Einwurf

Teilhabe mit gerechtem Lohn

Werkstätten ermöglichen vielen Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, einer Arbeit nachzugehen. Doch das Entgeltsystem sollte reformiert werden, meint Lebenshilfe-Vorsitzende Ulla Schmidt.

Porträt von Ulla Schmidt, Vorsitzende der Lebenshilfe

Die Ziele der Lebenshilfe

sind umfassende Teilhabe und Inklusion sowie die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Die Teilhabe am Arbeitsleben ist hierbei ein besonders wichtiges Feld. 300.000 Frauen und Männer mit Beeinträchtigung arbeiten deutschlandweit in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) und leisten dort großartige Arbeit in vielen unterschiedlichen Bereichen: von Zulieferungen für Medizingerätehersteller mit Reinraumtechnik über vielfältige Leistungen als Autozulieferer, die Herstellung von medizinischen Masken und Kunstprodukten bis hin zu zahlreichen Dienstleistungen wie Werbedrucken, Wäschereien und Cateringunternehmen. Damit sind die Werkstätten ein bedeutender Baustein der Teilhabe am Arbeitsleben, neben Inklusionsfirmen und Assistenz am Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Für mehr Wahlmöglichkeiten wurde 2018 das Budget für Arbeit geschaffen, das 2019 durch das Budget für Ausbildung ergänzt wurde. Zusammengenommen sind in diesen Bereichen allerdings nur sehr wenige Menschen mit geistiger Beeinträchtigung beschäftigt.

Werkstätten sollen Menschen mit Behinderung für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten. Dafür durchlaufen sie zunächst das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich. Später können sie entsprechend ihren Interessen und Fähigkeiten im Arbeitsbereich der WfbM tätig werden oder auf einem ausgelagerten Werkstattplatz Erfahrungen für den allgemeinen Arbeitsmarkt sammeln. Solche Arbeitsplätze gibt es zum Beispiel in der Gastronomie oder in inklusiven Theatergruppen. Auch sind Praktika auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich oder ein Wechsel in das Budget für Arbeit, mit dem Assistenz am Arbeitsplatz finanziert wird. Außerdem öffnen sich die Werkstätten zunehmend. Zum Beispiel über Cafés, Fahrradläden, Reinigungsabteilungen sowie Garten- und Landschaftsbau werden mehr Angebote geschaffen, die in die Gesellschaft hineinwirken.

Wichtig ist, dass Menschen mit Behinderung selbst über ihr Leben entscheiden können – auch darüber, wo und wie sie arbeiten möchten. Deshalb sollen sie zwischen unterschiedlichen Arbeitsfeldern und -modellen wählen können. Ist im Einzelfall möglicherweise nach der Schule die Werkstatt ein geeigneter Ort, um berufliche Fertigkeiten zu erwerben, ist es später vielleicht das Budget für Arbeit. Allerdings werden Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung immer individuelle Unterstützung im Arbeitsleben brauchen. Daher sind WfbM mit den individuellen Förderungs- und Unterstützungsmöglichkeiten, ihren differenzierten Arbeits­angeboten und den Angeboten zur Persönlichkeitsstärkung auch in Zukunft wichtige Orte der Teilhabe am Arbeitsleben.

Menschen mit Behinderung sollten selbst über ihr Leben entscheiden können.

Um ihre Selbstvertretung zu stärken, wählen die Beschäftigten Werkstatträte und Frauenbeauftragte. Seit langem fordern Selbstvertreterinnen und -vertreter eine bessere Entlohnung in Werkstätten. Dort erhalten Mitarbeitende mit Behinderung ein Entgelt von durchschnittlich rund 210 Euro im Monat. Auch wenn die Menschen mit Behinderung zusätzlich Sozialleistungen bekommen, empfinden sie ihren Lohn als viel zu niedrig und ungerecht.

Die Lebenshilfe setzt sich daher für eine Reform des Entgeltes in Werkstätten ein, auch wenn das Entgelt nicht mit einem Gehalt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt innerhalb eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses vergleichbar ist. Die Lebenshilfe schlägt vor, Einkommensmodelle schrittweise so weiterzuentwickeln, dass Werkstattbeschäftigte von ihrem Entgelt leben können und nicht auf weitere existenzsichernde Leistungen angewiesen sind. Auch soll das Entgeltsystem gut verständlich und transparent sein. Die Lebenshilfe begrüßt das Forschungsvorhaben der Bundesregierung zum Entgeltsystem und begleitet es durch einen Sitz in der Steuerungsgruppe. Auch hier wird die Lebenshilfe mit ganzer Kraft auf Verbesserungen für die Menschen mit Behinderung drängen.

Weitere Informationen über die Lebenshilfe

Ulla Schmidt ist seit 2012 Bundesvorsitzende der Lebenshilfe. Zuvor war sie Mitglied des Bundestages und von 2001 bis 2009 Bundesgesundheitsministerin sowie von 2013 bis 2017 Vizepräsidentin des Bundestages.
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