länder berücksichtigt werden.

Ergänzt wird die Reformagenda um weitere wichtige Maßnahmen zur Flexibilisierung der Betreuungsangebote für pflegebedürftige Menschen und zur Entlastung pflegebedürftiger Zu- und Angehöriger. Den in der vergangenen Legislaturperiode mit der Konzertierten Aktion angestoßenen Prozess zur Verbesserung der Einkommens- und Arbeitsbedingungen in der Pflege will die Ampel-Koalition fortsetzen. Allerdings werden die Kosten der politisch gewollten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und des Personalausbaus weiterhin über die Eigenanteile der Pflegebedürftigen mitfinanziert. Insgesamt greift der Koalitionsvertrag in der Pflege einzelne, wichtige Problemlagen auf. Eine ganzheitliche strukturbildende Reform für eine zukunftsfeste Pflegeversicherung, etwa durch die Überwindung der Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, werden die vorliegenden Ampel-Pläne noch nicht erreichen.

Reformstau im Klinikbereich beenden.

Der Koalitionsvertrag sieht im Bereich der stationären Versorgung eine Reihe von Reformprojekten vor. Ziel ist die Schaffung einer modernen und bedarfsgerechten Krankenhausversorgung. Die Koalition will dazu eine Regierungskommission einsetzen, die Empfehlungen und Leitplanken für eine zielgenauere Krankenhausplanung erarbeiten und Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung vorlegen soll.
 
Es ist gut, dass die Koalition eine umfassende Reform der Kranken­hausversorgung auf ihre Agenda gesetzt hat. Eine zeitnahe Einsetzung der geplanten Kommission ist durchaus wahrscheinlich, wenn das ambitionierte Reformvorhaben in dieser Legislaturperiode Ergebnisse aufweisen soll. Aufgrund der Erfahrungen mit vergangenen Reformkommissionen ist allerdings Skepsis angebracht, ob dieser Weg schnell zu den gewünschten Verbesserungen führen wird. Wichtig ist, die Krankenkassen an diesem Prozess zu beteiligen. Zudem sollte sich die Krankenhausplanung nicht nur an den Kriterien Erreichbarkeit und demografische Entwicklung orientieren. Sie muss zwingend auch Qualitätsanforderungen berücksichtigen, um eine qualitätsgesicherte Versorgung mit der notwendigen Personalausstattung zu erreichen. Behandlungen sollen nur dort stattfinden und finanziert werden, wo die besten medizinischen und personellen Voraussetzungen gegeben sind. Davon profitieren nicht nur Patienten, sondern auch die Beschäftigten, deren Arbeitsbedingungen sich durch einen effizienteren Personaleinsatz verbessern.

Maßgeblich für die Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft ist eine auskömmliche Finanzierung der Investitionskosten in den Krankenhäusern. Insofern ist es bedauerlich, dass die Ampel-Koalition die ursprünglich vorgesehene teilweise Übernahme der Finanzierung von Investitionskosten durch den Bund am Ende doch nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen hat. Hier muss sie bei der geplanten Reform nachlegen. Die vollständige Investitionskostenfinanzierung durch den Bund und die Bundesländer ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg der Krankenhausreform.

Sektorenübergreifende Versorgung vorantreiben.

Auch bei der sektorenübergreifenden Versorgung will das Dreierbündnis vorankommen. Ambulante und stationäre Bedarfsplanung sollen zusammengeführt und zu einer gemeinsamen Versorgungsplanung weiterentwickelt werden. Auch dabei sind zwingend die Qualitätsanforderungen zu berücksichtigen. Versorgungsplanung und -umsetzung müssen sich zudem stärker an regionalen Bedarfen orientieren. Dafür sollten die Verantwortungs- und Entscheidungskompetenzen grundlegend neu geordnet werden: Krankenkassen und Leistungserbringer sollten unter Beteiligung der Landesbehörden gemeinsam den Sicherstellungsauftrag für die Versorgung vor Ort erhalten, regionale Versorgungsbedarfe definieren und entsprechende Versorgungsverträge sektorenunabhängig an geeignete Leistungserbringer vergeben können. Nur so kann es gelingen, maßgeschneiderte regionale Versorgungsmodelle wie Gesundheitszentren umzusetzen und eine interdisziplinär vernetzte Versorgung mit patientengerechten Behandlungspfaden zu gewährleisten.

