Schlaganfallbehandlung

Per Telekonsil Leben retten

Nach einem Schlaganfall ist höchste Eile geboten. Die Fachexpertise zum Umgang mit einem solchen Notfall ist aber nicht in allen Kliniken vorhanden. Daher haben sich telemedizinische Schlaganfall-Netzwerke gebildet, die gerade auch in ländlichen Regionen die professionelle Versorgung sicherstellen. Hintergründe von Thorsten Severin

Es ist ein ganz gewöhnlicher Vormittag, als Elisabeth H. plötzlich verwirrt ist und nicht mehr richtig sprechen kann. Die Familie der 81-Jährigen ruft nach kurzer Zeit den Rettungsdienst. So landet sie im Krankenhaus im bayerischen Zwiesel – einer von 24 Kliniken, die im telemedizinischen Schlaganfallnetz TEMPIS im südöstlichen Bayern zusammengeschlossen sind. Die Dienstärztin in München erfährt von den lokalen Ärzten am Telefon, dass bei der Patientin bislang lediglich ein Bluthochdruck bekannt ist, der mit Medikamenten behandelt wird. Sie empfiehlt eine sofortige Computertomografie (CT) vom Kopf.

Bei einer Untersuchung per Videoschalte stellt die aus der bayerischen Landeshauptstadt zugeschaltete Ärztin eine mittelschwere Sprachstörung bei der Patientin fest. Elisabeth H. kann zwar Worte verstehen und Aufforderungen befolgen, verwechselt aber Begriffe und hat Probleme, sich zu artikulieren, sodass eine Unterhaltung kaum möglich ist. Auch das Benennen von Gegenständen wie Uhr, Telefon oder Kugelschreiber gelingt ihr nicht. Bei der telemedizinischen Untersuchung fällt zudem erstmalig ein leicht hängender Mundwinkel rechts sowie eine leichte Schwäche des rechten Arms auf.

Der Verdacht auf einen Schlaganfall erhärtet sich mit der Untersuchung sowie nach Sichtung der zwischenzeitlich an die Münchner Klinik übermittelten CT-Bilder. Die Spezialistin empfiehlt eine Thrombolyse-Therapie, die um 13.30 Uhr – eine halbe Stunde nach dem Eintreffen im Krankenhaus – eingeleitet wird. Hierbei wird ein stark blutverdünnendes Medikament gegeben, das das Blutgerinnsel in der Hirnarterie auflösen soll. Es ist vor allem in den ersten Stunden nach Auftreten der Symptome wirksam.

Expertenrat aus der Ferne.

Die Therapie wirkt und die Patientin weist bereits wenige Stunden nach Beginn der Infusion nur noch minimale Wortfindungsstörungen auf. Am nächsten Tag zeigt sich in der CT-Kontrolle zum Glück nur ein sehr kleiner Schlaganfall, und Elisabeth H. kann nach drei Tagen Überwachung und verschiedenen Untersuchungen zur Abklärung der Ursache beschwerdefrei nach Hause entlassen werden.
 
Die alte Dame aus dem Bayerischen Wald hatte Glück im Unglück: Ihre Familie reagierte schnell, nach den ersten Symptomen bis zur Klinikeinlieferung vergingen eine Stunde und 15 Minuten. „Das ist sehr schnell, denn es dauert häufig, bis Menschen sich entscheiden, den Rettungsdienst zu rufen“, erläutert Dr. Gordian Hubert, Koordinator des TEMPIS-Projekts an der München Klinik Harlaching. „Oder der Betroffene ist alleine und kann keine Hilfe holen.“

Zudem handelte es sich beim Schlaganfall von Frau H. nicht um einen großen Gefäßverschluss, bei dem eine komplizierte Thrombektomie in einem anderen Krankenhaus hätte durchgeführt werden müssen. Und nicht zuletzt wurde ihr trotz ländlicher Umgebung die Hilfe ausgewiesener Fachleute zuteil. Elisabeth H. hat am Ende keine Symptome zurückbehalten, was ebenfalls als Glück zu bezeichnen ist. Sie brauche daher auch keine Reha, wie Hubert erläutert. Allerdings müsse sie mit Medikamenten weiterbehandelt werden, um sie vor einem weiteren Hirninfarkt zu schützen.

