Ein Auge auf die Fußgesundheit: In der Podologie ist die Behandlungsrate gestiegen.
Heilmittelbericht

Umsatzplus trotz Corona-Delle

Die Pandemie führte zu einem Rückgang bei Physio-, Sprach- und Ergotherapien. Neue Vergütungsregeln haben den Umsatz in diesen Bereichen dennoch ansteigen lassen, wie der aktuelle Heilmittelbericht belegt. Von Andrea Waltersbacher

Als Reaktion auf die Bedrohung

durch Covid-19 haben sich Patientinnen und Patienten im Jahr 2020 bei der Inanspruchnahme von Heilmitteln zurückgehalten. Das zeigt der Heilmittelbericht 2021/2022 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Demnach gingen im zweiten Quartal 2020 die Abrechnungen der Physio-, Sprach- und Ergotherapie im Vergleich zum Vorquartal um ein Fünftel zurück. Trotz einer Normalisierung der Inanspruchnahme gegen Ende des Jahres unterschritt die Behandlungsrate den Vorjahreswert: Sie betrug im Jahr 2020 4.117 Sitzungen je 1.000 Versicherte gegenüber 4.371 Behandlungen im Jahr 2019. Allerdings lag die Behandlungsrate höher als im Jahr 2018 (4.013 je 1.000 Versicherte).

Rund 9,3 Milliarden Euro rechneten Heilmittelerbringer 2020 für Therapien mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab – im Durchschnitt knapp 127.000 Euro je 1.000 GKV-Versicherte. Das war mehr als 2019 (120.700 Euro) und 2018 (99.600 Euro). Damit ist der Umsatz je 1.000 GKV-Versicherte von 2018 auf 2020 insgesamt um 27,5 Prozent gestiegen. Die Zahl der Behandlungen stieg im selben Zeitraum nur um 2,6 Prozent. Die Zuwachsraten beim Umsatz in diesen zwei Jahren bewegen sich dabei zwischen 26,1 Prozent in der Physiotherapie und 34,3 Prozent in der Podologie (siehe Grafik„Krankenkassen geben mehr Geld für Heilmittel aus“). Der maßgebliche Grund dafür liegt in der bundesweiten Anhebung der Preise für alle Leistungspositionen seit Mitte 2019.

Bundesweit einheitliche Preise.

Seit einigen Jahren bemüht sich der Gesetzgeber, die historisch gewachsenen regionalen Unterschiede in der Vergütung der Leistungen von Physiotherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten und Podologen auszugleichen. Dazu hat er in der Vergangenheit bereits Preisuntergrenzen festgelegt und eine schrittweise Nivellierung der regional unterschiedlichen Preise verfügt. Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), das am 11. Mai 2019 in Kraft getreten ist, hat sich die Preisgestaltung nochmals verändert: Die gesetzliche Begrenzung der Vergütungserhöhungen auf die jeweilige Entwicklung der Grundlohnsumme wurde endgültig gestrichen und bundesweit einheitliche Preise eingeführt.

Grafik: Ausgaben für Heilmittel, Umsatz je 1.000 GKV-Versicherte in Euro

Von 2018 bis 2020 ist bei Heilmitteltherapien der Umsatz je 1.000 gesetzlich Versicherte um 27,5 Pro­zent gestiegen. Der höchste Zuwachs war mit 34,3 Prozent in der Podologie zu verzeichnen. Podologen behandeln nach ärztlicher Verordnung die Füße von Risikopatienten wie Diabetikern.

Quelle: GKV-HIS, eigene Berechnungen

Für alle Leistungspositionen der Heilmittelbereiche wurde dieser bundesweite Einheitspreis auf den höchsten Preis festgelegt, der bis zum 30. Juni 2019 in einer Region vereinbart worden war. Diese Höchstpreise nach Paragraf 125 Absatz 2 Sozialgesetzbuch (SGB) V galten ab dem 1. Juli 2019. Sie werden nach und nach durch die Preisvereinbarungen im Rahmen der neuen bundeseinheitlichen Versorgungsverträge abgelöst, die der GKV-Spitzenverband mit den Spitzenorganisationen der Heilmitteltherapeuten für jeden Heilmittelbereich abgeschlossen hat.

Analyse ermöglicht Vergleich.

