Einwurf

Mehr Bewusstsein für die Pflege

Nicht erst seit der Pandemie leidet die Pflege unter mangelnder Anerkennung und zu wenig Personal. Die neue Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Claudia Moll, plädiert für bessere Arbeitsstrukturen und mehr Selbstbewusstsein.

Porträt von Claudia Moll, Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung

Vorurteile über den Pflegeberuf

kenne ich viele. Natürlich kann Pflege ein stressiger Job sein, das weiß ich aus langjähriger, eigener Erfahrung. Oft gibt es viel Arbeit für zu wenige Köpfe. Aber auch in anderen Branchen ist nicht alles Gold was glänzt. Was wir brauchen, ist ein positiveres Berufsbild. Denn Pflege ist auch sehr erfüllend und verantwortungsvoll, ist ein toller, abwechslungsreicher Beruf mit Jobgarantie und vielfachen Entwicklungsmöglichkeiten. Pflegekräfte sind gut ausgebildete und hoch kompetente Leistungsträger in einem immer komplexer werdenden Arbeitsumfeld. Wir sind keine Pipi-Schwenker. Deshalb sollten die Beschäftigten selbstbewusster sein, sich besser organisieren und ihre Gewerkschaften viel stärker dabei unterstützen, zeitgemäße Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Dabei haben sie mich als Pflegebevollmächtigte und gelernte Altenpflegerin an ihrer Seite.

Die Politik muss in erster Linie die Rahmenbedingungen verbessern und bei der Personalbemessung schnell vorankommen – sowohl im Krankenhaus als auch in der Langzeitpflege. Der Schlüssel für viele Probleme in der Pflege ist mehr Personal. Unser Problem sind aber nicht allein die Fachkräfte. Es fehlen auch Hilfskräfte und Alltagsbegleiter. Derzeit ist beispielsweise nur eine Betreuungskraft für 20 Bewohnerinnen und Bewohner in Heimen vorgesehen. Der Schlüssel sollte auf zehn zu eins erhöht werden. Und wir brauchen mehr Pflegehelfer. Denn es kann nicht sein, dass Fachkräfte im ohnehin schlecht besetzten Spätdienst einer Pflegeeinrichtung statt beispielsweise Medikamente zu stellen auch noch Abendbrotstullen schmieren müssen.

Durch mehr Köpfe und eine bessere Aufgabenverteilung müssen wir Fachkräfte entlasten, damit sie sich auf die immer komplexer werdenden Pflegebedarfe konzentrieren können. Das gilt für das Krankenhaus genauso wie für den Pflegedienst oder die stationären Einrichtungen. Die Vorarbeiten für bundesweit einheitliche, verbindlich geltende Verfahren zur Personalbemessung sind schon lange erledigt. Nun müssen wir an die rasche Umsetzung gehen – getestet, pilotiert und evaluiert wurde lange genug!

Der Schlüssel für viele Probleme in der Pflege ist mehr Personal.

Mit der Tariflohnpflicht ab September wird ein wichtiger Schritt für gerechte Löhne in der Langzeitpflege kommen. Ich weiß jedoch von Kolleginnen und Kollegen, dass ihnen das Geld oft nicht am wichtigsten ist. Viele wollen, dass geteilte Dienste und Rückrufe aus dem Frei endlich der Vergangenheit angehören. Der Anruf am Wochenende mit der Bitte, schon wieder einspringen zu müssen, zehrt an den Kräften und strapaziert die Gesundheit. Verlässliche freie Zeiten und familienfreundliche Arbeitszeiten müssen deshalb ganz oben auf der Agenda stehen. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dafür mehr zu tun. Gesunde und motivierende Arbeitszeiten müssen besser refinanziert und von allen Arbeitgebern, egal ob tarifgebunden oder nicht, angeboten werden.

Manchmal helfen schon Veränderungen in der Arbeitsorganisation einer Einrichtung, um den Arbeitsalltag entscheidend für Beschäftigte zu verbessern. Da setzt das Projekt „GAP – Gute Arbeitsbedingungen in der Pflege“ an, das ich fortsetzen werde. Dieses Projekt unterstützt die Arbeitgeber bei der Veränderung der Arbeitsbedingungen konkret vor Ort. Ich kann alle Pflegeeinrichtungen nur ermuntern, sich hierzu zu informieren und bei diesem Projekt anzumelden.

Last but not least brauchen wir insgesamt mehr Bewusstsein für die Pflege. Das fängt in der Jugend an. Deshalb möchte ich Pflege stärker in Praktika oder Freiwilligendiensten verankern. Wenn junge Menschen früh mit Pflegearbeit in Berührung kommen, werden sicher viele erkennen, wie erfüllend der Beruf sein kann. Gleichzeitig trägt eine persönliche Erfahrung mit Pflegearbeit dazu bei, dass Menschen sich frühzeitig damit auseinandersetzen, wie sie selbst später im Alter leben und vielleicht versorgt werden möchten.

Claudia Moll, MdB, ist seit Januar 2022 Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung.
Bildnachweis: Thomas Ecke