Ein Zentrum mit mehreren Speichen.

22 Netzwerke wie TEMPIS gibt es in Deutschland. Sie funktionieren nach dem „Hub-and-Spoke-Prinzip“ – also eine Nabe (das beratende Zentrum) und die Speichen (die Partnerkliniken). Allerdings gibt es in vielen dieser Netze mehrere Zentren, bei TEMPIS etwa sind es mit München und Regensburg zwei. Zur Behandlung akuter Fälle werden die Patienten den Fachärzten im Zentrum per Telekonsil vorgestellt und zusammen mit dem Mediziner vor Ort untersucht. Die Befunde der Computertomografie (CT) und anderer Bildgebungsverfahren werden an den Neuroradiologen am Zentrum übertragen. Am Ende fällt die Entscheidung, ob eine Thrombolyse, eine Thrombektomie oder beides stattfinden soll oder ob es auf eine andere Therapie auf einer Spezialstation hinausläuft.

„Das alles findet unter hohem Zeitdruck statt, denn je früher die Schlaganfallbehandlung einsetzt, desto effektiver ist sie“, erläutert Professor Christoph Gumbinger, Sprecher der Kommission Telemedizinische Schlaganfallversorgung der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und Oberarzt am Universitätsklinikum Heidelberg. Laut DSG sterben nach einem Gehirninfarkt in jeder Sekunde 32.000 Nervenzellen, und 230 Millionen Verknüpfungen (Synapsen) zwischen diesen Neuronen werden zerstört. In einer Stunde sind es schon 120 Millionen Nervenzellen und 830 Billionen Synapsen, die unwiederbringlich kaputt sind. „Andere Organe sind in der Regel toleranter, aber beim Gehirn kann eine Unterbindung der Blutversorgung in kürzester Zeit großen Schaden anrichten“, erläutert Hubert. Insgesamt erleiden jährlich rund 250.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall.

Wenn eine Thrombektomie notwendig ist, wird von dem jeweiligen Krankenhaus innerhalb des Netzwerks eine Verlegung in eine Klinik organisiert, die diesen komplizierten Eingriff anbietet. Konkret wird dabei das Gerinnsel, das eine Hirnarterie verstopft, mithilfe eines Katheters herausgezogen und die Durchblutung wiederhergestellt. Diese noch junge Therapie hat zu einer erheblichen Verbesserung in der Schlaganfallversorgung geführt. Allerdings können nur wenige Neuroradiologen dieses Verfahren anwenden.

Rund 40.000 Telekonsile pro Jahr.

Die 22 telemedizinischen Schlaganfall-Netzwerke umfassen insgesamt 43 Zentren und 225 Kooperationskrankenhäuser, davon 173 internistische und 52 neurologische Kliniken. Der erste Verbund wurde im Jahr 2002 etabliert, ein Jahr später ging TEMPIS an den Start, das bis heute überregional als vorbildlich gilt. Die Netzwerke führen laut Gumbinger pro Jahr knapp 40.000 Telekonsile durch. Rund 27.500 Personen werden jährlich in Deutschland innerhalb der Netze teleneurologisch behandelt, das ist etwa jeder zehnte Schlaganfallpatient. Mehr als hundertmal pro Tag unterstützt ein Neurologe aus einem Schlaganfallzentrum per Video einen Kollegen aus der Partnerklinik bei der Diagnose und Behandlung eines Kranken.

Insgesamt erleiden jährlich rund 250.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall.

