Wo der Hebel beim Umbau der Krankenhäuser anzusetzen ist, ergründen Experten.
Reformkommission

Architekten für den Klinikumbau

Die Krankenhauslandschaft in Deutschland ist in die Jahre gekommen. Um eine Reform vorzubereiten, hat die Regierung eine Kommission ins Leben gerufen. Dirk Bürger kommentiert die Kritik an dem Gremium und plädiert dafür, auf Ideen aus dem Expertenkreis zu vertrauen.

Am 2. Mai 2022

hat Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ eingesetzt. Unter der Leitung von Professor Tom Bschor sollen 15 Expertinnen und Experten aus Medizin, Pflege, Ökonomie und Rechtswissenschaften die Grundlagen für eine Reform der Krankenhausstrukturen und -finanzierung entwickeln sowie ihre Expertise zu aktuellen Vorhaben einbringen.
 
Kaum war die Kommission berufen, erntete sie Kritik. Diese bezog sich – wenig überraschend – bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft, den Krankenkassen und den Bundesländern darauf, nicht eingebunden zu sein. Die Krankenkassen verbanden diese Kritik mit dem Hinweis, dass „die Krankenhausseite mit sieben Vertretern“ mittelbar dabei sei. Und Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek stellte klar: „(…) die Krankenhausplanung gehört in die Hand der Bundesländer.“ (Deutsches Ärzteblatt, 2. Mai 2022)

Experten für eine große Aufgabe.

Überraschend ist in diesem Zusammenhang jedoch die Kritik von „Campact“. Bei dem Verein handelt es sich nach eigener Darstellung um eine „Bürgerbewegung, mit der über zwei Millionen Menschen für progressive Politik streiten“. Campact sieht im Zusammenhang mit der Einsetzung der Kommission vor allem eine Chance, ihre Kampagne gegen alle Krankenhausschließungen fortzusetzen. Sie verurteilt daher die „(…) einseitige Besetzung der vorgeschlagenen Experten-Kommission“. Nach Auffassung von Campact würde die „(…) aktuelle Besetzung dieser Kommission den gesellschaftlichen Konsens für die klinische Versorgung in Deutschland gefährden“. Die Aktivisten von Campact kritisieren vor allem die Berufung der beiden Gesundheitsökonomen Professor Boris Augurzky und Professor Reinhard Busse, weil diese für „(…) radikale Klinikkonzentrationen in Deutschland stehen“.

Eine moderne Medizin und Pflege benötigen zukunftsfähige Strukturen.

Allerdings stehen weder diese Gesundheitsökonomen noch die weiteren 13 Expertinnen und Experten für „radikale Klinikkonzentrationen“. Dies stellte der Koordinator der Kommission, Professor Tom Bschor klar. Die Zusammensetzung sei „die ideale Kombination, um diese große Aufgabe zu lösen“.

Strukturen aus dem 19. Jahrhundert.

Aber Angst zu schüren ist nicht nur unfair, sie ist in Bezug auf diese Kommission auch unbegründet. Begründet wäre eher die Sorge davor, alles beim Alten zu belassen. Nicht primär, weil die Versicherten, Arbeitgeber und Steuerzahler die überholten Strukturen nicht mehr finanzieren könnten, sondern weil ein Verharren beim Status quo weder den Patienten noch den Beschäftigten in den Krankenhäusern nachhaltig hilft. Denn eine moderne Medizin und Pflege benötigen zukunftsfähige Strukturen.

Strukturen, die zum einen dazu beitragen, dass Patienten stets nach dem Stand des medizinischen beziehungsweise pflegerischen Wissens und von im Krankheitsbild erfahrenen Teams versorgt werden. Dies ist nicht mit Krankenhäusern zu machen, deren Bau- und Versorgungsstrukturen im Wesentlichen im frühen 19. Jahrhundert angelegt wurden.

Zum anderen bieten diese althergebrachten Strukturen auch keine Arbeitsbedingungen, unter denen Pflegefachkräfte, Hebammen oder Therapeuten sowie Ärztinnen und Ärzte ihre Aufgaben rund um die Uhr gerne erfüllen. Weder ist es für Hebammen noch für Gynäkologinnen und Gynäkologen nachhaltig attraktiv, nur hin und wieder Geburtshilfe zu leisten, weil es im Einzugsgebiet viel zu wenige Geburten gibt und dadurch auch die Haftpflichtversicherung unbezahlbar wäre. Noch ist es für Pflegefachkräfte oder Kinderärzte sinnerfüllend, an Standorte gebunden zu sein, wo weder ihre Expertise benötigt wird noch ihr Interesse an kontinuierlicher Weiterbildung erfüllt werden kann.