Sollen Strukturreformen am Ende der Legislaturperiode positive Wirkungen entfalten, muss die neue Regierung die Weichen 2022 stellen.

Nachdem die Vorgängerregierung eine grundlegende Reform der Notfallversorgung vertagt hat, will die Ampel-Koalition einen neuen Anlauf unternehmen. Integrierte Notfallzentren sollen in enger Zusammenarbeit von Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhäusern die Notfallversorgung übernehmen. Zudem ist die Neuaufnahme des Rettungswesens als integrierter Leistungsbereich in das Sozialgesetzbuch V vorgesehen. Damit greift die Koalition wichtige Impulse auf, die die gesetzlichen Krankenkassen schon länger unterstützen.

Ambulantisierung ins Gesamtkonzept integrieren.

In der ambulanten Versorgung setzt der Vertrag weitere positive Akzente. So ist die geplante Ambulantisierung von nicht erforderlichen stationären Behandlungen grundsätzlich zu unterstützen. Ob die angekündigten Schritte wie etwa sektorengleiche Hybrid-DRGs der geeignete Weg sind, ist bei der gesetzlichen Umsetzung intensiv zu diskutieren. Die sektorengleiche Vergütung allein reicht nicht, um eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung der Patienten flächendeckend zu garantieren. Die bessere Ausschöpfung von Möglichkeiten zur Ambulantisierung ist daher in das Gesamtkonzept zur sektorenunabhängigen Versorgung zu integrieren und mit einem einheitlichen Ordnungsrahmen für alle Leistungserbringer zu versehen.

Ferner beabsichtigt die Koalition, die Attraktivität von bevölkerungsbezogenen Versorgungsverträgen (Gesundheitsregionen) zu erhöhen. Die Intention, durch neue Vertrags- und Versorgungsmodelle die regionale Vernetzung, Koordination und Zusammenarbeit auszubauen, ist zu begrüßen. So sollen vertragliche Spielräume der Krankenkassen und Leistungserbringer vor Ort ausgeweitet werden. Hier deutet sich ein wichtiger Paradigmenwechsel an: Vertragsmöglichkeiten und Gestaltungsspielräume der Kassen sollen wieder erweitert werden. Folgerichtig ist auch, dass die Koalition benachteiligte Kommunen und Stadtteile sowie den ländlichen Raum in den Blick nimmt. Die im Koalitionsvertrag beispielhaft genannten regionalen Versorgungsmodelle wie etwa Gesundheitskioske oder Gesundheitslotsen setzt die AOK-Gemeinschaft seit Jahren aktiv um.

Digitalisierungsstrategie fortschreiben.

Mehr Fortschritt wagen: Das buchstabiert die Ampel-Koalition in weiteren Themenfeldern aus. So plant sie eine regelmäßig fortgeschriebene Digitalisierungsstrategie im Gesundheitswesen und in der Pflege, die sich auf die Lösung von Versorgungsproblemen und auf die Nutzerperspektive konzentrieren soll. Ferner will sie regelhaft telemedizinische Leistungen ermöglichen. Zugleich bekräftigt die Koalition ihren Willen, sämtliche Akteure an die Telematik­infrastruktur anzuschließen. Weiter soll die Einführung des elektronischen Rezepts sowie der elektronischen Patientenakte (ePA) beschleunigt werden. Mit der vorgesehenen „Opt-out“-Regelung für die ePA folgt die Koalition den Empfehlungen des Sachverständigenrates. Dieses Vorhaben ist sinnvoll, um die breitere Anwendung der ePA und eine Verbesserung der Patientenversorgung durch datenschutzkonforme Nutzung der darin enthaltenen Daten zu erzielen. Auch andere Vorhaben wie das Registergesetz sowie ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz weisen grundsätzlich in die richtige Richtung, so etwa die Stärkung der wissenschaftlichen Nutzung von Daten im Einklang mit datenschutzrechtlichen Vorgaben, um die gesundheitliche Versorgung verbessern zu können.