Mehr als 14 Prozent der per Telemedizin versorgten Patienten erhalten eine Thrombolyse. Zur Verlegung für eine Thrombektomie kommt es bei etwa acht Prozent der eingelieferten Notfälle. „Das sind sehr gute Zahlen, gerade wenn man berücksichtigt, dass es sich um kleinere Kliniken handelt, die es strukturell sehr schwer haben“, erläutert Gumbinger. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass etwa zehn Prozent aller Patienten mit einem ischämischen Schlaganfall für eine Thrombektomie infrage kommen. Rund 16,4 Prozent erhalten eine Thrombolyse. Die Raten in den Netzwerk-Kliniken liegen also fast auf gleicher Höhe. Das könne „als erfolgreiche Übertragung neurologischer Expertise mittels Telemedizin“ bezeichnet werden, bilanzierte ein Team hochrangiger Wissenschaftler im vergangenen Jahr in der Zeitschrift „Der Nervenarzt“. Das Fazit der Experten, zu denen auch Gumbinger und Hubert gehören: „Telemedizinische Schlaganfall-Netzwerke leisten einen wesentlichen Beitrag zur flächendeckenden und wohnortnahen Schlaganfallversorgung.“
 
Das Gebiet von TEMPIS in Bayern mit seinen zwei Zentren und 24 Kliniken umfasst 21.000 Quadratkilometer mit rund 2,9 Millionen Einwohnern, wobei die beiden Zentren und ihre Einzugsgebiete in dieser Berechnung nicht enthalten sind. Insgesamt 22 Landkreise profitieren von der vernetzten Versorgung. Pro Jahr gibt es laut Hubert etwa 7.000 Konsile – also medizinische Anfragen der Partnerkrankenhäuser an das Zentrum. Schlaganfälle selbst gebe es in der Region mit rund 11.000 allerdings noch mehr. Wenn ein Neurologe vor Ort vorhanden sei, bestehe für die einzelne Klinik aber oft kein Bedarf für eine Kontaktaufnahme. Neun der 24 Einrichtungen haben sogar eine neurologische Hauptabteilung.

CT-Scan als erster Schritt.

Direkt nach der Einlieferung eines Patienten mit Hirninfarktverdacht werden im jeweiligen Krankenhaus die Bildaufnahmen vom Kopf gemacht. Während der Patient im CT liegt, wird im Bedarfsfall das beratende Zentrum informiert. Die dortigen Kollegen geben an, ob weitere Bilder notwendig sind, etwa eine Gefäßdarstellung. Danach wird der Patient in den Videoraum gefahren, wo er die Zentrumsärzte auf einem Bildschirm sehen und mit ihnen kommunizieren kann. Die Neurologen aus München oder Regensburg können aus der Ferne die Kamera steuern und an Gesicht und Augen heranzoomen. „Wir machen dort genau die Untersuchungen, die auch in der Notaufnahme stattfinden würden“, erläutert Hubert. „Abgeklärt wird dann, was gemacht werden soll und ob es sich überhaupt um einen Schlaganfall handelt.“ Vor allem kleine Kliniken auf dem Land seien da oft unsicher. Ob zum Beispiel Medikamente zur Auflösung des Blutgerinnsels gegeben werden, ist keine leichte Entscheidung, denn laut Hubert gibt es gegen diese Lysetherapie „jede Menge Kontraindikationen, die gut abgewogen werden müssen“. Bei einer Hirnblutung etwa würde sie dem Patienten schwer schaden.

Deutlicher Zeitgewinn.

Muss ein Patient eine Thrombektomie erhalten, um den Pfropf aus der Ader mithilfe eines Katheters zu entfernen, wird er entweder in ein nahegelegenes Krankenhaus verlegt oder ein Expertenteam aus München macht sich per Hubschrauber auf den Weg aufs Land. Dieses „Flying Intervention Team“ gibt es bislang nirgendwo anders und wird von den gesetzlichen Krankenkassen im Freistaat finanziert. Eine normale Verlegung eines Schwerkranken dauert lang – oft zu lang. „Wir haben erkannt, dass wir viel schneller sind, wenn wir einfach die Ärztinnen und Ärzte und nicht den Patienten verlegen“, erläutert Hubert. Der Kranke kann während der Anreise des Arztes schon mal vorbereitet und in Narkose versetzt werden. Wenn die Mediziner eintreffen, können sie sofort mit der Behandlung beginnen. „Wir sind damit im Schnitt 90 Minuten schneller, als wenn der Patient verlegt wird“, erläutert Hubert. Das sei enorm. Die Helikopter-Anreise steht bislang nur zu normalen Arbeitszeiten und ab und zu am Wochenende zur Verfügung. Ab Jahresmitte wird sie an jedem Tag im Jahr von acht bis 22 Uhr möglich sein.