Qualitätsorientierung schützt Patienten.

Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass die Krankenhaus-Strukturen in Deutschland umgebaut und auf die Bedürfnisse von Patienten und Beschäftigten ausgerichtet werden müssen. Daher ist es richtig, dass die Regierungskoalition entschieden hat, neue Vorgaben für eine moderne Versorgungsstruktur zu schaffen, um unter anderem den Fachkräftemangel zu beheben oder die Finanzierung neu zu ordnen. Vor allem die Krankenhausplanung muss sich zukünftig an Qualität, Erreichbarkeit und demografischer Entwicklung orientieren.

Die Qualitätsorientierung gibt Patienten das höchste Maß an sicherer Behandlung und verschafft ihnen größere Überlebenschancen. Dies machen wissenschaftliche Publikationen deutlich, wie die im April vorgestellte Studie „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren“.

Die Ergebnisse zeigen, dass Krebspatienten eine niedrigere Sterblichkeit haben, wenn sie in von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizierten Zentren behandelt werden (siehe Beitrag „Krebstherapie besser mit Gütesiegel“ in G+G 5/2022). Wenn das Patientenwohl also im Mittelpunkt steht und diese schwer kranken Menschen von einer höheren Überlebenschance profitieren sollen, ist es sinnvoll, ihre Behandlung an besonders qualifizierten Zentren zu konzentrieren. Das hat zur Konsequenz, dass nicht mehr jedes Krankenhaus alle Erkrankungen behandeln darf.

Arbeitskräfte halten.

Es geht aber nicht nur um eine bessere Patientenversorgung, sondern auch um zukunftsfähige Arbeitsbedingungen. Zur Debatte um den Mangel an Pflegefachkräften gibt die Studie „Ich pflege wieder, wenn …“ des Kooperationsprojekts der Arbeitnehmerkammern Bremen und Saarland sowie des Instituts Arbeit und Technik Gelsenkirchen einen interessanten Einblick. Bessere Arbeitsbedingungen könnten demnach helfen, bis zu 600.000 zusätzliche Pflegefachkräfte zu gewinnen.
 
Bessere Arbeitsbedingungen sind aber nur zu erreichen, wenn nicht am Status quo festgehalten wird. Denn trotz einer hohen Bereitschaft zur Berufsrückkehr oder zur Arbeitszeitaufstockung wird dieses Mehr an Pflegefachkräften nicht genügen, um alle 1.900 Krankenhäuser personell ausreichend auszustatten.

Bei einer Behandlung von Krebspatienten in zertifizierten Zentren sinkt die Sterblichkeit.

Bei der Umstrukturierung der Klinik­landschaft geht es nicht darum, versorgungsrelevante, kleine ländliche Krankenhäuser zu schließen, sondern darum, dass jedes zweite kleine Krankenhaus im urbanen Raum steht. Würde die Arbeit der Reform-Kommission dafür sorgen, dass nur zehn Prozent dieser Krankenhäuser keine Arbeitskräfte mehr binden, würde sich die Personalsituation bei den anderen schon entspannen. Fest steht, dass die Verringerung der Krankenhauszahl die Bedingungen für Patienten und Beschäftigte verbessert.

Vertrauen in gute Ideen.

Wenn es in Deutschland zu Reformen mit einer Zentralisierung der stationären Versorgung wie in Dänemark käme, müssten sich Pflegefachkräfte und Ärzte keine Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen. Sie werden weiterhin gebraucht. Lediglich die Zukunftsaussichten von zwei Berufsgruppen würden eingetrübt: zum einen die der Krankenhaus-Geschäftsführer, zum anderen die der Chefärzte – Letztere könnten allerdings in eigener Praxis weiterhin ärztlich tätig sein.
 
Der Klinikreform-Kommission sollte das Vertrauen entgegengebracht werden, dass sie mit guten Ideen eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung und der Arbeitsbedingungen auf den Weg bringt.

Dirk Bürger ist Referent im Geschäftsbereich Politik beim AOK-Bundesverband.
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