Die jährlich schwankende Inanspruchnahme von Heilmitteltherapien hat Einfluss auf die Umsätze der betrachteten Jahre. Für eine genaue Analyse der Auswirkungen der sogenannten Höchstpreise, hat das WIdO deshalb in einer gesonderten Berechnung auch für die Jahre 2018 und 2019 die Behandlungsrate von 2020 zugrunde gelegt. Das bedeutet, bei der Berechnung des Umsatzes je 1.000 GKV-Versicherte haben die Wissenschaftler die jeweiligen Durchschnittskosten einer Behandlung der Jahre 2018 und 2019 mit der Anzahl der Behandlungen je 1.000 GKV-Versicherte von 2020 in Bezug gesetzt. Somit ist ein Vergleich zwischen 2018 und 2020, dem ersten Jahr mit den von Mitte 2019 an geltenden Höchstpreisen möglich. Von 2018 auf 2020 stieg nach dieser Berechnung der Heilmittelumsatz je 1.000 GKV-Versicherte aufgrund der Preisgestaltung statt um 27,5 Prozent nur um knapp 25 Prozent. Dabei sind die regionalen Unterschiede innerhalb der alten Bundesländer nicht so groß. Sieben von ihnen verzeichneten einen unterdurchschnittlichen Zuwachs von 22 bis 23 Prozent.

Zuwachs regional unterschiedlich.

Zwischen 2018 und 2020 sank die Inanspruchnahme der Sprachtherapie um knapp ein Prozent und der Umsatz stieg um 29 Prozent. Bei der Berechnung mit der gleichbleibenden Behandlungsrate zeigt sich hier mit 31 Prozent die größte Zuwachsrate beim Umsatz je 1.000 GKV-Versicherte. Sachsen weist mit knapp 50 Prozent die höchste Steigerungsrate und Bayern mit 21 Prozent die niedrigste Steigerungsrate auf. Auch in diesem Leistungsbereich ist die Umsatzsteigerung je 1.000 GKV-Versicherte in allen östlichen Bundesländern aufgrund der vormals vergleichsweise niedrigen Vergütungen überdurchschnittlich. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist die Steigerung besonders hoch.

Ost-West-Gefälle ist ausgeglichen.

Aber auch bei der Ergotherapie war das regionale Gefälle der Vergütung der Therapeuten so groß, dass der mit der gleichbleibenden Behandlungsrate berechnete Umsatzzuwachs durch die neue Regelung bei durchschnittlich 30 Prozent liegt (statt bei 31,7 Prozent). In allen östlichen Bundesländern wird dieser Wert deutlich überschritten – in Sachsen-Anhalt liegt der Umsatzzuwachs mit 47 Prozent am höchsten. Die geringste Umsatzsteigerung je 1.000 GKV-Versicherte ist mit 22,7 Prozent in Bayern festzustellen.
 
In der Physiotherapie und Physikalischen Therapie fällt der Umsatzzuwachs je 1.000 GKV-Versicherte, der sich auf die Preissteigerungen zurückführen lässt, mit knapp 23 Prozent – gegenüber den tatsächlichen 26 Prozent – im Vergleich zu allen anderen Heilmittelbereichen am geringsten aus. Der Unterschied kommt durch eine Zunahme der Behandlungen von 2,6 Prozent zustande.

Heilmittelbericht 2021/2022. Herausgegeben vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO). Download

Der tatsächliche Zugewinn beim podologischen Umsatz je 1.000 GKV-Versicherte von 34,3 Prozent geht – anders als in den anderen Leistungsbereichen – zum Teil auf eine erhöhte Behandlungsrate zurück. Von 2018 auf 2020 stieg die Anzahl der podologischen Behandlungen je 1.000 GKV-Versicherte um 7,8 Prozent. Beim Vergleich der Behandlungsrate von 2020 mit der von 2018 und 2019 führt die veränderte Vergütung nur noch zu 25 Prozent mehr Umsatz. Wie in allen anderen Leistungsbereichen entwickelte sich auch hier der größte Zuwachs in den östlichen Regionen: Sachsen-Anhalt führt mit fast 36 Prozent der Steigerung des Umsatzes je 1.000 Versicherte gegenüber 2018. Die Mehrzahl der westlichen Bundesländer liegt mit einer leicht unterdurchschnittlichen Zuwachsrate von 22 bis 23 Prozent eng beieinander.

Versorgung langfristig sichern.

Die Neuregelungen im TSVG sollen die Attraktivität der Heilmittelberufe unter anderem durch eine höhere Vergütung steigern und dadurch die Versorgung der Patientinnen und Patienten langfristig sichern. Insgesamt hat sich die Regelung der bundesweiten Höchstpreise nach Paragraf 125b SGB V insbesondere in den östlichen Bundesländern umsatzsteigernd ausgewirkt. Dabei fällt Sachsen-Anhalt mit besonders hohen Zuwachsraten beim Umsatz je 1.000 GKV-Versicherte auf.
 
Ob die angehobenen Preise ausreichen, um die Therapeutinnen und Therapeuten langfristig im Beruf zu halten und Nachwuchs anzuziehen, hängt jetzt sicherlich auch davon ab, ob die Praxisinhaber ihren Zugewinn in Form von Lohnerhöhungen an ihre Beschäftigten weitergeben.

Andrea Waltersbacher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich Betrieb­liche Gesundheitsförderung und Heilmittel des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).
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