Die Ergebnisse von Studien geben dem TEMPIS-Team recht. Die Behandlungszeiten im Netzwerk nach einem Schlaganfall waren in einer Studie vergleichbar mit denen der Universitätsklinik in Helsinki, die damals als schnellste Klinik der Welt galt. Zwar liefen in Finnland die Prozesse im Krankenhaus noch rascher ab, dafür waren in der TEMPIS-Region die Patienten schneller in ihrem lokalen Krankenhaus. Zudem landen in der TEMPIS-Region die Patienten viel eher in einer Klinik, in der ihnen mit Fachexpertise geholfen werden kann. Und schon früh hat sich gezeigt, dass in den Netzwerkkliniken im Vergleich zu Einrichtungen, die dem nicht angehören, beim Schlaganfall ein um zehn Prozent besseres Ergebnis erzielt wurde. Seltener sind also Tod, schwere Behinderung oder Pflegebedürftigkeit die Folge.

Doch auch vermeintliche „Fehlalarme“ kommen vor. Laut Hubert haben 20 bis 25 Prozent der Patienten, die auf einer der Stroke Units landen, am Ende keinen Schlaganfall. Auslöser für die ähnlichen Symptome sind dann etwa eine Lähmung des Gesichtsnervs, epileptische Anfälle, Migräne, Multiple Sklerose, Entzündungen des Gleichgewichtsnervs, Hirntumore oder Folgen von Alkoholmissbrauch.

Partnerkliniken werden geschult.

Die Telemedizin ist aber nicht der einzige Bereich, der ein Netzwerk wie TEMPIS ausmacht. „Einen besonderen Schwerpunkt bildet der Kompetenzaufbau vor Ort“, erläutert Gumbinger. So fänden in den Kooperationskliniken regelmäßig Fortbildungen, Begehungen und Audits statt, aber auch Pflegeschulungen, Workshops und Lehrgänge für Physiotherapeuten, Logopäden und Ergotherapeuten. Auch gibt es regelmäßig Netzwerktreffen.

So ist es nach Angaben von Hubert auch einer der Bausteine von TEMPIS, „die ganzen Teams vor Ort regelmäßig zu schulen“. Allein die Pflegefachleute besuchten jede der 24 Kliniken fünf Mal pro Jahr. „Da wird ein hoher Aufwand betrieben.“ Dieser zahle sich jedoch aus, denn es sei gelungen, mithilfe des Netzwerks „neurologische Expertise aufs Land zu bringen“. Eine Stroke Unit gebe es inzwischen in jedem der Häuser. Auf diesen Schlaganfallstationen werden die Patienten anfangs in Monitorbetten überwacht und durch ein interdisziplinäres Team aus Ärzten, Pflegern und Therapeuten betreut. Vor dem Start von TEMPIS wurden in dem zugehörigen Gebiet 19 Prozent der Schlaganfallpatienten auf solchen Einheiten versorgt, zehn Jahre nach Gründung waren es bereits 84 Prozent.

Finanzierung durch Zusatzentgelt.

Hubert freut sich, dass die gesetzlichen Krankenkassen in Bayern und auch die Staatsregierung das Projekt von Anfang unterstützt und gefördert haben. Alle vier Netzwerke, die es in dem Bundesland gibt, erhalten von den Kassen eine Finanzierung über ein Zusatzentgelt. Damit wird der Mehraufwand für die Netzwerkkoordination abgebildet. Der Mehraufwand der Partnerkliniken wird durch den Erlös eines telemedizinischen Schlaganfall-Gebührenschlüssels gedeckt. Die Arbeit der Zentren wiederum werde über einen gesonderten Entgeltschlüssel finanziert. Zwei Kassenvertreter gehören dem Leitungsgremium von TEMPIS an, darunter ein Experte der AOK Bayern. Doch solche Finanzierungslösungen, wie es sie im Süden der Republik gibt, sind die Ausnahme in Deutschland. „Außerhalb von Bayern stehen die Netzwerke oft auf wackligen Beinen“, weiß Hubert.