Öffentlichen Gesundheitsdienst stärken.

Die Modernisierung des Gesundheitswesens soll weitere Bereiche umfassen. So sind im Koalitionsvertrag Maßnahmen zur Bevorratung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie Übungen für Gesundheitskrisen vorgesehen. Ferner will die Ampel den Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) weiter stärken. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird in einem eigens geschaffenen Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit aufgehen. Dieses soll die Aktivitäten im Bereich Public Health bündeln, den ÖGD vernetzen und die Gesundheitskommunikation des Bundes übernehmen. Die öffentliche Gesundheit auf der Bundesebene zu reorganisieren und damit das Zusammenspiel zwischen Bund, Ländern und Kommunen sicherzustellen, ist ausdrücklich zu begrüßen.

Tiefer versteckt im Vertragswerk widmet sich die Koalition der gemeinsamen Selbstverwaltung. Eine Reform des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) soll nicht nur die Beteiligungsrechte der Patientenvertreter und der Gesundheitsberufe stärken, sondern auch die Entscheidungen des Gremiums beschleunigen. Diese Reform darf jedoch nicht auf eine Schwächung der gemeinsamen Selbstverwaltung und auf Verzögerungen bei den oftmals fristgebundenen Verfahren hinauslaufen. Für den beim GBA angesiedelten Innovationsfonds will die Ampel-Koalition gesetzlich vorgeben, wie geförderte Projekte in die Regelversorgung zu überführen sind. Dieses Vorhaben ist kritisch zu bewerten. Zum einen liegen die Ergebnisse der gesetzlichen Evaluation des Innovationsfonds noch nicht vor. Zum anderen besteht durch einen politisch induzierten „Bypass“ die Gefahr, dass eine Vielzahl unkoordinierter Einzelmaßnahmen in die Regelversorgung gelangen, ohne dass die dahinterliegenden strukturellen Probleme behoben werden.

Zügig ans Werk machen.

Bereits das erste Regierungsjahr wird von großer Bedeutung sein für die Frage, wie weit sich die Ampel-Koalition gesundheitspolitisch vorwagt. Die Finanzierungsprobleme der Kranken- und Pflegeversicherung müssen in diesem kurzen Zeitfenster nachhaltig gelöst werden. Sollen Strukturveränderungen im Gesundheitswesen bereits am Ende der Legislaturperiode positive Wirkungen entfalten und für die Versicherten, Patienten und Beschäftigten im Gesundheitswesen spürbar werden, müssen die Weichen ebenfalls im kommenden Jahr gestellt werden.

Der Koalitionsvereinbarung von SPD, FDP und Grünen gibt hier Anlass zur Hoffnung, auch wenn manche Umsetzungsfragen offenbleiben. Bei aller Kritik im Detail: Man kann der neuen Regierungskoalition nicht vorwerfen, die Öffentlichkeit mit bloßen Absichtserklärungen ruhigzustellen. Viele hochgradig konfliktbeladene Reformfelder im Gesundheitsbereich, die die Vorgängerregierungen liegen gelassen haben, hat die Ampel ausdrücklich adressiert: die Reform der Notfallversorgung, der qualitätsorientierte Umbau der Krankenhausstrukturen, die Überführung der sektorspezifischen Planung von ärztlicher Versorgung und Krankenhäusern hin zu einer gemeinsamen Versorgungsplanung, mehr interprofessionelle Zusammenarbeit und höhere Wertschätzung für nichtärztliche Gesundheitsberufe sowie eine umfassende Reform der Pflegeversicherung. Die neue Koalition hat die wichtigsten Reformaufgaben zumindest angenommen. Die Umsetzung dieser Agenda wird zeigen, ob das Dreierbündnis Kurs hält.

Kai Senf ist Geschäftsführer Politik/Unternehmensentwicklung im AOK-Bundesverband.
Steffen Koczott leitet die Abteilung Politik in der Geschäftsführungseinheit Politik/Unternehmensentwicklung im AOK-Bundesverband.
Oliver Weiss ist Illustrator und Designer.
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