Auch Neurologe Gumbinger verweist darauf, dass in nur wenigen Ländern Vergütungsstrukturen für die Netzwerke vorhanden seien. „Es wurde versäumt, für eine flächendeckende Finanzierung der Teleneurologie zu sorgen.“ Das führe dazu, dass unterfinanzierte Netzwerke nur einen Teil des telemedizinischen Konzepts umsetzen könnten. Die Kooperationskrankenhäuser leisteten typischerweise einen jährlichen Einmalbetrag. „Das setzt jedoch Fehlanreize: Weil das Zentrum auf die Zahlungen der Partnerkliniken angewiesen ist, wird im Zweifelsfall auch eine Klinik in ein Netz aufgenommen oder behalten, obwohl es bessere Alternativen gibt.“ Zudem führe die mangelnde Finanzierung in vielen Bundesländern dazu, dass sich manche Partnerkliniken wieder aus der Teleneurologie zurückzögen. Dies sei gerade in ländlichen Regionen im Osten der Republik der Fall. „Die mangelnde Finanzierung hat also schon die Versorgung verschlechtert“, sagt Gumbinger. Die Politik müsse hier nachbessern.

Deutschland gut aufgestellt.

Insgesamt sieht der Experte Deutschland bei der Schlaganfallversorgung – egal ob Telemedizin oder nicht – im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Das sei auch ein Verdienst der Deutschen Schlaganfallgesellschaft mit einem guten Zertifizierungssystem für Stroke Units. Die Telemedizin sei ebenfalls gut etabliert und habe durch die Corona-Pandemie einen weiteren Schub bekommen. Laut Professor Dr. Klaus Faßbender, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum des Saarlandes, haben die Deutschen es am besten hinbekommen, Stroke Units nahezu flächendeckend aufzubauen. Das sei ein Riesenerfolg, denn die Spezialstationen seien in der Lage, die „Outcomes“ deutlich zu verbessern. Und auch bei der rechtzeitigen Gabe einer Thrombolyse-Therapie sei Deutschland weit vorne.
 
Allerdings gebe es durchaus regionale Unterschiede bei der Verteilung von Stroke Units und neurovaskulären Zentren, betonen die Experten. „Es gibt Ecken in Deutschland, bei denen der Zugang zur schnellen und hochqualitativen Schlaganfallversorgung besser sein könnte“, so Gumbinger. Eine Unterversorgung gebe es etwa in einzelnen nordöstlichen und westlichen Regionen. Besonders betroffen seien Gebiete in Sachsen-Anhalt und an der Grenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

Mobile Stroke Units als große Hoffnung.

Eine große Hoffnung von Experten bei der telemedizinischen Versorgung von Schlaganfällen liegt auf den sogenannten Mobilen Stroke Units (MSU). Dabei handelt es sich um spezielle Rettungswagen, die zur Behandlung eines akuten Schlaganfalls ausgestattet sind. Faßbender und sein Team haben 2008 die erste MSU in Deutschland entwickelt und im Kreis Homburg auf die Straße gebracht. Das Fahrzeug verfügt über einen CT-Scanner, Laborgeräte und spezielle Medikamente, etwa für die Lysetherapie. Hinzu kommt die Möglichkeit, CT-Bilder und andere Befunde per Telemedizin an das Krankenhaus zu übermitteln. Per Videokonferenz kann sich die Mannschaft im Wagen zudem Rat von den Experten in einem Zentrum einholen. „Die Telemedizin läuft hier nicht zwischen großem Krankenhaus und kleinem Krankenhaus, sondern zwischen Klinik und Rettungswagen“, erläutert Professor Faßbender.

Die Telemedizin hat in der Akutbehandlung des Schlaganfalls viele Möglichkeiten eröffnet, komplett ausgeschöpft sind sie aber noch nicht.

Im günstigsten Falle könne dem Patienten in dem Dorf, in dem er umgekippt sei, nach dem CT gleich eine Thrombolyse verabreicht werden. Auf jeden Fall aber ist das Krankenhaus bereits vorbereitet, wenn der Patient eintrifft. Je nach Studie betrage die Zeitersparnis bis zum Beginn der Behandlung bis zu 30 Minuten, so Faßbender. Das bedeute am Ende weniger Behinderungen und Todesfälle. Im Auto kann anhand der Diagnostik auch entschieden werden, ob ein Patient in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht wird oder besser in eine entferntere spezialisierte Klinik.

In Deutschland sind solche Spezialkrankenwagen außer im Kreis Homburg seit 2011 noch in Berlin im Einsatz. Die drei Fahrzeuge der Feuerwehr in der Hauptstadt tragen den Namen „Stroke Einsatz Mobile“. Weltweit gibt es laut Faßbender 40 bis 50 solcher Wagen, das deutsche Modell dient hier in der Regel als Vorbild. Vor allem die USA seien in dem Bereich sehr weit vorne. In mehreren Studien, so auch in einer Erhebung der Berliner Charité mit 1.500 Patienten, wurden die Zeitvorteile bewiesen. Zudem zeigt sich, dass mehr Patienten eine Thrombolyse im empfohlenen Zeitraum von bis zu 4,5 Stunden nach Beginn der ersten Symptome erhielten. Faßbender hofft darauf, dass auch in anderen deutschen Regionen MSUs Einzug halten und die Wagen irgendwann preisgünstiger werden. Noch koste eine MSU zwischen einer halben bis einer Million Euro. 400.000 Euro davon verschlinge allein das CT. Das Teuerste an den rollenden Stroke Units sei jedoch das Fachpersonal an Bord.

Auch Schlaganfall-Experte Gumbinger betont, dass es sich bei einem Stroke Einsatz-Mobil um eine „relevante Investition“ handelt. Daher sei eine Evaluation notwendig. Er erwarte aber, dass neue MSU-Projekte entstünden. Doch einsetzbar seien MSU sicher nur in bestimmten Regionen, vor allem in Großstädten und Ballungsgebieten. „In sehr ländlichen Regionen ist eine MSU unter Umständen zu lange im Einsatz für die Behandlung nur sehr weniger Patienten.“

Tele-Notärzte im Kommen.

Möglich ist es auch, den normalen Rettungsdienst telemedizinisch zu unterstützen. Solche Telenotärzte sind vielerorts in Planung oder werden im Rahmen von Pilotprojekten bereits eingesetzt. Die telemedizinische Unterstützung berge hier ein großes Spektrum an Möglichkeiten, ist Gumbinger überzeugt. „Wenn das Telekonsil prähospital läuft, lassen sich innerklinische Prozesse optimieren.“ Mit Blick auf Patienten mit einem Schlaganfallverdacht sei es jedoch sinnvoll, Neurologen am Telenotdienst zu beteiligen. Sie könnten Schlaganfälle und Nicht-Hirninfarkte früh erkennen und bei der Zuweisung des Patienten zum richtigen Hospital beraten. Und nicht zuletzt könnten sie auch bei der Versorgung anderer neurologischer Krankheiten zur Seite stehen.

Die Telemedizin hat in der Akutbehandlung des Schlaganfalls also viele Möglichkeiten eröffnet, komplett ausgeschöpft sind sie aber noch nicht. Auch bei der Nachsorge – und damit am anderen Ende der Versorgungskette – ist Experten zufolge noch viel Musik drin. „In Tele-Reha und Telenachsorge-Ambulanzen sehe ich ein enormes Potenzial“, betont Gumbinger und ist überzeugt: „Hier und in anderen Bereichen der Schlaganfallversorgung wird sich in den nächsten Jahren noch viel tun.“

Thorsten Severin ist Redakteur der G+G.
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